Mit Großzügigkeit die Welt verändern
Mit Großzügigkeit die Welt verändern
Manuel Gruber | 13.04.2023 | 22 Minuten

Nipun Mehta ist Mitbegründer des Begriffs »Giftivism«, einem Kunstwort aus Gift (Geschenk) und Activism. Seine Karriere begann im Silicon Valley, wo er noch während seines Studiums als Softwareentwickler bei Sun Microsystems begann. Ende der 90er-Jahre, am Höhepunkt der ersten Dot-Com-Ära, entwickelte sich in ihm eine wachsende innere Unzufriedenheit. Sein von Gier getriebenes Umfeld führte ihn und ein paar Freunde in ein Obdachlosenheim, wo sie bedingungslos ihre Hilfe anboten. Nachdem sie eine Website für das Obdachlosenheim gebaut hatten, gründeten sie aus dem Gefühl der inneren Zufriedenheit die NGO ServiceSpace, einen Inkubator für Gift-Economy-Projekte. Seither entwickelte er mit seiner Organisation nicht nur tausende Gratis-Websites, sondern startete eine Vielzahl von Projekten die zu internationalen Bewegungen wurden. Eines davon ist die Karma Kitchen, ein von Freiwilligen betriebenes Pop-Up-Restaurant, in dem die Rechnung immer Null ist, weil ein vorhergehender Gast bereits vorausgezahlt hat.

Mehta war Berater für Armut und Ungleichheit im Stab von Barack Obama und hat für seine Arbeit zahlreiche Awards bekommen, unter anderem den »Dalai Lama Unsung Hero of Compassion Award«. Heute hält er international Vorträge und verbreitet die Ansätze des den von ihm mitentwickelten Begriff »Giftivism« in der Arbeit mit Regierungen, Unternehmen und Organisationen.

Sehen Sie sich selbst als Aktivist?

Es kommt darauf an, wie man Aktivist definiert. Wenn die Definition eine Person ist, die versucht den Status-Quo zu verändern, um Leiden in der Welt zu lindern, dann definitiv Ja. Wenn es nur darum geht, verärgert über den Zustand der Welt und die Menschen die daran teilhaben zu sein, dann definitiv Nein. Negative Emotionen sind für mich kein Motivator. Ich denke aber sehr wohl, dass es einiges zu verbessern gibt um das kollektive Wohlergehen zu steigern. In diesem Sinne sehe ich Aktivisten als innovative Unternehmer, mit zwei wesentlichen Ausnahmen. Eine ist, dass sie für das Wohl der Menschheit und nicht für den Finanzmarkt arbeiten. Sie wissen, wie man mit intrinsischer Motivation arbeitet, anstelle von Modellen, denen die Karotte am Stiel zugrunde liegt, also Modelle von extrinsischer Bestrafung und Belohnung. Sie selbst sind empfindsam genug um viefältige Formen von Kapital zu erkennen, weit über Renditen und messbare Kennzahlen hinausgehend. Und sie tragen die Geduld in sich, die Dinge längerfristig zu sehen, im Wissen, dass ihre Umsetzung sich über Generationen spannen kann. Die zweite Ausnahme, das ist mir wirklich wichtig, ist das Verständnis dafür, wie sehr ihre innere Transformation verbunden ist mit dem externen Einfluss den sie haben. Allzu oft vergessen wir in der Hast die Welt verändern zu wollen darauf, was in uns passiert. Das führt dazu, dass wir anderen helfen, aber darauf vergessen, gütig zu denen, die uns am nächsten sind zu sein. Burnout wird dadurch zu einer Normalität. So kann es passieren, dass wir beim Bau von fünf Brücken zuvor drei verbrennen. Größen des sozialen Wandels wie Gandhi haben uns eine viel tiefere Art des Dienens gelehrt: »Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst«. Jeder der unter diesem Motto agiert stellt schnell fest, wie schwer innere Transformation ist und das verändert wie wir nach außen hin handeln. Wie Rachel Naomi Remen sagt – wenn wir helfen, sehen wir das Leben als schwach an, wenn wir Dinge in Ordnung bringen, sehen wir das Leben als ganzes. Aber nur wenn wir mit einem Verständnis darüber wie uns eine Tat ändert dienen, wird unser Dienst ein Angebot der Bescheidenheit und Dankbarkeit. Solche Taten kreieren dann umfangreiche Dominoeffekte.

