»Ich kämpfe für eine nachhaltige Zukunft"
»Ich kämpfe für eine nachhaltige Zukunft"
Manuel Gruber | 13.04.2023 | 17 Minuten

Eryn Wise protestierte 2016 im Standing Rock Reservat in North Dakota gegen den Bau der Dakota Access Pipeline. Die Pipeline sollte direkt unter den Missouri River, die einzige Wasserversorgung des Standing Rock Sioux Stammes, gebaut werden. Unter dem Motto »Wasser ist Leben, Mni wiconi« entwickelte sich die Protestbewegung innerhalb weniger Wochen zum größten Umweltprotest in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Die lokale Regierung reagierte auf die friedlichen Proteste mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschoßen. Dies brachte dem Fall internationale Aufmerksamkeit, weltweite Solidaritätskundgebungen und die Unterstützung zahlreicher NGOs und tausender US-Kriegsveteranen vor Ort. Im Dezember 2016 konnten die Aktivisten einen vorläufigen Sieg verzeichnen und die Einstellung der Bauarbeiten erzwingen. Unter Präsident Trump, einem ehemaligen Aktionär der Betreiberfirma Energy Transfer Partners, wurde der Bau der Pipeline wiederaufgenommen, Mitte 2017 wurde sie fertiggestellt.

Heute kämpft Wise gegen den Bau der neuen Line 3 Pipeline in Minnesota und ist Vorsitzende des International Indigenous Youth Councils. Im Interview mit Brennstoff Online spricht sie über die Entstehung der Protestbewegung, die Situation der indigenen Bevölkerung in den USA und ihre Hoffnung in die Jugend.

Wie ist die Protestbewegung gegen die Dakota Access Pipeline losgegangen?

Die Proteste gegen wurden von einer Gruppe Jugendlicher initiiert, die Barack Obama 2014 bei dessen Besuch in ihrem Reservat kennenlernten. Sie waren damals zutiefst bewegt, weil er ihnen gesagt hatte, dass er sie liebe und sie wie seine eigenen Kinder schützen werde. Zu diesem Zeitpunkt war das Pipeline-Projekt jedoch seit zwei Jahren in Planung und der Baustart stand kurz bevor. Als sie das herausfanden, marschierten sie 3000 Kilometer zu Fuß nach Washington, um ihn aufzusuchen und Aufmerksamkeit auf den Fall zu lenken. Sie wurden von Obama nicht angehört. Nach ihrer Rückkehr besprachen sie mit den Stammesältesten ihr weiteres Vorgehen. Diese stellten ihnen dann Land zur Verfügung, durch das die Pipeline gehen sollte und sie besetzten es. Ich glaube, dass sich die zehn kaum vorstellen konnten, dass ihr Vorgehen in einer Bewegung enden würde, mit der sich mehrere Millionen Menschen aus allen Teilen der Welt solidarisierten.

Wie sind Sie Teil der Proteste geworden?

Ich las damals einen Artikel über die Jugendlichen, die nach Washington aufbrachen. Meine Geschwister hatten zu diesem Zeitpunkt gerade ihren Abschluss an der High School gemacht und ihre Mutter rief mich damals an und bat mich, irgendetwas mit ihnen zu tun, das ihnen in die nächste Phase ihres Lebens hilft. Ich schickte ihnen den Artikel und am nächsten Morgen rief mich ihre Mutter an und erzählte mir aufgeregt, dass die beiden all ihre Sachen gepackt hatten und mit dem Auto auf dem Weg in das 20 Stunden entfernte North Dakota seien. Als ich das hörte erinnerte ich mich an unsere Großmutter, die immer sagte: »Wenn du wissen willst, wie sehr die US-Regierung die indigene Bevölkerung hasst, musst du in die Dakotas (Anm. Nord- und Süddakota) fahren. Ich hatte das Gefühl, dass ich sie beschützen müsste vor dem was sie da vor hatten. Als ich dort ankam hatten sie bereits rund 30 Jugendliche um sie versammelt. Und sie sagten: Das ist unsere große Schwester, sie hat das Geld und ein Auto! So wurde ich unwillentlich zu einer Art Mutter für drei Dutzend Jugendliche für den kommenden, sechsmonatigen Aufenthalt.

