WeltBürgerKrieg
WeltBürgerKrieg
Brennstoff Nr. 36 | Huhki Henri Quelcun | 27.02.2024 | 6 Minuten

Bellum omnium contra omnes*

Kriege bei welchen die Fronten nicht mehr zu bestimmen sind, gehören zu den bedrohlichsten. Deshalb bedarf es jetzt bereits tiefreichender Friedensverhandlungen, um der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte vorzubeugen: einem »Weltbürgerkrieg«!

Kontrolle braucht Macht. Eine wüste Zeit, gewiss, aber beileibe keine große. Wer weiß schon, was der so betitelte mächtigste Mann der Welt in seiner Ohnmacht wirklich empfindet. Die Geldflüsse sind versiegt, die Bankhäuser und Financiers wollen nehmen statt geben. Er kann seine Versprechen an die armen Schichten nicht halten. Und er ist auf die Superreichen angewiesen, die ihr Kapital trotz Finanzkrise ungehemmt vermehren. Alles, was ihm seine Vorgänger hin terlassen haben, ist ein schwelender – nie richtig deklarierter – Religionskrieg. Und ein bis vor kurzem stummer Aufstand im Hinterland seines Reiches. Er weiß eigentlich nicht, wer der »Feind« ist; und seine Berater, welche wieder ihre eigenen Berater nötig haben, auch nicht; aber sie geben es vor. Zu viele Fronten verlaufen windschief aneinander vorbei. Die zu lange ausgehungerten Underdogs rebellieren. Ein tödlicher Konflikt zwischen Männern und Weibern ist im Gange. Und zu allem Überdruss ist ihm – dem Mächtigsten! – ein mehr als ebenbürtiger Gegner erstanden, so kalt wie das Reich, das dieser undurchsichtige Schach spieler der Politik am Rand des Krieges zu neuer Größe führen will. Als wäre das nicht genug, spielt das Wetter noch verrückter als die Menschen. Man kann, ja muss, es eine Klimakatastrophe nennen. Und neue Seuchen ...Nun, welches Jahr schreiben wir? Du sagst 2014? Knapp vorbei! Wir befinden uns in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Im 30jährigen Krieg, der nach der Diagnose des Erzhistorikers Jakob Burkhardt eher eine »Verdichtung« von Konflikten darstellt. Oder eine unübersehbare Überlagerung!

Eine verhängnisvolle Liaision. Nein, Obama ist nicht Ferdinand II.; er hat mit diesem aber gemeinsam, dass er im Grunde heiter und freundlich war oder ist, dass seine habituelle Gutmütigkeit von den Zeitgenossen als Schwäche instrumentalisiert wird. Gustav Adolf II. ist auch nicht Putin. Obgleich beide als so - wohl militaristisch und fromm, human und brutal gelten können; es eint sie auch der unerbittliche Wille zum Willen. Die Parallele bleibt nicht die von Personen = historischen Masken. Nur: Wir haben die Probleme des 30jährigen Krieges bis zur Stunde nicht einmal im Ansatz zu lösen versucht. Alles, was uns in Europa zu viel geworden ist, haben wir globalisiert; alle Verhäng nisse der frühen Moderne postmodernisiert. Mögen doch die Bantus und die Mexikaner bewältigen, woran wir heute noch würgen. Oder die Chinesen; davon gibt’s ja genug! Und doch, wir haben nicht ein Quentchen Recht, die Verwirrten zu spielen. Der 30jährige war die General - probe zum Jetzigen: dem Weltbürgerkrieg – ein »konventioneller« Krieg von Staat gegen Staat (das Reich/ die Schweden/Spanien/la France usw.); ein Religions - konflikt (Katholiken/Reformierte/konfessionelle Anarchisten); ein Klassenkampf (z.B. OÖ Bauernaufstand); finanzielle Querelen (Krise der angesehendsten Banken dynastien/Aufstieg der Börsen bis zur irdischen Allmacht, wie in Holland). Wem das jeweilige globale Pendant zu unserer jetzigen Challenge nicht spontan einfallen sollte: die schlechtestrecherchierte Nach - richtensendung, ein Blick durch eine Gratiszeitung genügt! Jede einzelne »Weltnachricht« von unseren geduldigen Korrespondenten genügt. Das Szenario ist dasselbe wie vor 400 Jahren. Ich habe übrigens den 30jährigen Krieg in der Schule nie verstanden, obwohl wir ihn dreimal durchgenommen haben. Fensterstürze, Wallenstein, die Schweden und überhaupt. Es hat auch kein Geschichtslehrer gewagt, uns darüber zu prüfen. Jetzt glaube ich dieses facettenreiche Desaster deuten zu können: Es war das – auf Europa beschränkt – was uns jetzt weltweit blüht. Wenn wir nicht im letzten Moment daraus lernen.

