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» Die Traurigkeit ist traurig, weil du sie nicht magst. Die Traurigkeit ist traurig, weil du nicht gerne darin bist. Doch sogar Traurigkeit kann zu etwas Wunderschönem aufblühen, kann solche Stille und Tiefe haben, wenn du sie magst.
Wenn Traurigkeit kommt, akzeptiere sie. Höre ihrem Lied zu. Sie hat dir etwas zu geben. Sie hat ein Geschenk, das dir keine Fröhlichkeit geben kann. Nur Traurigkeit kann es dir geben.
Freude ist wie eine Welle, Traurigkeit ist wie die tiefste Tiefe eines Meeres. In der Traurigkeit bleibst du bei dir selbst, bist ganz allein. Bist du glücklich, gehst du auf andere Menschen zu und teilst dich ihnen mit. Bist du traurig, schließt du die Augen und tauchst tief in dich selbst ein.
In der Traurigkeit ist ein Lied. Sie hat etwas sehr Tiefes. Nimm sie an. Genieße sie. Koste sie aus, ohne sie abzulehnen, und du wirst sehen, dass sie dir viele Geschenke bringt, die dir das Glück niemals geben kann.
Nimmst du die Traurigkeit an, dann ist sie nicht mehr so traurig. Du hast ihr eine neue Qualität gegeben. Du wirst durch sie wachsen. Nun ist sie nicht mehr ein Stein, ein Felsblock, der dir den Weg blockiert, sondern ein Trittstein.
Und vergiss nie: Ein Mensch, der keine tiefe Traurigkeit kennt, ist arm dran. Er wird innerlich niemals reich sein. Wer immer fröhlich ist, lächelt und oberflächlich ist, hat den innersten Tempel seines Wesens nie betreten. Er ist noch nicht zu seinem innersten Schrein vorgedrungen.
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Erhalte dir die Fähigkeit, in alle Polaritäten zu gehen. Wenn Traurigkeit kommt, sei richtig traurig. Versuche nicht, ihr zu entkommen. Lass sie zu, kooperiere mit ihr. Lass zu, dass sie sich in dir auflöst, und lass dich von ihr auflösen. Werde eins damit. Sei wirklich traurig: kein Widerstand, kein Konflikt, kein Kampf dagegen.
Wenn das Glück kommt, dann sei richtig glücklich: Tanze und sei ekstatisch. Wenn das Glück kommt, versuche nicht, es festzuhalten. Sage nicht, es soll für immer und ewig da bleiben. So verpasst du es.
Lehne Traurigkeit nicht ab und halte das Glück nicht fest. Bald wirst du verstehen, dass Glück und Traurigkeit zwei Seiten derselben Medaille sind. Dann wirst du sehen, dass immer Traurigkeit dabei ist, wenn du glücklich bist, und immer Glück dabei ist, wenn du traurig bist.
Dann ist dein inneres Wesen bereichert. Dann kannst du alles genießen: den Morgen wie den Abend, das Sonnenlicht wie die Dunkelheit, den Tag wie die Nacht, den Sommer wie den Winter, das Leben wie den Tod – alles kannst du genießen.
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Schau deinen Gedanken zu, schau deinen Gefühlen zu und beim Zuschauen wirst du einen neuen Faktor erkennen – den, der zuschaut. Diese Erkenntnis ist der Beginn einer inneren Revolution. Du bist der Schauende, nicht das, was du siehst. Du bist weder der Kopf noch der Körper, sondern etwas, das tief in dir verborgen ist: der Beobachtende.
Dieser Beobachter sieht bei jedem Auf und Ab im Leben zu. Nun braucht man sich nicht mehr zu identifizieren. Wenn du gerade unten bist, brauchst du nicht traurig zu sein, da der Beobachter nur zuschaut. Wenn du obenauf bist, brauchst du nicht egoistisch zu werden, du schaust nur zu. Langsam und allmählich beginnt sich der ganze Aufruhr um dich herum zu legen.
Identifiziere dich mit nichts mehr – so lange, bis nur noch reines Zuschauen da ist. Bleibe darin verankert, egal, was du tust oder wohin du gehst. Du wirst ein neuer Mensch sein, mit einer Frische, einem Leben, wie du es vorher nicht gekannt hast, mit einem Schimmer der Ewigkeit in deinen Augen, mit einem Hauch der Unsterblichkeit in jeder deiner Gesten. «
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(Textauswahl & Redaktion: Andreas Wagner (Brennstoff)
aus: Osho: Vom Leben und vom Sterben. Ullstein
Artikelfoto: mhaussmann / istock-photo
Autor
Osho bzw. „Rajneesh“ Chandra Mohan Jain (1931–1990) war ein indischer spiritueller Philosoph, „Guru“ und Begründer der „Neo-Sannyas-Bewegung“, die bei uns unter dem Namen „Sannyasins“ bekannt wurde. – Seine Ashrams in Poona, Indien, und seine Kommune in Oregon, USA, waren seinerzeit sehr berühmt und wurden von vielen Menschen aus aller Welt besucht. – Osho betonte den Wert der authentischen spirituellen Erfahrung gegenüber der Zugehörigkeit zu einer Religion. Seine Gedanken und Bücher fanden – auch außerhalb der Sannyasins-Bewegung – in Europa und Nordamerika große Verbreitung.