Eryn Wise‘ Vortrag bei den Erdgesprächen 2018:

Waren Sie davor auch schon aktivistisch tätig?

Ja, das startete viel früher. Jede indigene Person wird mit dem Wissen geboren, dass sie für die nächsten sieben Generationen verantwortlich ist. Die Entscheidungen die wir treffen, haben einen Einfluss auf alle die nach uns kommen. Es ist also unsere Verantwortung, für unser Land und alle die nicht für sich selbst reden können, einzutreten. Wir werden in dem Bewusstsein erzogen, dass unsere Verwandten, die Tiere, das Wasser und die Luft ihren eigenen Geist haben. Dass Menschen, die Schönheit die allem Lebendigen innewohnt außer Acht lassen, bricht uns Indigenen, die mit diesem Bewusstsein aufwachsen, das Herz. Das war auch für die Jugendlichen der Grund, aktiv zu werden. Sie wollten nicht auf sich sitzen lassen, dass Menschen, die es nicht interessiert ob sie am Leben sind, ihnen die Zukunft verweigern.

Welche Methoden kamen für den Protest zum Einsatz?

Es gab viele Zeremonien und Stoßgebete. All unsere Aktionen waren gewaltfrei. Es gab Menschen die sich an die Baugeräte ketteten um den Baufortschritt zu behindern. Diese Menschen setzten viel auf’s Spiel. Man muss wissen: Der Bau verlief über und durch die Gräber mehrerer hundert unserer Vorfahren. Wir wiesen die Bauträger darauf hin, aber sie missachteten uns. Eines morgens waren diese heiligen Stätten komplett umgegraben. Es ist schlimm genug zu wissen, dass unsere Erde auf diese Weise entheiligt wird, noch schlimmer aber, wenn das ganze sprichwörtlich auf den Knochen unserer Vorfahren ausgetragen wird. Es ist als würden wir mit Bulldozern den Arlington Friedhof platt machen.

Das macht etwas mit einem, gibt einem Entschlossenheit, alles erdenkliche zu tun um das aufzuhalten. In den Zeremonien und Geben hielt man uns aber stets dazu an, unseren Protest auf friedliches Gebet und gewaltfreie Aktionen zu beschränken. Und das taten wir, auch wenn es emotional eine ziemliche Herausforderung darstellte. Wir beteten für die Kinder der Polizisten und Securities vor Ort.

Viele Mitglieder der Protestbewegung ketteten sich an Baumaschinen um den Bau zu verhindern. (Foto: Eryn Wise)

Wie war es in der Folge für sie, die polizeiliche Gewalt gegenüber dem friedlichen Protest mitanzuschauen?

Das war total abgefuckt. Ich habe dafür keine anderen Worte. Sie gingen mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschoßen auf uns los. Viele Jugendliche und Frauen wurden zum Teil schwer verletzt. Sie nahmen fast 900 Menschen fest und sind noch nicht einmal halb durch mit den Prozessen. Sie halten eine Freundin von uns seit Dezember 2016 als Kriegsgefangene fest. Gewalt war aber nicht nur Teil der Proteste. Obwohl wir nicht mehr in Standing Rock sind, wissen wir genau, dass die ansäßigen Gemeinden immer noch indigene Jugendliche misshandeln, schlicht dafür, dass sie indigen sind, auch solche, die nicht Teil der Protestcamps waren. Der Terror, der von der weißen Bevölkerung auf die lokalen Gemeinschaften ausgeübt wird ist grauenhaft. Und das sage ich nicht posttraumatisch, auch die Ölfirmen kämpfen ja immer noch gegen uns.

Die Polizei setzte Tränengas, Gummigeschoße und Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein.

Die Polizei riegelte Mitglieder der lokalen indigenen Gemeinschaften von ihren heiligen Stätten ab.

Der Kampf wurde in der Folge vor die Gerichte getragen…

Ja. Der Standing Rock Sioux Stamm, sowie der Cheyenne River Sioux haben eine Klage gegen Energy Transfer Partners eingereicht, mit Verweis auf Verstoß gegen ihre verfassungsmäßigen Grundrechte.

