Wald am Abgrund
Wald am Abgrund
Jens Schlüter | 13.04.2023 | 13 Minuten

von Jens Schlüter

Die Nachrichten, die uns seit dem Trockensommer 2018 aus unseren Wäldern und Forsten erreichen, werden immer dramatischer, von einem neuen „Waldsterben“ in Folge der Erderwärmung ist die Rede. Aber nicht nur der Klimawandel, auch unsere profitorientierte Forstwirtschaft setzt unseren Wäldern zu. Hier könnte der Freistaat als größter Waldbesitzer Bayerns mit einer Reduzierung des wirtschaftlichen Drucks vorangehen. Mit dem Pflanzen von Bäumchen wird es jedenfalls nicht getan sein, unseren Wald zu retten, sagt der Autor, Förster im Bayerischen Wald.

[vollständige Langfassung des Artikels, der unter dem Titel „Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter“ im Brennstoff Nr. 57 aus Platzgründen stellenweise gekürzt abgedruckt wurde]

„Waldsterben 2.0“ – das ist ein Schlagwort, das in den letzten Monaten Medienkarriere gemacht hat. Spätestens seit dem Trockensommer 2018 häufen sich Berichte über Wälder im Trockenstress und Forste in desolatem Zustand, in denen großflächig nicht mehr nur Fichtenbestände vor sich hinsiechen und sich der Borkenkäfer explosionsartig ausbreitet.

„Waldsterben“, das ist wie „Wettrüsten“ ein Schreckwort aus den 80er Jahren, das man in diesem Jahrzehnt zurückgelassen glaubte und hoffte. Es gemahnt an eine Umweltkatastrophe, die die Deutschen seinerzeit sehr bewegte und die half, in weiten Teilen der Bevölkerung überhaupt erst so etwas wie Umweltbewusstsein wachzurufen.

Jetzt ist wieder „Waldsterben“, doch freilich gibt es einen entscheidenden Unterschied zu den 80er Jahren. Damals nämlich konnte das dramatische massenhafte Absterben der Bäume nach anfänglicher Plan- und Hilflosigkeit relativ einfach gestoppt werden: Die Politik erließ Gesetze, die Industrie rüstete ihre Fabriken um und verhinderte mit Entschwefelungsanlagen, dass aus den Fabrikschloten weiterhin giftige Abgase kamen, die ganze Wälder zum Absterben gebracht hatten. Problem (nach einiger Zeit) erkannt, Problem (gegen einige Widerstände) gelöst.

Gut, ganz so einfach war’s damals wohl auch nicht, aber so schön übersichtlich möchte man es sich in der Rückschau vorstellen – konfrontiert mit dem neuen Waldsterben, das anders ist, mit ungleich komplexeren und grundlegenderen Ursachen. Nur Schuld daran sind damals wie heute wir Menschen.

Waldsterben 2.0 direkt vor unserer Haustür

Denn klar ist: Das „Waldsterben 2.0“ ist die erste Folge der schon lange ablaufenden Klimaerwärmung, die wir in unseren Breiten jetzt vor Augen geführt bekommen – nicht mehr über die Medien auf fernen Gletschern und Eilanden, sondern sicht- und spürbar direkt vor unserer Haustür. Ein erstes Anzeichen, dass sich auch bei uns in Bayern etwas verschiebt, war hier im Bayerischen Wald in den letzten Jahre das Vordringen einzelner wärmeliebender Insektenarten wie des Trauer-Rosenkäfers aus dem südlichen Donauraum in den eher kühleren Nationalpark. Diese Phänomene wurden aber eher nur in Fachkreisen diskutiert.

Jetzt aber sind wir nicht mehr nur mit Arealverschiebungen einzelner Arten konfrontiert, sondern müssen gerade einen regelrechten Systembruch miterleben. Das heißt, dass wir bei weiter steigenden Temperaturen mit einer Veränderung unserer bisherigen einheimischen Waldgesellschaften bzw. unter Umständen mit einem Ausfall einzelner Baumarten auf großer Fläche rechnen müssen. Klar ist: Diesmal werden punktuelle Maßnahmen wie das Entgiften von Fabrikschloten keine Lösung mehr bringen. Diesmal sind bedeutend größere und radikalere Schritte notwendig, um unsere Wälder und damit eine unserer Lebensgrundlagen zu erhalten.

Stirbt die Fichte?

