"Das Lager ein KZ?" – Wir entschuldigen uns
"Das Lager ein KZ?" – Wir entschuldigen uns
Brennstoff Redaktion , Heini Staudinger | 31.07.2023 | 7 Minuten

Auf unser Betreff ... "das Lager, ein KZ?" haben wir ein zorniges Email bekommen.
Die Leserin schreibt "sehr traurig und absolut UNZULÄSSIG" ... bitte lest ihren Brief selber. Ich würde diesen Vergleich nicht mehr wiederholen.



Zum Mail unserer Leserin:

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Wer hat das geschrieben?
Weiß die Person, was ein KZ war?
Werden dort systematisch zu
100 000en Menschen vergast und verbrannt? Vorher zu medizinischen Versuchen bei lebendigem Leib gefoltert, bis zum Tod?
Es gibt einen Tatbestand der Verharmlosung!
Ist das dem Verfasser bekannt?

Vollkommen klar, dass heute geflüchtete Menschen menschenunwürdig behandelt werden. Und zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken und aus niederträchtigen politischen Gründen nicht gerettet werden.
Sehr traurig und absolut UNZULÄSSIG.
Ich bin seit langer Zeit sehr aktiv dagegen und engagiert für geflüchtete Menschen.

Doch dieser Vergleich!
NEIN! UNZULÄSSIG!

BITTE UM EINE RICHTIGSTELLUNG, die eine Relativierung der nationalsozialistischen KZs ablehnt, im nächsten Mail!




Liebe Vera (der name geändert),

Ich würde diesen KZ Vergleich nicht wiederholen. Ich will Dich ja nicht verärgern, schon gar nicht kränken. Du fragst, ob ich weiß, was ein KZ war? ... Oh ja, ich habe in meinem Leben einige KZ's besucht. Ich weiß, was dort passiert ist. Was heißt "ich weiß", - ich habe eine Ahnung davon, hab viel darüber gelesen, und einige Biografien, die im KZ geendet haben, gingen mir persönlich ganz nahe.

Einer meiner Lehrer war total verkrüppelt, weil "sie" ihm im KZ alle Knochen gebrochen haben. Übrigens, - dieser Lehrer hat sich im KZ vorgenommen, dass er - würde er das KZ überleben - sein ganzes Leben gütig sein wolle ... Er war der gütigste Lehrer, den man sich vorstellen kann. Ein "nicht genügend" gab es nicht. Ich war einer von denen in unserer Klasse, die das ausgenützt haben. Es hat einige Jahre gebraucht, bis ich mich dafür geschämt habe.

KZ ist Wahnsinn, ist Schrecken, ist unfassbare Grausamkeit.

Sophokles` Antigone sagt: "Ungeheuer ist vieles. Nichts ist ungeheurer als der Mensch". Ich gehöre zu denen, die sich nicht damit abfinden können, dass es so ist ... und offenbar ist es so … und immer und immer wieder will ich mich damit nicht abfinden.

Was ich gesehen habe

Ich habe Flüchtlingslager besucht. Habe dort schreckliche Umstände vorgefunden. Habe mit eigenen Augen gesehen, wie Menschen Menschen ausbeuten und missbrauchen. Ich habe in Süditalien Lager gesehen, die tatsächlich so organisiert sind wie KZ's ... Kapos**, selber Flüchtlinge, pushen, quälen und überwachen Leidensgenossen. Achtung. Ja. Genau dieser Kapo-Wahnsinn läuft jetzt. Läuft auch heute. Diese Form des Zwanges, der Ausbeutung usw … ist der Grund, warum aus dieser Gegend die billigsten Tomaten Europas herkommen. Die Kapos** sind zuständig, dass in der unsäglichen Hitze die maximale Leistung erzielt wird. Diese Kapos**, ja, diese Kapos bekommen für ihre Drecksarbeit Vergünstigungen. Lassen sie Güte walten, werden sie selbst umso härter bestraft.

Der Jesusfilm von Milo Rau "Das neue Evangelium" zeigt diese Ausbeutung in Süditalien. Er zeigt auch einen Weg ... Der Jesusdarsteller dieses Films, Ivan Sagnet, hat mich durch diese Ghettos geführt. Ich bin kein ängstlicher Mensch, und doch war es so, dass ich mich ohne ihn nicht getraut hätte dort auch nur 15 Minuten zu bleiben.

Oh ja, ich weiß, die KZ's der Nazis waren noch einmal was Anderes. Die systematische Ausbeutung und Vernichtung von Millionen Menschen verträgt keine Vergleiche. In dieser Weise kann ich das gut verstehen.

Für mich ging's mit dem Kürzel KZ nie um eine Verharmlosung, sondern ausschließlich darum Unmenschlichkeit anzuprangern - mit einer einzigen Botschaft: Nie wieder, nie wieder sowas zuzulassen. Auch nicht "mildere" Formen, die Millionen und Abermillionen heute zu erleiden haben.

Liebe Vera, verzeih mir den KZ Vergleich, und doch ist es so, dass auch heute Menschen Schreckliches widerfährt. Mehr als 100 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Ohne Zweifel ist es für sie schwierig. Wüste Sahara, Mittelmeer, und oft schreckliche Lager in Europa.