Dem gegenüber hat Energy Transfer Partners einige NGOs verklagt. Greenpeace haben sie auf 300 Millionen US-Dollar verklagt. Sie beziehen sich dabei auf das Bundesgesetz 18 U.S.C. §§ 1961–1968. Dieser »Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act«, kurz RICO, dient eigentlich dem Kampf gegen mafiöse Machenschaften. Sie werfen Greenpeace grob gesagt vor, Lügen verbreitet zu haben um Spenden zu sammeln. Vertreten werden sie dabei von der New Yorker Kanzlei Kasowitz Benson Torres, einer der Gründer, Marc Kasowitz, war lange Jahre Trumps Anwalt.

Solche Klagen gegen NGOs häufen sich. Meine Theorie ist, dass sie den NGOs und allen Unterstützern Angst einjagen wollen und sie damit daran hindern, uns neuerlich zu unterstützen. Wir waren ab einem gewissen Zeitpunkt im Herbst immerhin zu jedem Zeitpunkt mehr als 10.000 Menschen im Camp, das sich zur größten Umweltprotestaktion in der Geschichte der USA entwickelte.

Die Proteste gegen die Dakota Access Pipeline wuchsen innerhalb von Wochen auf mehr als 10.000 Unterstützer vor Ort. (Foto: Eryn Wise)

Was sind ihrer Meinung nach die Gründe für die massive Unterstützung der Protestbewegung seitens Prominenten, Umweltschützern, Gewerkschaften und am Ende sogar von Kriegs-Veteranen?

Ich denke dass indigene Menschen durch all die Jahre hindurch, vor allem durch die ungleiche Behandlung an Schulen, Angst davor hatten, sie selber zu sein. Es war schrecklich zu sagen, dass man ein Ureinwohner ist. In Nord- und Süddakota gibt es immer noch Schilder auf denen staht: Keine Hunde und Ureinwohner. Sie würden Hunde uns vorziehen. Standing Rock hat zu einem neuen Selbstbewusstsein geführt, einem Bewusstsein darüber, dass nichts falsch ist mit uns und auch nie etwas falsch war.

Wir waren teilweise überwältigt von der Solidarität. Nicht nur Persönlichkeiten wie Bernie Sanders und Susan Sarandon machten auf Standing Rock aufmerksam, Umweltschützer aus dem ganzen Land reisten an, indigene Gemeinschaften gingen in allen großen Städten zu Protestkundgebungen auf die Straße, am Ende kamen sogar Kriegs-Veteranen angereist um uns zu unterstützen. Ich denke es hat unserem kollektiven Selbstverständnis gut getan, nicht als Cowboy und Indianer wie in den Klischee-Hollywood-Filmen gesehen zu werden, sondern als Ärzte, Lehrer, ganz normale Menschen. Ich denke, das hat viele bestärkt. Warum dann so viele Menschen von außen kamen war denke ich dem Umstand verpflichtet, dass viele von ihnen uns so sahen und es ihnen plötzlich leid tat, dass sie auf unserem Land wohnen ohne unsere Einverständnis. Und dass sie uns kennenlernen wollten, weil sie sahen, dass wir ganz normale, liebevolle Menschen sind. Wir luden sie ein, Teil der Bewegung zu sein, für uns sind alle Menschen Geschwister. Und dann haben denke ich alle gespürt, dass sie Teil von etwas sind, das es so in der Geschichte noch nie gegeben hatte.

Sie starteten während des Camps eine Crowdfunding-Kampagne über die Online-Plattform gofund.me und konnten 30.000 Dollar sammeln. Wie kam es dazu?

Die Zustände vor Ort waren katastrophal. Es gab einen Wintereinbruch, das ganze Camp war mit Schnee bedeckt, es fehlte am grundlegendsten. Mit dem Geld kauften wir vor allem Lebensmittel und warme Kleidung, um die Leute vor Ort damit zu versorgen.

Das Standing Rock Camp war während der Proteste über Wochen in Schnee gehüllt. (Foto: Eryn Wise)

Im Dezember 2016 kam dann die erlösende Nachricht aus Washington, Barack Obama ließ den Weiterbau der Pipeline vorerst stoppen und ordnete eine Umweltverträglichkeitsprüfung an, die mehrere Jahre gedauert hätte.