Das ist nicht die verbreitetste Definition eines Aktivisten…

Genau deshalb haben wir ein neues Wort dafür erfunden – »Giftivism«, wo es nicht darum geht eine Sache gegen die andere auszuspielen. Es geht um die eine UND die andere Sache. Es geht darum beide, den Unterdrücker und den Unterdrückten zu berücksichtigen. Das ist das wahre Erbe von Persönlichkeiten wie Gandhi, Mandela, Mutter Theresa oder Martin Luther King Jr.

Welche Werkzeuge nutzt »Giftivism«?

Ich denke, dass uns alles an Werkzeugen zur Verfügung steht. Es dreht sich alles darum, sie geschickt und in der richtigen Dosierung einzusetzen. Ich zum Beispiel bin ein technologieaffiner Mensch aus dem Silicon Valley, daher ist eines der wichtigsten Werkzeuge für uns das Internet. Unsere Arbeit wird von Millionen Zeilen Code angetrieben. Gleichzeitig erlauben wir keine Werbung, weder in unseren Netzwerken, noch in unseren Emails. Uns geht es vor allem darum, Online-Netzwerke zu nutzen um Offline-Netzwerke herzustellen. Für jemanden wie Facebook ist das eine schlechte Idee, da man Offline-Netzwerke nicht weiter monetarisieren kann. Wir designen aber nicht um zu monetarisieren, daher entstehen komplett andere Muster. Technologien die auf uns zukommen, wie künstliche Intelligenz oder Machine Learning werden ähnliche Herausforderungen mit sich bringen und kollektive Anstrengung bedürfen, um die richtige Balance zu finden. Das ist normalerweise der Punkt, wo die Gesellschaft aus dem Gleichgewicht gerät, weil wir so fokussiert sind auf engstirnige Kennzahlen und kurzzeitige Effekte. Die Werkzeugkiste und Absicht eines Giftivisten ist viel breiter angelegt und kann eine gute Gegenbalance darstellen.

Nipun’s Vortrag bei der TEDxBerkeley 2012 gibt Einblicke in die Philosophie hinter ServiceSpace.

Wie kam es dazu, dass Sie ihren Job bei einer Computerfirma im Silicon Valley an den Nagel hingen und eine NGO gründeten, die das Ziel verfolgt Großzügigkeit zu verbreiten

In meinem dritten Jahr an der Universität wurde mir ein Job bei Sun Microsystems angeboten. In der Gruppe, in der ich arbeitete, waren haufenweise PhDs und ich wurde in kurzer Zeit mehrmals befördert. Das war in den späten 90ern, der Dotcom-Boom hatte gerade begonnen und fast alle meiner Kollegen starteten ihre eigenen Unternehmen. Man konnte regelrecht die Gier in der Luft spüren. Es fühlte sich an wie ein zur Schau stellen ihrer fancy Autos, großer Träume und ihrer eigenen Startups. Einiges daran war spannend, aber vielem konnte ich nichs abgewinnen. Ich fragte mich damals, ob es eine Möglichkeit gäbe, die Kreativität, den Enthusiasmus und die Energie des Valleys in eine andere Richtung zu kanalisieren. Gordon Gekko sagte uns damals bekanntermaßen »Geiz ist geil«, unsere Hypotehese war, dass Großzügigkeit besser ist. Zu Beginn waren wir vier Freunde, als erstes bauten wir eine Website für ein Obdachlosenheim. Der Gedanke dahinter war, dass wir nicht tun könnten, was die Betreiber konnten, aber eventuell konnten wir die Kapazität mit dieser einfachen Maßnahme erweitern. Eine Websites zu bauen war großartig und hat uns in der Zeit einen Haufen Aufmerksamkeit gebracht. Was uns aber viel mehr gab, war die Großzügigkeit an sich. Es hatte etwas transformierendes, regeneratives. Je mehr wir gaben, desto mehr wollten wir geben. Das galt nicht nur für mich, sondern für alle die mithalfen. Und in kurzer Zeit wuchs ServiceSpace von 4 Mitgliedern auf 40 auf 400 auf viertausend auf vierzigtausend, mittlerweile auf weit über 400.000.