Für die wirtschaftlich wichtigste Baumart Bayerns, die Fichte, dürften aber selbst die größten Anstrengungen zu spät kommen. Denn als boreale Baumart verträgt sie schlicht und ergreifend die immer häufigeren Hitzewellen, Temperaturrekorde und Trockenperioden nicht, die mehr an afrikanische Verhältnisse erinnern als an unsere gemäßigten Breiten. Diese waren ja mit ihrem wechselhaften Wetter und vielen Niederschlägen bislang ein Garant für hervorragende land- und forstwirtschaftliche Bedingungen. Wassermangel war in der Vergangenheit hier bei uns kein begrenzender Faktor für Baumwachstum.

Die Geschwindigkeit, mit der sich das jetzt ändert, dürfte vor allen den Fichten zu schnell sein, um sich daran irgendwie anzupassen. Besonders die in Bayern natürlich vorkommenden Laubbaumarten wie Buche und Eiche, aber auch die Tanne dürften hier aber noch deutlich mehr Spielraum haben, als es vielleicht grad den Anschein hat. Es gibt daher keinen Grund unsere einheimischen Baumarten aus gut gemeinten Aktionismus durch z.B. die Libanonzeder zu ersetzen.

Klimaerwärmung und Art der Forstwirtschaft wirken zusammen

Naturschützer weisen derweil darauf hin, dass nicht allein die steigenden Temperaturen schuld an dem schlechten Erscheinungsbild der bayerischen Wälder sind, sondern vielmehr eine Kombination der Klimaerwärmung mit unserer Art und Weise der Forstwirtschaft. Dies vermutet zum Beispiel Peter Ibisch, Biologe und Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. In einem Interview mit dem Radiosender Deutschlandfunk Kultur vom 24. Juli 2019 erläuterte er seine Beobachtungen und Forschungsergebnisse zur aktuellen Situation der Wälder im Klimawandel. Dabei stellte er vor allem den menschlichen Umgang mit dem Wald, also unser forstwirtschaftliches Handeln in den Vordergrund.

Aktuell stirbt massenhaft die Fichte, die ihre ursprüngliche Heimat in den Bergen hat und erst vom Menschen im Flachland angesiedelt wurde, zudem aus wirtschaftlichen Gründen meist in Monokultur – und jetzt als an feuchtkühles Klima angepasster Gebirgsbaum in der Hitze des Tieflandes auf verlorenem Posten steht.

Die heimischen Buchenwälder aber, so Peter Ibisch, litten nicht nur in Folge der Klimaerwärmung. Sondern hier trage die Intensität der Bewirtschaftung mit starker Auflichtung (dem von Naturschützern stark kritisierten so genannten „Schirmschlag“ bzw. „Großschirmschlag“) und umfangreicher Entnahme von Biomasse, mit Rückegassen und bodenverdichtendem Schwermaschineneinsatz entscheidend zur Dramatik der Waldschäden bei. Forschungen zeigten, so Ibisch weiter, dass Wälder, die weniger stark genutzt werden, messbar kühler sind und einen besseren Feuchtigkeitshaushalt haben. Dadurch gewinnen diese Wälder Zeit, sich der Klimaerwärmung anzupassen.

Je wärmer es wird, desto mehr müssen also die Praktiken der Waldnutzung hinterfragt werden. Zur Debatte stehen vor allem die Intensität und der Zeitpunkt des Einschlags. Hier zeigt sich Peter Ibisch im Interview verständnislos darüber, dass selbst im August noch in gestresste Buchenwälder eingeschlagen werde.

Der Forscher bemängelt, logistische und ökonomische Zwänge führten dazu, dass man in der Forstwirtschaft zunehmend gegen die diffus formulierte und rechtlich nicht definierte so genannte „Gute Fachliche Praxis“ verstoße, also den Ansprüchen des Ökosystems Wald als Ganzes nicht gerecht werde. Deutschland habe aufgrund des Widerstands der Forstlobby versäumt, was schon vor Jahren hätte passieren müssen – nämlich Richtlinien der Waldbewirtschaftung in einem Gesetz ordentlich festzuschreiben.

