Charles Eisenstein schreibt in seinem Essay Wut, Mut, Liebe!:
Was wird durch CO2-Bilanzierung entwertet? Was wird nicht gezählt? Nun, zum Beispiel Ökosysteme. Der Technologieausbau von „Grüner Energie“ wie Photovoltaik, Batterien, Windrädern und Elektromobilität bedarf einer gewaltigen Ausweitung der Rohstoffförderung. Weißt du, liebe Leserin, lieber Leser, wie eine größere Förderanlage aussieht? Dabei handelt es sich nicht um ein unauffälliges Loch im Erdboden. Hier eine Beschreibung der Silbermine von Penasquito in Mexiko:
Die sich über 100 km² erstreckende Anlage ist in ihrer Größe atemberaubend: Ein ausgedehnter offener Grubenkomplex, der sich in die Berge gefressen hat, wird flankiert von zwei Abraumhalden, die jeweils fast zwei Kilometer lang sind, sowie von einem Absetzbecken voll giftigem Schlamm, das von einer elf Kilometer langen Mauer mit der Höhe eines fünfzigstöckigen Wolkenkratzers umgeben ist. Diese Mine wird innerhalb von 10 Jahren 11000 Tonnen Silber produzieren; dann sind ihre Reserven – die größten weltweit – erschöpft. Wenn man die Weltwirtschaft auf erneuerbare Energien umstellen will, müssen wir bis zu 130 Minen im Ausmaß von Penasquito in Betrieb nehmen. Und das nur für Silber. Ähnliche Minen werden gebraucht, um den wachsenden Bedarf an Kupfer, Neodym, Lithium, Kobalt und andere Mineralien, die für erneuerbare Energien gebraucht werden, zu decken. Jedes Projekt vernichtet wieder ein Stück Wald und Teile anderer Ökosysteme, verseucht das Grundwasser und erzeugt Unmengen giftiger Abfälle. Zum ökologischen Leid kommen unsägliches soziales Leid und eine Geopolitik im Stil von jener rund um Erdöl. Die anderen großen Technologien für erneuerbare Energie – Wasserkraft und Biomasse – sind in industriellem Umfang womöglich noch verheerender für die Umwelt als Bergbau: Sie entwurzeln Menschen und zerstören Ökosysteme. Es kann doch nicht ds Anliegen von uns Umweltschützern sein, die Lebewesen der Erde zu Sprit und ihre Flüsse zu Kraftwerken zu machen!
Euch, denen an dieser Erde etwas liegt, bitte ich: Überlegt gut, was ihr euch wünscht. Hütet euch vor falschen Forderungen. Hütet euch vor den zu geringen Forderungen, die in Wirklichkeit gar nichts ändern oder womöglich mehr Schaden anrichten als nützen. Hütet euch vor raschen Lösungen, die durch euer Drängen und eure Hast begünstigt werden. Manche davon könnten das Problem verschlimmern; das sind die Lösungen, die für die etablierten Mächte akzeptabel sind, weil sie deren Fundamente nicht bedrohen.
In seinem Essay "Wut, Mut, Liebe!" nimmt Kulturphilosoph Charles Eisenstein die politischen Protestbewegungen der vergangenen Jahre in den Blick. Dabei beleuchtet der Vordenker der Occupy-Bewegung nicht nur zentrale Motive, sondern auch Erfolge und Niederlagen des politischen Aktivismus. Für ihn ist klar, dass ein Aufbegehren gegen »alles und jeden« nicht ausreicht, um die Dinge zum Positiven zu verändern. Um der Ausbeutung von Mensch und Natur endlich Einhalt zu gebieten, bedarf es einer »Revolution der Liebe«, ein ganzheitliches Fühlen und Handeln, das die Verbundenheit aller Menschen, aber auch die Verbundenheit von Mensch und Natur ins Zentrum stellt.
In seinem Buch "Klima. Eine neue Perspektive" wirft Eisenstein zudem einen ganzheitlichen Blick auf die Umwelt- und Klimakrise.