2005 gingen Sie mit Ihrer Frau auf eine Pilgerreise. Wie kam es dazu?

Sechs Monate nach unserer Hochzeit warfen meine Frau und ich alle Pläne über Board, gingen zum Gandhi Ashram in Indien und entschieden uns eine Pilgerreise zu starten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir weder einen Plan, noch ein Rückkehrdatum. Zusätzlich entschieden wir, dass wenn die Ärmsten von einem Dollar am Tag leben, das ebenfalls unser Budget sein sollte. Wir machten uns wo auch immer es eine Möglichkeit gab nützlich. Wir schoben abgestorbene Autos an, halfen alten Bauern beim Verladen, reinigten Gemeinschaftseinrichtungen und erzählten Geschichten von Alltagshelden. Wir aßen, was uns angeboten wurde und schliefen wo man uns einen Platz anbot. Manchmal ging es nicht gut, das sahen wir dann als eine Übung in Verzicht. Manchmal aber passierte alles wie ein Wunder, was uns die Möglichkeit bot, uns in Dankbarkeit zu üben. Nach ca. 1000 Kilometern kamen wir an einem Kloster an und warfen eine Münze um herauszufinden, ob die Pilgerreise in uns oder extern weitergehen würde. Am Ende blieben wir im Kloster und meditierten über die nächsten drei Monate. »Springe und das Netz wird erscheinen« lautet ein altes Sprichwort. Genau diese Erfahrung machten wir. Das Springen und das damit verbundene Vertrauen flößen einem Angst ein, aber als wir es dann machten, fanden wir ein Netz aus Mitgefühl und Verbundenheit vor, das uns davor verborgen war.

Was war das berührendste Erlebnis während eurer Pilgerreise?

Während dieser Reise bemerkten wir, dass die, die am wenigsten haben am ehesten dazu bereit waren, das Unschätzbare zu ehren. In den Städten begegneten uns die Menschen mit einer unausgesprochenen Vorsicht. »Warum macht ihr das? Was wollt ihr von mir?« In den ländlichen Gegenden begegnete man uns fast ausschließlich mit einer offenherzigen Neugier, die meist überging zu einem »Hey Freund, du schaust nicht aus wie ein Einheimischer. Was ist deine Geschichte?«. In den Dörfern wurde dein Wert nicht durch deine Visitenkarte, dein berufliches Netzwerk oder deinen Gehalt bemessen. Diese Einfachheit erlaubt diesen Menschen, das Leben zu lieben und all seine Querverbindungen wertzuschätzen.

Wie drückt sich diese Wertschätzung aus?

Extrem arme Dorfbewohner, die sich nicht einmal ihr eigenes Essen leisten konnte, borgten sich Essen von ihren Nachbarn um es uns zu geben. Wenn wir es ablehnten, erklärten sie uns ganz einfach: »Für uns ist der Gast Gott. Das ist unser Angebot an das Göttliche in euch, das uns miteinander verbindet.« Nun, wie könnten wir so ein Angebot ablehnen? Straßenverkäufer beschenkten uns häufig mit Gemüse, in einem berührenden Moment hat ein armloser Obstverkäufer darauf bestanden, uns eine Scheibe Wassermelone zu schenken. Jeder den wir trafen, egal welchen Alters, war überglücklich uns den Weg zu zeigen, auch wenn sie ihn selbst nicht immer ganz kannten. Außerdem kann ich mich noch an eine Frau erinnern, die uns großzügig Wasser gab, als wir extrem durstig waren. Später erfuren wir, dass sie um 4 Uhr Früh 10 km gegangen war um diesen einen Kübel Wasser zu bekommen. Diese Menschen wissen, wie man gibt, nicht weil sie viel haben, aber weil sie wissen, wie man das Leben liebt. Sie brauchten keine Versicherung, dass wir ihnen das Gegebene jemals zurückgeben werden. Sie vertrauten viel mehr auf den Pay-it-Forward Kreis des Gebens.

Dieses Konzept war dann nach Ihrer Rückkehr die Grundlage für das Projekt Karma Kitchen. Worum geht es dabei?