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Ein »polykontextureller« Konflikt. Wer sich noch immer bänglich fragt, ob und wann ein Krieg kommt, kann sich wieder zurücklehnen: Wir sind schon mitten drinnen! Die erste Ingredienz für einen Zusammenbruch, der sich für längere Zeit stabil erhält: monetäre Probleme, Umverteilung des Reichtums nach oben, Einkommenslosigkeit breiter Volksschichten. War im beginnenden 17. Jahrhundert verheerend, nicht nur, weil Spanien die »Kontributionen« einstellte. Es kam um 1600 zur berüchtigten »Preisrevolution« in ganz Europa. (Nicht zuletzt durch die Goldentwertung im Zuge der Eroberung Südamerikas; Athahualpas Rache). Es ist viel mehr Geld im Umlauf, aber weder Rin der noch Rüben haben sich verzehnfacht. Gutsbesitzer können sich ihre Bauern nicht mehr leisten und entlassen diese in die tödliche »Freiheit«: die Schuld knechtschaft. Selbst Handwerksfamilien können ihren Lebensbedarf nicht mehr decken. Phantasiegeld hungert Europa aus. Schließlich explodiert die Volkswut in Aufständen, wie in Oberösterreich. Den ökonomischen Konflikten überlagert sind die religiösen. Quer durch das Reich fallen die Konfessionen übereinander her, wie die Hutus über die Tutsis in Ruanda. Es gibt aber antipäpstliche »Terroristen«, welche noch viel radikaler vorgehen als die gezähmten »Reformierten«. Und jedem terroristischen Anschlag gegen reichskonforme Katholiken folgt eine kaiserliche Strafexpedition. Der Religionskrieg auf breiter Front ist nur noch eine Frage der Zeit. Es gibt nur eine Supermacht: das Habsburgische Kaisertum. Und eben diese Hegemonie fordert Widerstand heraus. Der »Nationalismus« wird entdeckt. Zuerst in Böhmen. Und dann tritt dem Kaiser ein Gegner entgegen, aus dem Norden, mit dem er nicht gerechnet hat: Gustav Adolf II. von Schweden. Ein Charakter von übermächtigem Willen, den er voll in den Dienst des nationalen Ehrgeizes stellt. Was wir nicht vergessen dürfen: die Klimakatastrophe ab 1600. Zwei von drei Ernten fallen aus. Die Menschen verhungern schneller als das Vieh. Europa ist ökologisch am Tellerrand. Was an Getreide übrigbleibt, horten Spekulanten in bewehrten Lagerhäusern. Die Parole »Der Krieg ernährt den Krieg« kommt auf. Gemetzel ist das einzige Geschäft, das sich noch rentiert. Wenn man rechtzeitig zum Metzeln kommt. Neue Seuchen haben sich zu den alten bekannten dazugesellt. Neben Pest und Cholera gesellt sich die Syphillis, als deren unermüdliche Botschafter die Landsknechte fungieren. Noch ein Problem stellt sich seit dem Ende des Mittel - alters: die Frauen laufen ihren Männern davon und or ganisieren sich in soganannten »Beginenhöfen«. Im 30jährigen Krieg waren diese Organisationen längst aufgelöst, dafür loderten im katholischen wie im protestantischen Lager die Scheiterhaufen zur thermischen Entsorgung der Zauberinnen (Hexen).

Kommt er – oder ist er schon da? Die Gefahr besteht: dass der 30jährige nur die Generalprobe war für einen Weltenbrand, bei welchem die Fronten nicht mehr auszumachen sind; ein Weltbürgerkrieg, zwischen der einzigen »Supermacht« und ihren aufsteigenden Konkurrenten, zwischen Bekenntnissen, Klassen ... Was haben wir ihm entgegenzusetzen? Eine Weltfriedenskonferenz, welche all diese weltweiten tektonisch-sozialen Verwerfungen einbezieht, bevor sie sich zusammen in einem unkontrollierten Beben entladen. Unter einem Dach müssten zugleich Nationen, Religionen, Besitzende und Ausgebeutete ihre Konflikte austragen. Nicht für begrenzte Zeit, sondern als unbegrenztes Tribunal der Hoffnung; immer wieder dazwischen im Plenum über Fortschritte berichten. Aber wer zahlt das? Wo wir doch bald vermutlich zur Weltbankhilfe herangezogen werden ... Übrigens hatte der »Westfälische Frieden«, welcher dem 30jährigen »Krieg« folgte, nur eine substantielle Auswirkung: das bislang geächtete Zinsnehmen für verliehenes Geld wurde allgemein gestattet.

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