Ein solches „neues Waldgesetz“, wie es immer wieder von verschiedenen Naturschutzinitiativen gefordert wird – aktuell der „BundesBürgerInitiative Waldschutz“ (BBIWS) in einer Online-Petition mit dem Slogan „Wälder sind keine Holzfabriken!“, mit prominenter Unterstützung etwa von Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben und mittlerweile rund 100.000 Unterschriften –, würde nach Meinung des Experten den gesetzlichen Rahmen für eine wirklich ökologische, naturnahe und nachhaltige Forstwirtschaft stellen.

Die freie Entwicklung der Wälder

In dem Radiointerview bestätigt Peter Ibisch auch die Forderung vieler Waldschützer, nicht nur Schutzgebiete, sondern auch die Wirtschaftswälder stärker sich selbst zu überlassen. Wenn einzelne Baumarten ausfielen, gebe es andere, die übernehmen könnten – die freie Entwicklung der Wälder bringe größere Strukturvielfalt und diese sei ganz entscheidend für die Widerstandskraft und Erholungsfähigkeit von Waldökosystemen, so Ibisch. Sicher benötigen wir auch Pflanzungen und Aufforstungen. Doch hier gilt es eben zu differenzieren zwischen zum Teil ausgeräumten Agrarlandschaften auf der einen und bestehenden Wäldern auf der anderen Seite.

Der erste Reflex auf das Absterben von Bäumen ist natürlich, sofort kleine Bäume nachzupflanzen. Diese Lösung bieten derzeit auch ganz prominent Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) an, indem sie große Aufforstungsprogramme anschieben – 30 Millionen neue Bäumchen will allein Söder in Bayern pflanzen, das werde nicht nur dem Klima helfen, sondern auch den Wald für morgen aufbauen. Doch wie so oft im Leben und vor allem in der Natur, ist die Sache auch im Wald deutlich komplexer, und mit Bäumchen-Pflanzen allein wird es nicht getan sein.

Der „Käfer“ explodiert

Denn die explosive Zunahme der Borkenkäferpopulationen – die es ja sind, die den geschwächten Nadelbäume letztlich den Garaus machen – und deren verheerenden Auswirkungen auf die Wirtschaftswälder sind nicht allein auf Bayern oder Deutschland beschränkt, sondern vielmehr ein globales Phänomen. So zeigt sich ein vergleichbares Bild derzeit in vielen Wäldern überall in Mitteleuropa und Nordamerika. Die Folgen dieser „Invasion“ sind gewaltig. Allein in Mitteleuropa waren die Käfer im Jahr 2018 für gut 40 Millionen Kubikmeter Schadholz verantwortlich.

Kaum noch erforscht: die Massenausbrüche des Borkenkäfers

Massenausbrüche von Borkenkäfern dauern meist einige Monate bis Jahre an, anschließend gehen die Populationen plötzlich wieder deutlich zurück. Woran dies liegt, ist kaum erforscht. In der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „Trends in Ecology and Evolution“ fordern Wissenschaftler daher vermehrte Forschungsaktivitäten rund um den Lebenszyklus der bedrohlichen Käfer. „Wir versuchen mit vielen aufwändigen Maßnahmen, unsere Wälder vor Borkenkäfern zu schützen. Doch was die starken Populationsschwankungen bei den Borkenkäfern eigentlich auslöst, darüber wissen wir sehr wenig“, sagt Dr. Peter Biedermann, Erstautor einer im Juli 2019 veröffentlichten Studie über die Dynamik von Borkenkäferpopulationen.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) fordert darin gemeinsam mit seinen Mitautoren vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie Jena sowie vom Nationalpark Bayerischer Wald mehr Forschung am Borkenkäfer. „Es ist dringend notwendig, dass wir nun diese wissenschaftliche Basis schaffen, damit Forstwirtschaft und Politik künftig effizienter auf Ausbrüche von Borkenkäfern reagieren können.“ Die Ergebnisse aus diesen Untersuchungen könnten dazu beitragen, effiziente Managementmethoden bei Massenvermehrungen von Borkenkäfern in die Wege zu leiten – und laut Biedermann auch als Blaupause für die Bekämpfung anderer schädlicher Waldinsekten dienen.

Das „Nichteingreifen“ als wichtigste zu klärende Frage

Die wichtigste zu klärende Frage sei dabei, so Peter Biedermann, ob es ein praxistauglicher Ansatz im Management von Natur- oder sogar Wirtschaftswäldern sein kann, bei Massenvermehrungen von Insekten einfach gar nicht einzugreifen. Im Nationalpark Bayerischer Wald hätten die Wissenschaftler beobachtet, dass Borkenkäferpopulationen auch ohne Bekämpfung nach einigen Jahren zusammengebrochen sind.