Karma Kitchen ist ein Pop-Up Restaurant, das nach dem Prinzip der Gift-Economy funktioniert. Wie in jedem anderen Restaurant gehen sie hinein und bestellen eine Mahlzeit. Der einzige Unterschied ist, dass beim Bezahlen auf ihrer Rechnung Null steht. Null deshalb, weil jemand vor Ihnen für Ihre Mahlzeit gezahlt hat. Sie bekommen die Chance, für Ihren Nachfolger zu bezahlen. Die meisten Menschen denken, dass man Menschen nicht vertrauen kann und Menschen von grund auf egoistisch seien. Um ehrlich zu sein wussten auch wir beim Start nicht, ob es das Projekt lange geben würde. Es war ein Experiment bei dem sich herausstellte, dass wenn man einen starken Kontext herstellt, Menschen auf Großzügigkeit mit noch größerer Großzügigkeit reagieren. Zehntausende Menschen speisten so und die Kette ist immer noch am Leben, sie hat sich faktisch auf mehr als 23 Orte rund um den Erdball ausgeweitet. Das Projekt diente sogar als Inspiration für Grundlagenforschung an der UC Berkely, passend genannt: »Paying More When Paying for Others« (Man bezahlt mehr, wenn man für andere bezahlt).

Worauf ließe sich dieses Modell noch anwenden?

Dieses Konzept lässt sich auf weit mehr Sachen anwenden, als auf ein Restaurant. Auf sehr ähnliche Weise betreiben wir eine Riksha in Ahmedabad, ein Kunstmagazin in den USA und so viel mehr. So ein Gift-Economy Modell das einen Wandel von Transaktion zu Vertrauen kultiivert ist etwas, wonach es in unserer heutigen Gesellschaft einen großen Bedarf gibt.

Was ist Ihrer Meinung nach der Grund, dass Menschen, vor allem in den so genannten westlichen Gesellschaften, in so einer selbstzentrierten Lebensweise endeten oder anders gefragt, warum ist es überhaupt notwendig, dass man Menschen daran erinnert, großzügig zu sein?

Die heutige Kultur zieht einzelne Verdienste der kollektiven Intelligenz vor, sofortige Belohnung der Gelassenheit, Stehvermögen über unverdiente Gnade. Ausnahmslos führt dieser selbstzentrierte Ansatz dazu, dass wir uns voneinander entfernen – systemisch, sozial und spirituell. Wir sehen die Effekte dieser Entfernung auf allen Ebenen. Es ist dringend an der Zeit, dass wir wieder miteinander in Verbindung treten und Großzügigkeit ist so ein eleganter und zugänglicher Hebel um diese Kluft hin zu einem wir-zentrierten Leben und Gesellschaft zu überbrücken. Kleine Akte der Höflichkeit verbinden uns als erstes und vor allem mit uns selbst, aber natürlich auch mit anderen. Eine Matrix solcher Knoten des Vertrauens lässt die Entstehung sehr unterschiedlicher systemischer Entwürfe zu. Was wie ein einfaches Ding aussieht, ein kleiner Akt des Dienens, ist eigentlich ein revolutionärer Akt in der heutigen Ära der Abkopplung.

Neben Darwin’s Theorie “Überleben der Stärksten” findet sich in seiner weitgehend unbekannten Publikation “The Descent of Man, and Selection In Relation to Sex” die Theorie des “Überleben der Mitfühlenden”. In welcher Weise integrieren Sie solche Theorien in die Entwicklung Ihrer Projekte?

Wenn ich in Schulen vortrage, frage ich die Kinder meistens, »Glaubt ihr, dass wir grundlegend mitfühlende Menschen sind, die manchmal egoistisch agieren oder umgekehrt, dass wir fundamental egoistische Wesen sind, die ab und an mitfühlende Momente haben?« In der Regel enden solche Fragen mit einem 50-50. Die Wissenschaft hingegen liefert sehr klare Erkenntnisse darüber, dass wir von Haus aus mitfühlend sind, dass die unerzählte Geschichte der Evolution die des »Überlebens der Mitfühlenden« ist. Während dem zweiten Weltkrieg fand zum Beispiel ein General der Armee heraus, dass 80 Prozent der Truppen absichtlich danebenschossen, aus dem einfachen Grund dass der Mensch nicht auf Töten ausgelegt ist. Seine Beobachtungen wurden von vielen Studien bekräftigt. Natürlich ist es eine traurige Geschichte, dass wir unsere angeborenen Gegebenheiten mit Hilfe ausgefeilter Methoden verstummen lassen. Es gibt aber überragende Wissenschaft, die uns darlegt, dass wir veranlagt sind um uns zu kümmern, um mit anderen in Verbindung zu stehen. Bereits bevor sie Wörter und Konzepte lernen haben Kleinkinder eine Neigung zum Mitgefühl.