Als wir die Nachricht gehört haben, fielen sich die Leute, die teils seit Monaten in widrigsten Verhältnissen ausharrten, in die Arme. Alle weinten. Die Nachricht war aber zu schön um wahr zu sein, das war vielen von uns schon in diesem Moment bewusst. Wir wussten, dass die nächste Regierung enge Verhältnisse zu den Betreiberfirmen hat und dass der Kampf nicht vorüber war. Der größte Fehler wäre es, Obama hierfür gut dastehen zu lassen. Es war er, der uns im Stich gelassen hat und der Mitschuld trägt, dass das Projekt nicht viel früher komplett gestoppt wurde.

Können Sie sich noch an den Tag erinnern, an dem Trump gewählt wurde?

Ja, ich kann mich sehr genau daran erinnern. Am Wahltag hatten wir keinen Empfang im Camp. Als wir dann vom Wahlausgang erfuhren, konnten wir es gar nicht glauben. Es brauchte mehrere Stunden, bis die Nachricht bei uns sickerte.

Seine ersten Amtshandlungen im Januar 2017 waren der Stopp der von Obama in Auftrag gegebenen Umweltverträglichkeitsprüfung, die Öffnung der Keystone XL-Pipeline und damit verbunden die Wiederaufnahme des Baus der Dakota Access Pipeline. Seine ersten Amtshandlungen waren also wie ein Schlag in’s Gesicht. Als würde er uns fragen wollen, wie wir überhaupt auf die Idee kommen konnten, Widerstand zu leisten.

Auf der anderen Seite ermutigte es viele Bevölkerungsgruppen, vor allem farbige, ihre Macht zurückzuerlangen. Sie sagten sich, Nicht nur du, auch deine Vorfahren nahmen rücksichtslos alles von uns und glaubten es gehöre euch. Und es gehört nicht euch. Ich denke wir haben das Recht zu existieren und das Recht, dass es uns gut geht. Wir werden für diese Rechte einstehen, daran kann auch so ein aufgeblasener, egoistischer, narzisstischer Bastard nichts ändern.

Wie hat es sich angefühlt, den Kampf zu verlieren und mitanzuschauen, wie die Pipeline weitergebaut wird?

Es war wirklich hart. Aber Pipelines kann man demontieren. Wir hatten eine Gruppe an Leuten, die die Pipeline einfach abdrehten. Diese Menschen sitzen jetzt gerade im Gefängnis, weil sie sich entschieden haben, die Pipeline abzudrehen. Wir haben es nicht geschafft, die Dakota Access Pipeline zu stoppen, aber wir haben die ganze Welt auf die Thematik aufmerksam gemacht. Und gleichzeitig entbrannte eine Diskussion über die fördernden Industrien und wir konnten neue Sichtweisen darauf liefern. Wir haben den Menschen ein Bewusstsein dafür gegeben, wie privilegiert sie sind und warum wir Indigenen uns für das, was wir richtig finden, einsetzen. Und ich bin ehrlich gesagt nicht traurig. Überall wo ich hinschaue sind neue Widerstandsbewegungen entstanden und mehr als die Hälfte der Projekte wird von Jugendlichen angeführt. Ich könnte nicht stolzer sein zu wissen, dass die Jungen, mit denen ich jeden Tag geweint und gebetet habe, heute etwas sinnvolles mit ihrem Leben machen, das Jugendliche rund um den Erdball inspiriert, ihre eigenen Aktionen zu starten.

Was hat sich an den Umständen der lokalen Gemeinschaften nach Abschluss der Bauarbeiten der Dakota Access Pipeline geändert?

