Der Nord-Irland Konflikt
Der Nord-Irland Konflikt
Erich Pello | 30.04.2024 | 12 Minuten

Um Patrick Magee ein wenig verstehen zu lernen, blickte ich die letzten Wochen ein wenig zurück in die englische Unterwerfungspolitik seit dem 13. Jahrhundert. Eine ihrer Konsequenzen war die „Hungersnot“, eigentlich die ökonomische Verdammung der Iren in den Hungertod:

Irland stand seit dem Jahr 1541 völlig unter englischer Herrschaft. Der Boden in Irland gehörte überwiegend englischen Großgrundbesitzern. Die irischen Bauern bearbeiteten das Land als Pächter, bauten darauf Getreide und Kartoffeln an und hielten kleine Mengen Vieh. Getreide und tierische Produkte dienten zur Pachtzahlung an die Großgrundbesitzer und wurden nach England verbracht, wohingegen die Kartoffeln, die einfach, billig und schnell anzubauen waren, das Grundnahrungsmittel der irischen Bevölkerung darstellten. Schon ein kleines Stück Land reichte, um eine Großfamilie mit Kartoffeln zu ernähren. Da etwa die Hälfte der acht Millionen Iren sich ausschließlich von Kartoffeln ernährte, entstand eine Abhängigkeit von dieser Nahrungsquelle, die Volkswirtschaftler schon vor der Hungersnot als große Gefahr erkannt hatten.

Das als Große Hungersnot (irisch An Gorta Mór; englisch Irish potato famine) in die Geschichte eingegangene Hungersnot zwischen 1845 und 1849 war die Folge mehrerer durch die damals neuartige Kartoffelfäule ausgelöster Missernten, durch die das damalige Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung Irlands, die Kartoffel, vernichtet wurde. Die Folgen der Missernten wurden durch die Laissez-faire-Ideologie und die wirtschaftsliberale Politik der Whig-Regierung unter Lord John Russell noch erheblich verschärft.

Infolge der Hungersnot starben eine Million Menschen, etwa zwölf Prozent der irischen Bevölkerung. Weitere zwei Millionen wanderten aus. Von dem massiven Bevölkerungsverlust hat sich Irland bis in die Gegenwart nicht erholt. Gemäß der damals herrschenden wirtschaftspolitischen Ideologie und den daraus resultierenden Prinzipien des laissez-faire sollte sich der Staat möglichst wenig in die Wirtschaft einmischen. Ein Eingriff des Staates in den Handel und die Verteilung von Nahrungsmitteln wurde als Verstoß gegen dieses laissez-faire angesehen. Deshalb wurden unter Anderem ein zeitlich befristetes Verbot des Exports von irischem Getreide und auch ein Verbot der Alkoholdestillation aus Lebensmitteln trotz der Hungersnot nicht in Betracht gezogen, obwohl sich diese Maßnahmen bei früheren Missernten als sehr erfolgreich erwiesen hatten. Die Ablehnung dieser in der Vergangenheit oft praktizierten Staatsinterventionen markierte einen radikalen Politikwechsel. Darüber hinaus führten die europaweiten Missernten in den Jahren 1846 bis 1849 zu einer steigenden Nachfrage nach Weizen, während viele europäische Staaten gleichzeitig den Export von Lebensmitteln unterbanden, um in ihren Ländern eine Hungersnot zu verhindern. Dies bewirkte, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Irland in den Jahren der Hungersnot mehr Weizen exportierte als in den Jahren zuvor.

Die Iren erlebten zu ihrer großen Verbitterung, dass große Mengen an Nahrungsmitteln von Irland nach England verbracht wurden, während über 1.000.000 Iren verhungerten. Während der fünfjährigen Hungerperiode hindurch war Irland ein Nettoexporteur für Nahrungsmittel.

Von 1845 bis 1855 verließen schätzungsweise fast zwei Millionen Iren das Land. Ungefähr drei Viertel von ihnen wanderten nach Nordamerika aus, die restlichen 25 Prozent gingen nach Großbritannien und Australien. An Bord der schlecht ausgestatteten Emigrationsschiffe waren Krankheiten und Seuchen verbreitet, was ihnen den Namen coffin ships („Sargschiffe“) einbrachte.[22] Weil man fürchtete, dass sie Seuchen einschleppten, wurden die irischen Einwanderer zumeist nicht sehr erfreut empfangen.