Inwieweit wird das menschliche Verhalten im Bezug auf Wohlfühlen wissenschaftlich erforscht?

Die Neurowissenschaften haben auf tausend Arten neue Wege für radikal neue Konversationen geöffnet, wir erkennen gerade erst, wie tief wir miteinander verbunden sind. Dacher Keltner hat wahrscheinlich die umfassendste wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema erstellt. Achtsamkeit hat auf ähnliche Weise eine Explosion umfassender Forschung erfahren. Einer unserer Freunde in Großbritannien, Jamie Bristow, hat das komplette britische Parlament zur Meditation bewegt. Robert Emmons hat einiges an bahnbrechender Arbeit zur Wissenschaft der Dankbarkeit gemacht. In einer ehrführchtigen Studie hat Paul Piff aufgezeigt, dass 30 Sekunden auf einen Baum statt ein Gebäude zu schauen, Menschen pro-sozialer verhalten ließ. Ein einfaches Lächeln setzt unglaubliche Hormone in unserem Körper frei. Es gibt also mehr als genug Wissenschaft rund um das Wohlfühlen. Aber als Kultur sind wir unglaublich langsam, diese Forschungsergebnisse in unsere Systeme einzuarbeiten.

Wie integrieren Sie diese Forschungsergebnisse in Ihre Arbeit mit ServiceSpace?

Bei ServiceSpace schauen wir uns regelmäßig Forschungsergebnisse und kulturelle Trends an. Zum Beispiel gibt es mehrere Studien, die aufzeigen, dass eine Verhaltensänderung nicht durch individuellen Willen allein entsteht. Wiederholung und Gemeinschaft spielen eine große Rolle. Auf Kindspring.org, einer unserer Websites, haben wir eine Plattform für 21-Tage-Challenges kreiert rund um Themen wie Höflichkeit, Dankbarkeit und Achtsamkeit, die dann in Gemeinschaft praktiziert werden können. Kindspring.org, bzw. unsere komplette Grundlage des durch Freiwilligenarbeit betriebenen ist ein Beleg für die Kraft der intrinsischen Motivation. Edward Deci und viele andere Wissenschafter haben dies gegenüber weit stärkeren extrinsischen Motivationen wie Geld wiederholt aufgezeigt,

Sie haben bei ServiceSpace mehrere Projekte auf Pay-it-forward Basis am Laufen. Können Sie erklären, wie dieser Ansatz an den Beispielen Smile Cards und Karma Kitchen funktioniert? Warum hinterlassen diese Modelle etwas in den Herzen und Köpfen der Menschen?

Die Pay it forward Idee ist grundlegend in der Dankbarkeit verwurzelt. Wenn wir an einer Transaktion teilnehmen, dann engagieren wir uns in direkter Gegenseitigkeit. Ich und Du. Das ist sehr eng. Eine Gift Economy, auf der anderen Seite, lädt uns ein, in ein viel breiteres Engagement von indirekten Gegenseitigkeiten. Jemand der vor mir kam, hat für mich bezahlt und ich bin dankbar dafür. Dann zahle ich für die Menschen nach mir voraus, die niemals die Möglichkeit haben werden, danke zu mir zu sagen. Es ist kein wie du mir, so ich dir auf einem individuellem Niveau, in dem ich vielleicht mehr gebe oder erhalte als was ich reinstecke. Aber alles in allem gewährt es uns einen Kreis. Und die Schönheit des Kreises ist, dass er größer ist als die Summe seiner Teile. Indem wir also direkte Gegenseitigkeit loslassen erzeugen wir ein komplett neues Reich der Möglichkeiten. Dieses basiert auf einem Wandel vom mir zum uns.

Das ist auch das zugrundelegende Prinzip der Smile Cards. Worum geht es dabei?