Wir reden nicht nur, wir handeln

Wir unterstützen zwei Tomaten-Projekte, die beide ihre Wurzel in Süditalien haben und sich aus diesen Ghettos befreien konnten.

Das eine von Ivan Sagnet (der Jesusdarsteller). Er nennt seine „befreiten“ Tomaten, „NO CAP“ … geerntet unter Respektierung der Rechte der Arbeitskräfte, - und er meint dabei genau die, die sich aus diesen Ghetttos mit ihren Kapos befreien konnten.

Das Zweites Projekt: "Casa Sankara". Wir wollen helfen, dass diese Leute wirtschaftlich überleben können. Die Befreiung aus dem Ghetto ist das Eine, das Andere jedoch heißt, die „Tomaten der Freiheit“ verkaufen zu können um davon auch leben zu können.

Mit unserer Schuh-Spenden-Aktion wollen wir einen kleinen Beitrag leisten, dass es Menschen, die es schwer haben, ein bisschen leichter haben.

Unser Beitrag. Angesichts der großen Not ist es nur ein kleiner Beitrag und doch ist es ein Zeichen der Verbundenheit, welches wir – gemeinsam mit unseren Kunden – setzen können. „Man kann nicht allen helfen, sagt der Hartherzige, und hilft keinem“. Drum unsere Einladung: Macht mit bei unserer Tomaten-Aktion und bitte auch bei unserer Schuh-Spenden-Aktion.

Diese Aktionen helfen Menschen, die unsere Hilfe dringend brauchen können.

Das meint im Ernst,

dein/euer Heini

PS: Den Film "Das neue Evangelium" könnt ihr bald bei uns in den GEA-Läden und im Webshop erwerben. Schaut ihn euch an. Er lehrt vieles.

**Aus Wikipedia: Kapo, auch Capo, war die Bezeichnung der Position eines Funktionshäftlings in einem Konzentrationslager in der Zeit des Nationalsozialismus. Ein Kapo wurde zu einem Mitarbeiter der Lagerleitung und musste andere Häftlinge beaufsichtigen. Ein Kapo musste für die SS die Arbeit der Häftlinge anleiten und war für die Ergebnisse verantwortlich. Kapos erhielten für diese Dienste Vergünstigungen, wie die Zuteilung von Alkohol oder den Besuch von Lagerbordellen. In größeren Lagern wurden Oberkapos eingesetzt.




Hier die Geschichte vom Newsletter:

Mein lieber Freund Heini!

Es ist wieder einmal geschafft und gottlob ist alles gut gegangen. Trotz vieler Probleme und Schwierigkeiten ist alles unversehrt dort angekommen, wo es dringendst gebraucht wird.

Heute ist nicht nur mein letzter Tag hier in Griechenland, es sind die letzten Stunden. Ich bin schon in Patras auf der Fähre, die gerade dabei ist, halbwegs pünktlich abzulegen.

Gestern habe ich mit meiner Freundin Justyna beim Flüchtlingslager Korinth Hilfsgüter verteilt. Die Erlebnisse waren so heftig und intensiv, dass ich mental noch lange brauchen werde, um das zu verarbeiten. Nicht nur die Einfahrt ins Lager - nur zum Ausladen des Fahrzeuges - wurde uns untersagt, wir wurden ziemlich unhöflich und gelinde gesagt "unsanft" vom Parkplatz vor dem Gelände verjagt. So mussten wir die Sachen auf Kinderwagen und in Einkaufswagen laden und ein paar Menschen aus dem Lager sind bei glühender Hitze unzählige Mal hin- und hergefahren, bis nach knapp drei Stunden schließlich alles im Lager war.

Wir wurden dann obendrein auch noch Augenzeugen einer menschenverachtenden Attacke von griechischen Polizisten auf eine afrikanische Mutter, die neben ihren beiden Kleinkindern mit brutaler Gewalt festgenommen, ins Polizeifahrzeug gezerrt und abtransportiert wurde. Zurückgeblieben sind die beiden weinenden und schreienden Kinder. Wut und Zorn, Trauer und Betroffenheit und ein unbeschreiblich beklemmendes Gefühl der Hilflosigkeit in uns und - viele, viele Tränen, das wollte ich Dir anvertrauen, lieber Heini.

Gestern, an unserem letzten Abend habe ich die Flüchtlingsfamilie mit den Zwillingen und Justyna in eine Taverne zum Essen eingeladen. Es war dann doch ein einigermaßen versöhnlicher Abschluss.

Eine sehr ereignisreiche und auch abenteuerliche Reise geht wieder einmal zu Ende. Das Schiff hat in Patras gerade eben erst abgelegt und ich denke schon an meinen nächsten Hilfstransport...

Das war ein kurzer Reisebericht aus Griechenland. Ich umarme Dich, lieber Heini, danke Dir nochmals von ganzem Herzen für Deine Hilfe und Unterstützung, wünsche Dir noch einen wunderschönen Nachmittag und schicke Dir herzlichste Grüße von der Olympic Champion ins wunderschöne Waldviertel.

In Liebe und Verbundenheit,

Dein Freund Jorgos

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