Diejenigen, die die Überfahrt überlebten, gehörten in ihrer neuen Heimat jeweils zu der untersten Gesellschaftsschicht. Aufgrund ihrer katholischen Konfession und ihrer Herkunft waren sie mit Vorurteilen konfrontiert. Um überleben zu können, übernahmen sie schwerste und schmutzige Arbeit zu sehr niedrigen Löhnen, was ihnen den Hass der angestammten Arbeiterklasse eintrug, der die Iren zur Konkurrenz wurden. Die irischen Frauen arbeiteten als Dienstbotinnen und in Textilfabriken, die Männer beim Bau von Eisenbahnlinien und Kanälen oder im Bergbau. Viele Männer kamen bei diesen gefährlichen Tätigkeiten ums Leben. Nach einer Redensart war „unter jeder Eisenbahnschwelle ein Ire begraben“. Obwohl, oder gerade weil sie zur untersten Schicht der Bevölkerung gehörten, war der Zusammenhalt unter den irischen Emigranten sehr groß. Man besann sich auf die alten Traditionen und unterstützte die in Irland gebliebenen Verwandten. Viele Irisch-Amerikaner nahmen auf der Seite der Union am Amerikanischen Bürgerkrieg 1861–65 teil. Sie sahen darin eine Vorbereitung auf den Kampf gegen England.

Eine weitere Folge war der beinahe völlige Untergang der irischen (gälischen) Sprache. Diese war bereits vor der Hungersnot im Rückgang begriffen, da im 18. Jahrhundert das Englische zur Sprache der oberen Gesellschaftsschicht, der Verwaltung und Regierung geworden war und wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg sowie politische Aktivitäten an die englische Sprache gebunden waren. 1841 sprachen noch vier Millionen Iren Gälisch. Sie gehörten aber größtenteils der unteren Gesellschaftsschicht an, die der Hungersnot hauptsächlich zum Opfer fiel. 1851 sprachen nur mehr etwas weniger als 25 % der Bevölkerung Gälisch. Die irischsprachigen Emigranten gaben ihre Sprache zu einem großen Teil auf und ließen ihre Kinder stattdessen Englisch lernen, um ihnen Verständigungsprobleme zu ersparen.

Die Hungersnot hatte aber nicht nur Einfluss auf die irische Sprache. Angesichts der großen Not, der vielen Toten und Emigranten waren viele alte Bräuche, Lieder und Tänze in Vergessenheit geraten.

Die sozialen und politischen Verhältnisse, die die Katastrophe mit verursacht hatten, blieben nach der Hungersnot, in den 1850er- und 1860er-Jahren, zunächst unverändert. Historiker spekulieren, dass die traumatischen Erfahrungen der Hungersnot derart schwer auf der irischen Bevölkerung lasteten, dass politischer Aktivismus dadurch weitgehend gelähmt wurde.

Längerfristig wuchs jedoch infolge der Hungersnot das (auch gewaltsame) Bestreben nach einer Änderung dieser Verhältnisse und nach der Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien. Denn zwar war die Situation bereits vor 1845 – nach Jahrhunderten englischer Fremdherrschaft – angespannt gewesen, und immer wieder war es zu Aufständen gekommen; die Reaktion Großbritanniens auf die Hungersnot wurde aber von einem großen Teil der Bevölkerung als harte und unmenschliche Haltung empfunden und trug so zu einer Steigerung des Hasses auf England bei. Wäre vor der Hungersnot eine friedliche Lösung auf dem Verhandlungstisch vielleicht noch denkbar gewesen, so schien danach Gewalt als legitimes, wenn nicht einziges Mittel, um die Unabhängigkeit Irlands zu erreichen.