Wir versenden Smile Cards gratis an jeden, der welche haben will. Menschen machen dann eine gute Tat für jemanden und hinterlassen eine Smile Card, auf der steht, dass sie nicht wissen, wer das war, aber in Vorleistung gehen können und jemandem anderes auf diese Weise den Tag versüßen können. Weil das Geben eine so intrinsisch lohnende Erfahrung ist, bewegt es Menschen meist dazu, ein finanzielles Angebot zu machen, auch wenn nicht danach gefragt wurden. Auf Basis des Gift-Economy-Modells haben wir Millionen von Smile Cards in Umlauf gebracht. Es funktioniert, weil Großzügigkeit funktioniert. Jeder Akt der Gutmütigkeit lässt uns gut fühlen und in den meisten Fällen wollen wir etwas vorauszahlen und zu unserem angeborenen Zustand der Verbindung zu anderen zu kommen. Es ist schlichtweg menschlich und unser Modell zählt darauf.

Wo kann dieses Modell noch angewandt werden?

Grundsätzlich kann es überall dort angewandt werden, wo eine Transaktion stattfindet. Und das ist grundsätzlich überall. Praktisch gesehen ist es einfacher die Idee in einem Kontext anzuwenden, in dem subjektiver Wert zählt, wo die Grenzkosten niedrig sind und Freiwilligenarbeit einfach integriert werden kann. Wenn Karma Kitchen ein Buffet wäre statt einem Full-Service Restaurant, würde es nicht so gut funktionieren, weil es den Aspekt des subjektiven Werts, der aufgrund der Interaktion zwischen Servicepersonal und Gast entsteht, nimmt. Wir betreiben ein Print-Magazin, »works and conversations« auf diese Weise, aber das wird nicht so effektiv sein wie mit Autos zu handeln, weil die Fixkosten einfach so hoch sind. Auf ähnliche Weise funkitoniert es für alle möglichen Services, wie unsere Gift-Economy Rikshah oder eine Gift-Economy Gesundheitsklinik, weil das Premium auf dem Service liegt und nicht auf fixen Kosten. Alles in allem ist das der Schlüssel. Eine einfache dies-für-das Transaktion ist sehr eng, wohingegen kontextgetriebenes Design sehr breit ist. Großzügigkeit scheitert nie, die Frage ist nur, ob wir es schaffen, einen Kontext zu schaffen, der groß genug ist, dass die Leute ihn auch fühlen und dann darauf reagieren. Es ist immer möglich jegliche Form von Transaktion in ein ausgeweitetes Gefühl von Mitgefühl zu verwandeln, aber wir brauchen einen Shift in unserer Ausrichtung um da reinzukommen. Es braucht eine ordentliche Prise inneren Wachstums um wirklich ein Meister wiederkehrender Großzügigkeit zu werden. Wir haben dafür das Projekt Laddership Circles als Austauschplattform zum Erlernen dieser Art des Wachstumgs gegründet.

Sie benutzen den Begriff Gandhi 3.0. Wie definieren Sie diesen Begriff?

In Zeiten von Gandhi war soziales Handeln in Form von One-to-Many organisiert. Ein Gandhi, viele von uns. Sein Nachfolger in Indien, Vinoba Bhave baute dann ein stärkeres Netzwerk indem er durch Indien pilgerte und Einer-zu-einem-Verbindungen kultivierte. Auf seinem Weg zeigte er auch auf das, was daraus entstand: “Was wie ein Brunnen aufsteigt wird in Form von vielen verteilten Tropfen zurückkommen”. Das ist genau das, was wir im Moment sehen. Wir nennen es Gandhi 3.0, Gandhi steht diesbezüglich für das uralte Prinzip mit innerer Transformation zu führen und 3.0 beschreibt die Viele-zu-vielen-Netzwerke, die durch das Internet entstanden sind. In gewisser Weise handelt es sich um eine Brücke vom Internet zum “Inner-Net”. Es ist ein weiter Weg des Bauens von verteilten und dezentralen Bewegungen die zu innnerer Transformation führen, die Technologie zum Nähren von Großzügigkeit zu nutzen, Praktiken zu kultivieren, die zum “Being the Change” ermutigen und am meisten davon, unbezahlbare Geschenke, wie Empathie, Vertrauen und Barmherzigkeit in größeren Umlauf zu bringen.