Die Camps wurden vor mittlerweile zwei Jahren aufgelöst und an den Umständen der lokalen Stämme hat sich in Nord- und Süddakota nichts geändert. Im Gegenteil, es wurde noch schlimmer. Es fühlt sich schrecklich an, mit so großen Ambitionen in die Proteste gegangen zu sein und geglaubt zu haben, dass wir eine Pipeline stoppen und damit Wasser für 16 Millionen Menschen schützen könnten. Auf unseren Schultern tragen wir die Last zu wissen, wie es unseren Brüdern und Schwestern vor Ort geht. Und dass wir trotz allem Widerstand eben nur noch 0,1% der Bevölkerung darstellen, in einem Land das einst das unsere war. Jede andere Bevölkerungsgruppe hat einen Ort an den sie gehen kann. Unser Raum wird immer kleiner. Wir werden allein schon deshalb bleiben weil alles was unsere Vorfahren an Widerstand geleistet haben der Grund ist, wieso wir überhaupt existieren und es unsere Pflicht ist, uns in’s Zeug zu legen und nicht aufzugeben.

Was hat das Protest-Camp mit den Jugendlichen gemacht?

Viele von ihnen leiden heute an psychischen Problemen. Die Jugendlichen wurden mit extremer Gewalt von Seiten der Exekutive konfrontiert. Das beeinflusst noch heute ihren Alltag. Sie haben Angst wenn sie auf den Straßen der größeren Städte unterwegs sind, zucken zusammen, wenn sie einen Helikopter hören.

Auf der anderen Seite war das Camp extrem wichtig für die Jugendlichen. Die Selbstmordrate unter Jugendlichen ist in indigenen Stämmen extrem hoch, die jungen Menschen haben kaum Perspektiven. Die Menschen, die uns im Camp unterstützten brachten eine Vielfalt an Fertigkeiten mit sich, viele die die Teenager davor nicht kannten. Wir hatten von Ärzten zu Zimmermännern und Ingenieuren, die uns Solaranlagen bauten, so ziemlich alles da. Die Kinder saugten alles von ihnen auf. Als wir Standing Rock verließen, brach es ihnen das Herz. Gleichzeitig wurden sie inspiriert, etwas aus diesen neu gewonnenen Fertigkeiten zu machen. Meine kleine Schwester zum Beispiel arbeitet jetzt im Bereich Solarenergie, andere bekämpfen gerade Fracking-Projekte in New Mexico. Ich selbst bin nach Minnesota gegangen um gegen die Line 3 Pipeline zu kämpfen. Wieder andere gingen nach Lousiana um dort die Bauarbeiten am Ende der Dakota Access Pipeline zu verhindern. Es gab seit Standing Rock mehr Widerstandscamps als in unserer kompletten Geschichte. Und die Jugendlichen haben für sich erkannt, dass es nicht immer nur Menschen an vorderster Front braucht, sondern dass es dahinter Journalisten, Fotografen, Medienmacher etc. gibt, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Sie verstanden, dass jeder Mensch mit seinen Fähigkeiten ein Puzzlestein darstellt. Ich bin wirklich stolz auf sie. Dass sie entgegen all der Angst die gegen sie geschürt wurde jetzt genau die Sachen tun, von denen man ihnen gesagt hat, dass sie sie nicht tun könnten.

Welche Auswirkungen hatten die Proteste auf sie persönlich?

Auf mich vor allem psychische. Ich kann keine Feuerwerke mehr sehen und fühle mich an öffentlichen Orten nicht mehr sicher. Aber ich war nur eine Person am Rande, ich kümmerte mich um die Jugendlichen. Ich möchte gar nicht erst wissen, wie es denen geht, die an vorderster Front ihren Kopf hinhielten.

Haben Sie ein persönliches Mission Statement?

Meine Mission ist die Regierung der Vereinigten Staaten zu stürzen! (lacht). Nun, zum Teil zumindestens. Ich bin Vorsitzende des im Zeitraum der Standing Rock Proteste gegründeten International Indigenous Youth Council. Unser Ziel ist es, indigenen Jugendlichen eine Stimem zu geben und gleichzeitig ihre Zukunft sicherzustellen. Menschen unterschätzen Kinder und Jugendliche, ich denke, dass sie viel smarter sind als wir. Sie sind nicht so beeinflusst und vereinnahmt von Vorurteilen, wie wir das sind. Ich sehe es als meine Mission, die Kinder und Jugendlichen daran zu erinnern, dass da jemand war, der noch viel mehr gelitten hat als wir um uns die Möglichkeit zu geben, für die nächsten 7 Generationen aufzustehen. Und dass es wenn es durch Standing Rock einfacher wurde Widerstand zu leisten, in Zukunft mit jeder Aktion noch einfacher werden wird. Wir wollen dafür sorgen, dass der Stimme der Jugend in Zukunft mehr Gehör geschenkt wird.