Sinead O’Connor’s Lied - Famine/Hungersnot:

Okay, ich möchte über Irland sprechen
Okay, I want to talk about Ireland

Konkret möchte ich über die Hungersnot sprechen
Specifically I want to talk about the famine

Darüber, dass es nie wirklich eine gab
About the fact that there never really was one

Es gab keine Hungersnot
There was no famine

Seht, die Iren durften nur Kartoffeln essen
See Irish people were only allowed to eat potatoes

Alle anderen Lebensmittel
All of the other food

Fleisch, Fisch, Gemüse
Meat, fish, vegetables

Wurden unter bewaffneter Bewachung außer Landes verschifft
Were shipped out of the country under armed guard

Nach England, während das irische Volk hungerte
To England while the Irish people starved

Und dann, mittendrin
And then, in the middle of all this

Gaben sie uns Geld, um unseren Kindern nicht Irisch beizubringen
They gave us money not to teach our children Irish

Und so haben wir unsere Geschichte verloren
And so we lost our history

Und das ist es, was mir meiner Meinung nach immer noch wehtut
And this is what I think is still hurting me

Sehen Sie, wir sind wie ein Kind, das misshandelt wurde
See we're like a child that's been battered

Es muss sich aus Angst aus dem Kopf schlagen
Has to drive itself out of it's head because it's frightened

Spürt immer noch all die schmerzhaften Gefühle
Still feels all the painful feelings

Aber sie verlieren den Kontakt zur Erinnerung
But they lose contact with the memory

Und das führt zu massiver Selbstzerstörung
And this leads to massive self-destruction

Alkoholismus, Drogensucht
Alcoholism, drug addiction

Alles verzweifelte Fluchtversuche
All desperate attempts at running

Und zwar in ihrer schlimmsten Form
And in it's worst form

Wird zum tatsächlichen Töten
Becomes actual killing

Und ob es jemals Heilung geben wird
And if there ever is gonna be healing

Es muss Erinnern geben
There has to be remembering

Und trauern
And then grieving

Damit es Vergebung geben kann
So that there then can be forgiving

Es müssen Wissen und Verständnis vorhanden sein
There has to be knowledge and understanding

All die einsamen Menschen
All the lonely people

Woher kommen sie alle?
Where do they all come from?

Eine Verordnung der amerikanischen Armee
An American army regulation

Sagt, man sollte nicht mehr als zehn Prozent einer Nation töten
Says you mustn't kill more than ten percent of a nation

Denn dies führt zu dauerhaften psychischen Schäden
'Cause to do so causes permanent psychological damage

Es ist nicht dauerhaft, aber das wussten sie nicht
It's not permanent but they didn't know that

Jedenfalls während der angeblichen Hungersnot
Anyway, during the supposed famine

Wir haben weit mehr als zehn Prozent unserer Nation verloren
We lost a lot more than ten percent of our nation

Durch Todesfälle im Land oder auf Auswanderungsschiffen
Through deaths on land or on ships of emigration

Aber was uns letztendlich zerbrach, war nicht der Hunger
But what finally broke us was not starvation

Aber sein Missbrauch um unsere Bildung zu kontrollieren
But it's use in the controlling of our education

Schulen reden über „Black 47“
Schools go on about "Black 47"

Immer weiter über „Die schreckliche Hungersnot“
On and on about, "The terrible famine"

Aber was sie nicht sagen, ist die Wahrheit
But what they don't say is in truth

Es gab wirklich nie einen
There really never was one

All die einsamen Menschen
All the lonely people

(Es tut mir leid, entschuldigen Sie)
(I'm sorry, excuse me)

Woher kommen sie alle?
Where do they all come from?

(Tatsächlich kann ich es Ihnen mit einem Wort sagen)
(In fact, I can tell you in one word)

All die einsamen Menschen
All the lonely people

Wo gehören sie alle hin?
Where do they all belong?

Werfen wir also einen Blick darauf, ja?
So let's take a look, shall we?