Was ist die wichtigste Transformation, die Menschen vollziehen müssen um ihr Leben zu verändern?

Ich würde hier vier wesentliche Änderungen sehen. Die erste wäre vom Konsum zum Geben. Können wir jede Tür öffnen und fragen: “Was kann ich geben” anstatt “Was werde ich bekommen?” Der zweite Shift ist von Transaktion zu Vertrauen. Können wir uns von direkter zu indirekter Gegenseitigkeit bewegen, die am Ende einen Kreislauf erzeugt? Ein weiterer Wandel wäre von Isolation zur Gemeinschaft, können wir lernen, multidimensionale Beziehungen mit Toleranz anstelle von komfortabel erscheinenden Echokammern etablieren? Und der letzte Punkt wäre vom Mangel zum Überfluss zu kommen. Wir haben diese unausgesprochene Gleichung in unseren Köpfen, die Wohlstand mit Geld gleichsetzt. Dabei gibt es so viel mehr Formen von Wohlstand. Können wir also Wert schaffen, auch wenn es keine Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt hat?

Sie hinterfragen ja selbst die Maslow’sche Pyramide. Was ist ihr Alternativansatz?

Die maslow’sche Pyramide bezieht sich auf eine lineare Entwicklung von materiellem zu emotionalem zu spirituellem Wohlfühlen. Wir haben gesehen, wie die Maslow’s Pyramide. Als Victor Frankl Geschichten aus Konzentrationslagern erzählte, darüber, dass es nicht die einfachen Bedürfnisse, sondern die höheren Bedürfnisse waren, die zu höheren Überlebenschancen führten, gestand Maslow ein, dass Frankl recht hat. Heute gehen Sozialwissenschafter davon aus, dass sich Bedürfnisse mehr wie Vitamine verhalten. Man muss nicht erst die Lebensration an Vitamin C zu sich nehmen, um die Einnahme von Vitamin D zu beginnen. Es ist vielmehr so, dass die Vitaminzufuhr in Balance sein muss. Wir müssen also die grundlegenden Bedürfnisse im Auge behalten, aber dabei das Vitmain G(roßzügigkeit) ist kein Luxussport. Es ist nicht etwas, bei dem man ankommt, wenn man in Pension geht. Man braucht es im Jetzt und regelmäßig, unabhängig davon, wo man herkommt.

Ihr Ansatz ist zum Großteil rund um Individuen fokussiert. Einige der größten Herausforderungen bedürfen aber systematischem Wandel. Denken Sie, dass individuelle Großzügigkeit, sogar vernetzte Großzügigkeit, die Basis für den Wandel ist, den es braucht um den Planeten zu schützen und eine sozialere Welt für alle zu schaffen?

Oh, ich bin voll und ganz für systemischen Wandel. Während Obama’s Präsidentschaft war ich in seinem Advisory Board für Armut und Ungleichheit, wir diskutierten einen Wandel von Transaktion hin zu Beziehung. Es gibt sehr viele konkrete Dinge, die wir in diese Richtung tun können. Abseits davon war ich Teil einer globalen Gruppe, die sich mit dem Vertiefen der Konversation rund um Wohlbefinden beschäftigt hat, wo wir mit dem Premierminister von Bhutan gesprochen haben, der Gross National Happiness implementiert hat und mit dem Präsidenten von Costa Rica, wo es seit den späten 50ern keine Armee gibt, sowie Ecuador’s Führungsriege, wo Flüssen und Bäumen Rechte gegeben wurden. Ich sitze außerdem im Vorstand des Greater Good Science Zentrums, dessen kommendes Projekt es ist, wissenschaftlich fundierte Empathie-Ausstellungen in wichtige Museen in den USA zu bringen. Erst letzte Woche sprach ich in London vor 500 Investment-Bankern über ethische Betrachtungsweisen im Bereich der Technologie.