Bislang reagieren wir auf Borkenkäferbefall mit der Fällung und dem zügigen Abtransport der befallenen Bäume. Diese Methode hat in der Vergangenheit auch durchaus oft eine weitere lokale Verbreitung der Borkenkäfer in den jeweiligen Waldbeständen verhindert.

Keine „Verschnaufpause“ für die Fichte

Durch die ständige Wiederholung von zu trockenen Jahren bekommt die Fichte jedoch keine „Verschnaufpausen“ in Form kühlerer und feuchter Sommer mehr, die sie eigentlich bräuchte, um sich erfolgreich gegen die Borkenkäfer zu wehren. Deswegen fallen die Schäden jetzt immer drastischer aus. Und deswegen unterstützen auch Praktiker wie etwa Förster Peter Langhammer – wegen seiner naturnahen Bewirtschaftung seiner Wälder in Niederbayern Träger der Bayerischen Naturschutzmedaille – die Forderungen aus der Würzburger Studie und verlangen Möglichkeiten für ein unterschiedliches Vorgehen.

Eine Möglichkeit bei Borkenkäferbefall ist unbedingt ein schnelles und effizientes Aufarbeiten der Bäume, wenn die äußeren Bedingungen eine effektive Käferbekämpfung erlauben, z.B. bei der ersten Schwärmwelle im Jahr bei eher noch kühl-feuchter Witterung – und natürlich, wenn der Markt das Holz auch braucht.

Eine andere Möglichkeit wäre nach Langhammers Ansicht aber auch das Liegen- oder Stehenlassen, wenn ein Waldbesitzer das für seinen Bestand möchte und wenn Hitze, Trockenheit sowie extreme Massenvermehrungen und Abfuhrprobleme eine Bekämpfung unmöglich oder sehr ineffizient machen. Wobei Langhammer für das Liegen- bzw. Stehenlassen der Bäume bei überlastetem Holzmarkt vom Staat eine finanzielle Förderung fordert, die mindestens so hoch ist wie die für das Aufarbeiten der Bäume in der gleichen Situation.

Totholzmangel – großes Defizit unserer Wälder

Den Borkenkäfer einfach nicht mehr zu bekämpfen – was vielen vielleicht verrückt vorkommt, kann in bestimmten Fällen durchaus Sinn ergeben. Im Nationalpark Bayerischer Wald war der Borkenkäfer in jüngerer Zeit der Auslöser für eine ungeheure Walddynamik, die zwar vor allem am Anfang nicht jedem gefiel, aber auch erst einen Lebensraum für viele bedrohte Arten wieder zurückgebracht hat: das Totholz. Denn Totholzmangel ist eines der größten Defizite in unseren Wäldern und neben Bodenverschlechterung auch für enorme Artenverluste – eines der weltweit größten Probleme der Menschheit – hauptverantwortlich.

In Zeiten, in denen der Rohstoff Holz keinen Marktwert mehr hat und von der Holzindustrie tendenziell sogar abgewehrt wird, wäre es durchaus überlegenswert, anstatt immer noch mehr Holz auf einen völlig verstopften Markt zu werfen, die ökologische Gelegenheit zu nutzen und effektiv und einfach Totholz als Wasser- und CO2-Speicher in den Wäldern anzureichern. Also: Einfach mehr Holz in den Wäldern liegen – und dies als Beitrag zum Klima- und Artenschutz vom Staat fördern zu lassen. Natürlich nur, wenn dies der Waldbesitzer will und die Umstände es erlauben.

Überflutung des Holzmarkts und Preissturz als negative Folge der Borkenkäferbekämpfung

Zumal sich die Borkenkäferbekämpfung in den großen öffentlichen Wäldern wie den Bayerischen Staatsforsten und in den beiden Nationalparks auch sehr hinderlich auf die Möglichkeiten privater Waldbesitzer in den jeweiligen Regionen auswirkt, Käferholz aufarbeiten zu lassen und zu verkaufen. Denn sehr große Waldbesitzer wie die Staatsforsten binden durch ihre Marktmacht und wegen der großen anfallenden Holzmengen in Krisenzeiten wie jetzt regelmäßig im großen Stil Forst-Lohn-unternehmen an sich, die dann im Privatwald für die notwendigen Maßnahmen fehlen.