Glauben Sie daran, dass Grassroots-Bewegungen systemischen Wandel erzwingen können?

Absolut! Was vielen Menschen nicht klar ist: Regierungen hat es nicht immer gegeben und sie sind keine stabilen Konstrukte. Sie haben sich zwar mit ihren Ellbögen ihren Weg reingeboxt, aber sie sind nicht von Gott gegeben. Grassroots-Bewegungen bestehen aus Menschen, die an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Und eine Bewegung kann sich über lange Zeit tragen, immer wieder neue Menschen dazuholen, die die Botschaft weitertragen. Ich denke dass Grassroots-Bewegungen der Herzschlag und Regierungen und Politik im Allgemeinen lediglich die Kleidung sind, die man über den Körper wirft. Sie sind aber nicht das Leben an sich.

Ihr Workshop im Rahmen der Erdgespräche 2018 behandelte das Thema »Grassroots Activism«. Welche Themen wurden dabei amgesprochen?

Die Gäste erzählten mir von der dritten Piste am Flughafen Wien. Ich habe ihnen im Gegenzug von einem Leck in einer Ölraffinerie nahe einer Pipeline erzählt. Dann wurde ihnen bewusst, dass das gleiche auch hier in Östereich passieren kann. Sie fühlten sich bestärkt, etwas zu tun, was widerum mir Kraft gab. Auch in Österreich müsste man mehr Jugendliche bestärken, aktiv zu werden. Ich machte ihnen Mut, indem ich sie darauf hinwies, dass möglicherweise heute ein paar Menschen böse auf sie sein werden, aber ihre Stimme gehört werden wird, wenn die Leute verstehen, dass sie mit ihrem Handeln den Menschen und ihren Kindern mehr Zeit auf diesem Planeten verschaffen. Es ist vielleicht nicht mehr möglich, die dritte Piste zu stoppen, aber die Teilnehmer hatten eine ganze Liste an anderen Dingen, die sie gerne ändern würden und das werden sie!

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Ich ziehe gerade zurück in den Südwesten. Trump hat gerade einen Nationalpark auf ein Achtel seiner Größe verringert und will dort mit Fracking beginnen. Es ist mein erklärtes Ziel, dorthinzugehen und mein eigenes Volk zu erhalten, sollte ich jemals Kinder in diese Welt setzen, sollen diese einen Platz haben, an dem sie leben können und wo es mir möglich ist, ihnen die Geschichte unseres Volkes zu erzählen. Wenn ich an Palästinenser denke und deren Kinder, die nie das Land sehen werden, aus dem ihre Vorfahren abstammten – ich will nicht, dass das gleiche mit meiner Heimat passiert. Sie haben schon so viel von uns genommen, ich lasse nicht zu, dass sie uns noch mehr nehmen.

Wenn sie einen Wunsch an die Menschheit äußern dürften, wie wäre dieser?

Ich wünsche mir, dass wir uns alle daran erinnern, dass wir Menschen sind und einander als solche behandeln. Wir haben alle eines gemeinsam und wenn Menschen aufhören sich abzusondern und ander nur anhand ihrer Haut- und Haarfarbe zu beurteilen, werden sie feststellen, dass wir im Inneren alle gleich sind. Ich würde mir wünschen, dass Menschen wieder anfangen, sich um einander zu kümmern. Ich weiß, das ist ein großer Wunsch, aber es ist einfacher zu realisieren als der Weltfrieden. Einander gut zu behandeln ist eigentlich recht einfach. Es gilt das alte Sprichwort: Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden willst.

Weiterführendes zum Thema

Autor

Manuel Gruber

Manuel Gruber ist Journalist und Filmemacher aus Wien und Mitglied des Redaktionsteams von Brennstoff Online.

Fotografie

Michael Rottmann

Michael ist Filmemacher und Fotograf aus Wien und Mitglied des Redaktionsteams von Brennstoff Online.

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Manuel Gruber

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