von David Bollier [Teil 1 des zweiteiligen Artikels]
Nur eine Autostunde nordöstlich von Cusco in Peru trifft man auf idyllische Bergseen, die Ruinen der Inka sowie die weltweit größte Vielfalt an Kartoffeln. Hier werden etwa 2.300 der 4.000 uns bekannten Kartoffelsorten angebaut, was die Region zu einer der agridiversesten, also landwirtschaftlich vielfältigsten der Welt macht. Die circa 7.000 Quechua, die dieses hochgelegene heilige Tal der Inka bewohnen, kultivieren und veredeln ihre Kartoffeln, so wie es ihre Vorfahren bereits seit 7.000 Jahren getan haben. Es ist eine beeindruckende Leistung, die einer ganzheitlichen Lebensweise entspringt, in der sich eine tiefe spirituelle Tradition, kulturelle Werte, landwirtschaftliche Techniken, verschiedene Formen des sozialen Austausches sowie ökologische Verantwortung miteinander verbinden.
Kartoffeln sind ein zentrales Element der Quechua-Kultur. Als eine Reporterin der Zeitschrift Gourmet die Region besuchte, entdeckte sie mit Erstaunen, dass offenbar jede Kartoffel für einen speziellen Zweck oder eine spezielle Zeremonie Verwendung fand: Es gab Kartoffeln, die bei Taufen gegessen wurden, eigene Kartoffeln für Hochzeiten, wie die »Brautkartoffel«, und solche für Begräbnisse. Kartoffeln wie die rote »Moro boli« sind reich an Antioxidantien, während andere, wie die bananenförmige »Ttalaco«, entweder eingeweicht oder gedämpft werden müssen oder zu Alkohol verarbeitet werden. Einige Knollen wachsen nur an Steilhängen in über 4.000 Metern Höhe. Andere sind nahezu überall anbaubar. Es ist ganz normal, dass auf dem Feld eines einzigen Bauern hunderte verschiedene Sorten wachsen, darunter auch echte Raritäten.
Die sechs Dorfgemeinschaften sagen von sich selbst, dass sie in einer Beziehung der Gegenseitigkeit mit dem Land, untereinander und mit der spirituellen Welt leben. Diese Lebensweise wird »ayllu« genannt, ein politisches, ökonomisches und soziales System, in dem »Individuen mit gemeinsamen Interessen und Zielen Normen und Prinzipien in Bezug auf den Umgang mit Menschen, Tieren, Steinen, Geistern, Bergen, Seen, Flüssen, Weiden, Nahrungspflanzen, der umgebenden Natur usw. miteinander teilen«, schreiben Alejandro Argumedo und Bernard Yun Loong Wong. Die Menschen versuchen, das »ayllu« der Runas (der Menschen, ihrer Haustiere sowie Nutzpflanzen), der Sallaka (der Wildpflanzen und Tiere) sowie der Auki Ayllu (der heiligen Wesen und der Schutzgeister der Berge) in ein Gleichgewicht zu bringen. In diesem Weltverständnis begreifen sie die Kartoffeln, Nahrungsmittel, Tiere und die ganze lebendige Natur als Geschenk der Erde. Es sind Gaben, für die sie etwas zurückgeben müssen, die sogenannten »pagos«. Das spirituelle Verhältnis zur »pachamama«, der Mutter Erde, ist ein Schlüsselfaktor des tiefen Respekts der Quechua angesichts der Großzügigkeit und Vielfalt der Erde, aber auch ihrer Begrenztheit. »Das wichtigste Ziel von ayllu«, erklären Argumedo und Loong Wong, ist das Gute Leben, das bei den Quechua Sumak Kawsay heißt.« Es bedeutet kurz gefasst, in einer ausgeglichenen und gesunden Beziehung mit »pachamama« zu leben.
Die Quechua betreiben Landwirtschaft nicht, um ihre Erträge zu maximieren und sie auf dem Markt gewinnbringend zu verkaufen. Vielmehr geht es ihnen darum, gewissenhaft den Prinzipien des »ayllu« zu folgen, dem Herzstück ihrer stabilen, regenerativen agroökologischen Praxis, die sich in dieser andinen Landschaft entwickelt hat. In der Region mit ihren unterschiedlichen Höhenlagen herrschen auf kleinstem Raum viele verschiedene Mikroklimata. So wachsen, berichtet Argumedo, auf den Hochebenen Kartoffeln und Quinoa, in den tiefer liegenden Tälern Mais, und auf den höher gelegenen Weideflächen grasen Lamas.
In den vergangenen Jahrzehnten haben transnationale Biotech- und Agrarkonzerne immer wieder versucht, sich anzueignen und zu Waren zu machen, was derartig besondere Ökosysteme hervorbringen; sie melden etwa Patente auf Saatgut oder Gensequenzen an. Häufig zahlen sie den traditionellen Dorfgemeinschaften etwas Geld, oder sie vertreiben sie einfach und zerschlagen die traditionellen Formen der Landwirtschaft. Regionen mit hoher Biodiversität gehören zu den bevorzugten Revieren solch unternehmerischer Beutezüge, die durch Biopiraterie genetische und materielle Ressourcen, welche seit Generationen als Commons behandelt wurden, zu privatisieren suchen.
Um diese Einhegung ihrer gemeinsamen Ressourcen zu verhindern, hat sich die indigene Bevölkerung des Cusco-Tales in den 1990er Jahren mit der Nichtregierungsorganisation ANDES zusammengetan und eine neue, von der indigenen Praxis ausgehende Rechtsform geschaffen: die Indigenous Biocultural Heritage Area (IBCHA). Die Idee entstand im Jahr 2000; es sollte eine speziell auf die Situation der Quechua und des Kartoffelparks zugeschnittene rechtliche Handhabe geschaffen werden, die auf der Anerkennung der indigenen Praktiken zum Umgang mit dem Biokulturerbe, dem Erhalt der lokalen Kartoffelvielfalt und dem Schutz des sensiblen Ökosystems beruhte (Argumedo 2008: 49-57).
Die Dorfgemeinschaften richteten eine geschützte agro-ökologische Region ein, den Parque de la Papa, den »Kartoffelpark«, mehr als 12.000 Hektar Land, die sie für die Agrodiversität der Pisaq-Region sowie für den Erhalt ihrer traditionellen Kultur, ihres Wissen und ihrer Lebensweise als wesentlich erachteten. Der Kartoffelpark ist ein Modell für einen gemeinschaftsbasierten und rechtlich verankerten Umweltschutz, das sich von einem anderen »Entwicklungs-« Verständnis leiten lässt als konventionelle, marktorientierte Modelle. […]
[ … zur Fortsetzung des Artikels … hier anklicken]
*****
Aus dem Buch: Welt der Commons. Muster gemeinsamen Handelns.
Hgg. von Silke Helfrich, David Bollier u. Heinreich-Böll-Stiftung
Artikelfoto: kovgabor79 / istock-photo
Autor
David Bolller ist ein amerikanischer Commons-Experte und -Aktivist, Blogger und Berater; Autor zahlreicher Beiträge und Bücher zum Thema „Commons als neuem Paradigma für Wirtschaft, Politik und Kultur“; sowie Mitbegründer der „Commons Strategies Group“.