Auf einem Makro-Level, hat die Gesellschaft drei Sphären – 1. den privaten Sektor, 2. den öffentlichen Sektor und drittens den Freiwilligen-Sektor. In der Theorie ist der öffentliche Sektor dafür da, die Balance aus privatem und öffentlichem Sektor zu balancieren, in der Realität ist es aber so, dass der private Sektor den öffentlichen und den freiwilligen verschlingt (wie erst vor kurzem durch die Sharing Economy Bubble klar wurde). Wenn du Wandel kreieren willst, im heutigen Kontext, wird von uns verlangt, uns dem privaten Sektor zu unterwerfen. Ich will damit nicht sagen, dass alles am privaten Sektor schlecht ist, aber der Ansatz ist viel zu engstirnig. Beide, der private und der öffentliche Sektor, sollten eigentlich dem Freiwilligen-Sektor dienen.

Das ist also auch das System, das eigentlich einen Wandel braucht, einen radikalen, eine Revolution. Natürlich liefern einige andere “systemische” Veränderungen kurzzeitige Erleichterung, aber es wird daraus nichts langfristiges, außer wir verändern unsere grundlegenden Organisationsprinzipien. Internet ist nicht Internet ohne Netzneutralität. Für diese tiefgehende kulturelle Veränderung ist individuelle Großzügigkeit und Transformation der größte Hebel.Wenn ein Individuum gibt und in einem Netz tiefer Verbindungen gehalten wird, Platz für innere Transformation hat, wird es die Grundlage für reichhaltiges, nachhaltiges Wachsen haben. Das ist, wozu sich ServiceSpace verpflichtet hat.

Denken Sie, dass wir neue Vorbilder brauchen?

Wir brauchen unbedingt neue Vorbilder, neue Geschichten. Der israelische Professor Yucal Noah Harari drückt es im Konzept der intersubjektiven Realität aus. Es gibt objektive und subjektive Realitäten, aber was uns Menschen einzigartig macht ist, dass wir in verschiedenen Ausformungen zusammenarbeiten können und wir tun dies durch unsere zusammengezimmerten Narrative. Geld ist eine Geschichte, Europa ist eine Geschichte, Google ist eine Geschichte. Was diese Geschichten stark macht ist, dass sie geteilte Geschichten sind. Können wir eine neue Story kreieren? Und können wir Helden und Heldinnen finden, die mutig diese neue Story leben? Ich denke wir müssen, wenn wir Wandel erzeugen wollen.

Viele Menschen scheinen überfordert zu sein mit der großen Anzahl an Herausforderungen denen wir als Menschheit gegenüberstehen. Was entgegnen Sie zu Leuten auf die Frage »Was kann ich tun?«

Es kann manchmal wirklich überfordernd sein, all das Leid in der Welt zu sehen. Meine Frau weiß das – manchmal, wenn ich bei einem Obdachlosen vorbeigehe, muss ich einfach weinen. Manchmal passiert mir das sogar bei einem Kellner im Restaurant. Wir wollen unsere Liebe ja mit jedem teilen, nicht wahr? Was mir in solchen Momenten hilft ist das Taschenlampen-Prinzip. Dieses besagt, dass wenn ich an einem Punkt A stehe und eine Taschenlampe auf mein Ziel richte, sagen wir Punkt Z, werde ich gar nirgends hinkommen. Wenn ich aber bescheiden bleibe und auf das Leben das vor mir liegt fokussiere, werde ich erst Punkt B, dann Punkt C sehen und mich so Schritt für Schritt in Richtung meines Zieles bewegen. Egal in welchem Zustand sich die Welt befindet, egal in welchem Zustand wir uns befinden, das einzige was wir tun können, ist in dem Moment, in dem wir uns befinden, zu dienen.

Also würde meine Empfehlung lauten: Mach einen kleinen Akt der Güte in dem Leben, das gerade vor dir liegt. Hier und jetzt. Mit Sicherheit wird dies einen unvorhersehbaren Welleneffekt kreieren, es wird aber vor allem einen noch wichtigeren inneren Welleneffekt erzeugen. Es wird die Art verändern, wie du auf die Welt schaust. Meine zweite Empfehlung wäre, anderen bei einem Akt der Güte zu helfen. Durch das Unterstützen anderer entsteht ein Netz tiefgehender Freundschaften – diese erzeugen dann Stabilität, wenn es hart auf hart kommt.

Weiterführendes zum Thema

Autor

Manuel Gruber

Manuel Gruber ist Journalist und Filmemacher aus Wien und Mitglied des Redaktionsteams von Brennstoff Online.

Author Placeholder

ein Artikel von

Manuel Gruber

Teile deine Meinung auf