Die höchste Kindesmissbrauchsstatistik in der EWG
The highest statistics of child abuse in the EEC

Und wir sagen, wir sind ein christliches Land
And we say we're a Christian country

Aber wir haben den Kontakt zu unserer Geschichte verloren
But we've lost contact with our history

Sieh, früher verehrten wir Gott als Mutter
See, we used to worship God as a mother

Wir leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung
We're sufferin' from post traumatic stress disorder

Schauen Sie sich all unsere alten Männer in den Kneipen an
Look at all our old men in the pubs

Schauen Sie sich alle unsere jungen, drogensüchtigen Leute an
Look at all our young people on drugs

Früher verehrten wir Gott als Mutter
We used to worship God as a mother

Schauen Sie sich jetzt an, was wir miteinander machen
Now look at what we're doing to each other

Wir haben uns sogar selbst zum Mörder gemacht
We've even made killers of ourselves

Die kindlichsten, vertrauensvollsten Menschen im Universum
The most child-like trusting people in the Universe

Und das ist es, was mit uns nicht stimmt
And this is what's wrong with us

In unseren Geschichtsbüchern hat uns die Elternfigur angelogen
Our history books the parent figure, lied to us

Ich sehe die Iren
I see the Irish

Als Rasse wie ein Kind
As a race like a child

Das sich selbst ins Gesicht geschlagen hat
That got itself bashed in the face

Und ob es jemals Heilung geben wird
And if there ever is gonna be healing

Es muss Erinnern geben
There has to be remembering

Und trauern
And then grieving

Damit es Vergebung geben kann
So that there then can be forgiving

Es braucht Wissen und Verständnis
There has to be knowledge and understanding

All die einsamen Menschen
All the lonely people

Woher kommen sie alle?
Where do they all come from?

All die einsamen Menschen
All the lonely people

Woher kommen sie alle?
Where do they all come from?

Aufgrund unserer Tradition
Because of our tradition

Jeder hier weiß, wer er ist
Everyone here knows who he is

Und was Gott von ihm erwartet
And what God expects him to do

Der Nordirlandkonflikt geht auf die englische Eroberung Irlands seit 1169 zurück, bestand also bereits lange, bevor Nordirland nach dem Unabhängigkeitskrieg Irlands 1921 beim Königreich Großbritannien blieb. Die abermalige Eskalation des Konflikts von 1969 bis 1998 kann auf die Neu-Formierung der Ulster Volunteer Force (UVF) im Jahr 1966 zurückverfolgt werden. Diese illegale, loyalistische und paramilitärische Organisation wurde von einigen radikalen Protestanten gegründet, die an eine bevorstehende Wiederbelebung der IRA aufgrund des 50. Jahrestages des Osteraufstands glaubten. „Wir erklären der IRA und ihren Splittergruppen den Krieg. Bekannte IRA-Männer werden von uns gnadenlos und ohne Zögern exekutiert. (…) Wir dulden keine Einmischung – von welcher Seite auch immer – und warnen die Behörden vor weiteren beschwichtigenden Reden. Wir sind schwer bewaffnete Protestanten und unserer Sache voll ergeben.“

Der Osteraufstand (irisch Éirí Amach na Cásca, englisch Easter Rising) von 1916 war ein Versuch militanter irischer Republikaner, die Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien gewaltsam zu erzwingen. Er schlug militärisch fehl, gilt aber als Wendepunkt der irischen Geschichte, der 1922 zur Unabhängigkeit als Irischer Freistaat führte.

Der Konflikt in und um Nordirland hat zwischen 1969 und 1998 über 3 500 Todesopfer gefordert, von denen mehr als die Hälfte Zivilisten waren. Fast 3.300 der Opfer starben innerhalb Nordirlands. Die nur etwa 14.100 Quadratkilometer große britische Provinz im Nordosten der irischen Insel mit ihren knapp 1,6 Millionen Einwohnern hatte ferner über 40 000 Verletzte zu beklagen, über 18 000 Anklagen wurden wegen „terrorist or serious public order type offences“ erhoben und die Zahl derjenigen, die einmal verhaftet und verhört worden sind - ohne, dass später gegen sie Anklage erhoben wurde, dürfte mehrere Zehntausend betragen.

Patrick: Zwischen Jo und mir ist das große Thema die Anwendung von Gewalt. Ich kann nicht behaupten, dass ich der Gewalt abgeschworen habe, obwohl ich nicht glaube, dass ich ein gewalttätiger Mensch bin und mich gegen sie ausgesprochen habe. Ich bin zu 100 % für den Friedensprozess, aber ich bin kein Pazifist, und ich könnte zukünftigen Generationen, die sich irgendwo auf der Welt unterdrückt fühlen, niemals sagen: "Nimm es hin, leg dich hin und nimm es hin."

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