Die großen Käferholzmengen verstopfen zudem aktuell einen völlig überfüllten Holzmarkt und bewirken nicht nur einen immensen Preisverfall beim Käferholz, sondern lassen seit geraumer Zeit auch schon den Frischholzpreis für Nadelholz kontinuierlich sinken. Weil aber für einen wirksamen Waldumbau auch Fichten gefällt und verkauft werden müssen und im Privatwald Erträge aus dem Holzverkauf notwendig sind, um die Kosten des überlebenswichtigen Waldumbaus stemmen zu können, ist die zusätzliche Belastung des Marktes durch Hölzer aus den staatlichen Wäldern von Nachteil.

Vor diesem Hintergrund ist eine Ankündigung Söders bedeutsam, mit der er Ende Juli Freund und Feind gleichermaßen überraschte, nämlich die Bewirtschaftung der bayerischen Staatswälder einem Paradigmenwechsel zu unterziehen, weg vom „reinen Wirtschaftswald“ hin zum „Klimawald“. Die Staatswälder sollten in Zukunft „nicht die Staatseinnahmen füttern, sondern CO2-Speicher sein“. Es wird sich im weiteren konkreten Vorgehen zeigen, wie ernst es Söder mit dieser Ankündigung ist.

Naturverjüngung als Alternative

Was die oben erwähnten Aufforstungsinitiativen angeht, gäbe es da auch eine elegante Möglichkeit, einige dieser vielen Millionen Bäumchen auch mit wenig Einsatz und noch weniger Geld gewissermaßen frei Haus geliefert zu bekommen: Nämlich durch die gute, alte Naturverjüngung.

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, den Wald umzubauen: Durch künstliche Verjüngung, also durch Pflanzung oder Saat, die überall dort angewendet wird, wo die Naturverjüngung nicht möglich ist, z.B. wenn die gewünschten Altbäume nicht vorhanden sind. Der Nachteil dabei: Waldumbau durch Pflanzung oder Saat ist teuer.

Ganz anders ist das bei der Naturverjüngung, hier entwickeln sich aus den Samen der Altbäume die nächste Baumgenerationen. Die gewünschten Baumarten werden dann später durch waldbauliche Maßnahmen und im Idealfall eine waldfreundliche Jagd gezielt gefördert. Diese Methode hat die großen Vorteile, dass Bäume aus Naturverjüngung im Allgemeinen bessere Wurzeln, mehr Halt im Boden und ein besseres Wachstum aufweisen.

Nur Klimaschutz wirkt langfristig gegen Waldsterben

Die große Schattenseite bei der Naturverjüngung ist, dass sie oft genug aufgrund von zu hohem Wildbestand ausfällt. Denn anstatt endlich ein modernes Schalenwildmanagement auf Grundlage neuester wildbiologischer Erkenntnisse einzuführen, verteidigen CSU und Freie Wähler im Landtag nach wie vor die Interessen des Bayerischen Jagdverbandes wie etwa die Pflicht auf Vorlage der Trophäen bei den jährlichen Jagdhegeschauen – das Sinnbild für eine überholte Trophäenjagd schlechthin – und etwa den Abschuss von Eichelhähern.

Dass letzterer durch das Verstecken von Eicheln und Bucheckern ein wichtiger Helfer bei der natürlichen Waldverjüngung ist, wird da gern zugunsten einer angeblich schmackhaften Eichelhäherbrustsuppe beiseite geschoben. Hier wünschen sich viele Waldbesitzer von der Staatsregierung mehr Einsatz zu ihrem Wohl.

Die langfristig wichtigste Maßnahme, um dem neuen Waldsterben entgegenzutreten, wäre freilich, endlich eine echte, wirksame Klimaschutzpolitik einzuleiten, die den Namen verdient. Denn bei allen Anpassungsstrategien wird nur ein konsequenter Klimaschutz und ein moderater Anstieg der Temperaturen unseren einheimischen Baumarten eine Chance für die Zukunft geben.

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Artikel aus: MUH34 / Herbst 2019, MUH Verlag GmbH
Wir danken Jens Schlüter und Josef Winkler von MUH für die zur Verfügungstellung dieses spannenden Artikels.

Artikelfoto: © Dieter Manhart

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Jens Schlüter

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