Bei einer Recherche zum Thema freie Bildung werden die Mechanismen eines Systems sichtbar, in dem Eigenverantwortung und selbstbestimmtes Denken nicht vorgesehen sind.
„Freilernen oder Unschooling bezeichnet ein vom jungen Menschen selbstgesteuertes Lernen in seinem jeweiligen Lebensumfeld, im Unterschied zum Schulunterricht und zur klassischen Form des Hausunterrichts“, heißt es auf der Homepage des Vereins Freilerner. Bei dieser Art des Lernens gibt es keinen geplanten Unterricht oder bestimmte Zeiten am Tag, für die schulähnliche Aktivitäten vorgeschrieben sind. Im Wissen, dass Lernen und Bildung immer und überall stattfinden und an keinen Ort und keine Institutionen gebunden sind, erfolgt das Lernen nicht durch extrinsische, sondern ausschließlich durch intrinsische Motivation. Der junge Mensch entscheidet selbst, welchen Interessen er wann nachgeht. Freilernen bedeutet auch, die eigenen Talente zu erkennen und auszubauen.
Das klingt nach einer wünschenswerten Zukunftsvision für die Jüngsten unserer Gesellschaft. Doch so einfach ist es nicht: Menschen, die die Bedürfnisse ihrer Kinder ernst nehmen und Eigenverantwortung für deren Bildung übernehmen möchten, sind bei uns nicht gerne gesehen. Freilernen ist gesetzlich nicht erlaubt, der in Österreich gestattete häusliche Unterricht wird den Eltern zunehmend erschwert. In einem offenen Brief an das Bildungsministerium schreibt die Initiative Freie Bildungswege: „Mit großem Bedauern stellen wir fest, dass der, im Staatsgrundgesetz dem öffentlichen Schulwesen gleichgestellte, häusliche Unterricht, mit bereits im Jahr 2022 vollzogenen und jetzt neuerlich geplanten Verschärfungen der gesetzlichen Grundlagen, offenbar so unattraktiv und so ungleich wie möglich gestaltet werden soll.“ Der Brief wurde von mehr als 200.000 Menschen unterstützt.
„Unser Bildungssystem hat unsere Köpfe genau so ausgebeutet, wie wir die Erde ausbeuten: um eines bestimmten Rohstoffes willen. Für die Zukunft wird uns das nichts nützen. Wir müssen unsere fundamentalen Prinzipien, nach denen wir unsere Kinder bilden, überdenken." Sir Ken Robinson
Ivan Illich schreibt in „Die Entschulung der Gesellschaft“: "Schule ist das wirksamste Instrument zur Vorbereitung der Kinder auf ein entfremdetes Leben unter Leistungs- und Konsumdruck.“ Ich spreche mit Freilerner-Pionierinnen, höre von Geldstrafen und entzogener Obsorge, weil verantwortungsvolle Eltern sich weigern, ihre Kinder gegen deren Willen eine Schule besuchen zu lassen. Vom Kampf gegen Windmühlen in Form eines starren, veralteten Schulsystems. Vom Vorwurf der „Sekte“ oder „Ideologie“. Ein Gedanke formt sich: Was nicht sein darf, weil es dem alten System widerspricht, wird diskreditiert, in die rechte Schublade gesteckt, als verschwörerisch und /oder esoterisch abgetan. Egal, ob es um freie Bildung, natürliche Heilmittel oder Friedensbewegungen geht.
In Ländern wie Großbritannien oder in Teilen der USA und Kanadas ist Freilernen aufgrund von guten Erfahrungen übrigens nicht nur erlaubt, sondern wird sogar gefördert. Und auch bei uns möchten immer mehr Menschen ihre Kinder eigenverantwortlich und ohne Stundenplan lernen lassen.
André Stern , bekannt aus Erwin Wagenhofers Film Alphabet, beschreibt in seinem Buch „..und ich war nie in der Schule“, wie er als Kind und Jugendlicher umfangreiches Wissen in sich aufsaugte und unterschiedlichste Fertigkeiten erlernte. Eine Mitgründerin des Vereins Freilerner erzählt von aufgeschlossenen, selbstbewussten Jugendlichen, die diesen Weg gegangen sind. Eine Freundin, die selbst für ihre Kinder den Weg des Freilernens gewählt hat, sagt: „Ja, es wird enger, weil ihnen (den Verfechtern des alten Systems) die Felle davonschwimmen. Die Menschen machen sich immer mehr auf den Weg.“ Sie hat mit ihrer Familie Deutschland verlassen, um für ihre Kinder, die dem Leistundsdruck in der Schule nicht standhielten, neue Wege zu finden. Die Familie lebt nun in Dänemark – einem Land ohne Schulpflicht.
Es findet gerade in vielen relevanten Bereichen ein Paradigmenwechsel statt, doch Veränderungen schreiten nur langsam voran. Es scheint, als ob das alte System mit aller Macht um seinen Erhalt kämpft und jene, die neue Wege beschreiten möchten, gefordert sind, dran zu bleiben.
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