Peace
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Brennstoff Nr. 36 | Moreau | 27.02.2024 | 4 Minuten

Der Frieden und seine Feinde

1990. Nayirah, ein 15-jähriges Mädchen aus Kuwait City, sagt unter Tränen vor dem amerikanischen Kongress aus. Ihr Nachname wird geheim gehalten, um ihre Familie im von Saddam Hussein besetzten Kuwait vor Repressalien durch die irakische Armee zu schützen. Eine Abschrift ihrer Aussage wird an die Medien verteilt. Schluchzend beschreibt Nayirah, was sie mit eigenen Augen im Al-Addan-Krankenhaus in Kuwait City gesehen hat. »Dort sah ich die irakischen Soldaten, die mit Waffen ins Krankenhaus kamen. Sie gingen ins Säuglingszimmer, wo Babys in Brutkästen lagen. Sie nahmen die Babys heraus, nahmen die Brutkästen mit und ließen die Babys auf der Erde liegen, wo sie starben.« Der Krieg beginnt drei Monate nach Nayirahs Aussage. In diesen drei Monaten wird die Geschichte von den 312 Babys, die die Iraker aus den Brutkästen gerissen und auf dem kalten Krankenhausfußboden hatten sterben lassen, immer wieder wiederholt. Von allen Anschuldigungen gegen den Diktator Saddam Hussein hat diese den größten Einfluss auf die öffentliche Meinung in den USA. War die öffentliche Meinung der Amerikaner zu Bushs Golfpolitik bis dahin geteilt, gibt Nayirahs Geschichte den Ausschlag zu Bushs Gunsten und für eine militärische Intervention im Irak. Am frühen Morgen des 17. Januar 1991 beginnt der Luftkrieg, die Operation »Wüstensturm«. Schätzungen sprechen von bis zu 200.000 Toten. Nach dem Krieg stellte sich heraus, dass die ganze Geschichte von Hill & Knowlton, der damals weltgrößten Public-Relations-Firma, frei erfunden und inszeniert worden war. Die angebliche Krankenschwester war die Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington. Heute ist dieser Betrug, der nur dazu diente, die Bevölkerung für den Krieg zu begeistern, als »Brutkastenlüge« bekannt. Ein Einzelfall? Keineswegs. Zwar geht es nicht immer so spektakulär zu wie im diesem Fall, aber es ist schon so, wie der legendäre, 1989 verstorbene amerikanische Journalist I. F. Stone zu sagen pflegte, wenn er vor Studenten von Journalistenschulen sprach: »Von allen Dingen, die ich Ihnen heute sagen werde, sollten Sie sich vor allem zwei Worte merken: Regierungen lügen.« Das mag banal klingen, aber es ist wichtig, das nie zu vergessen und nichts ohne Überprüfung zu glauben, sonst ist man dem ausgeliefert, was die Autoritäten sagen, schreiben, präsentieren. Vor jedem anderen Krieg tobt ein ununterbrochener Krieg um die Vorherrschaft in unserem Bewusstsein. So auch im aktuellen Konflikt in der Ukraine. Der Hauptanteil der »Nachrichten«, die uns von dort erreichen, werden vom Ukrainian Crisis Media Center gesteuert. Das UCMC wird u.a. vom US-State Departement, von der ukrainischen Regierung und vom Milliardär George Soros finanziert. Das nötige Know-how liefert Weber Shand - wick, eine weltweit führende PR-Agentur. Kein Wunder also, dass die Mehrzahl »unserer« Medien und Kommentatoren ein verzerrtes, einseitiges Bild liefern mit Vladimir Putin als alleinigem Böse wicht und »Brandstifter«, ganz so, als hätten die USA und die EU nur Demokratie und Menschen rechte im Sinn und nicht eigene geostrategische und wirtschaftliche Interessen. Beginnt nicht jeder Krieg mit der Dämonisierung der Gegenseite? Dabei kann jeder beim führenden US-Geostrategen Zbigniew Brzezinski nachlesen, dass »Amerikas geopolitischer Hauptgewinn Eurasien« und dass »Eurasien das Schach brett [ist], auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird«. Aber auf wessen Kosten? Wer wird auf den Schlachtfeldern sterben? Mr. Obama, Herr Gauck, Frau Merkel? Der Konflikt könnte einen Flächenbrand auslösen. Altkanzler Helmut Schmidt hat das Verhalten der EU in der Ukraine-Krise scharf kritisiert und nennt die Außen - politik Europas »größenwahnsinnig«. Er befürchtet eine Eskalation der Lage wie 1914 vor dem Ersten Weltkrieg. So wie damals bestehe die Gefahr, dass Europa, die USA und die Russen in einen Krieg hineinstolpern. Wie sehr ein Großteil der Medien da mitstolpert, zeigt der Rück fall vieler Kommentatoren in den eskalierenden Sprachgebrauch des längst vergangen geglaubten Kalten Krieges. Das Thema Frieden, dem dieses Heft gewidmet ist, war in unseren Breiten schon lange nicht mehr so aktuell und ernst wie in diesen Tagen.

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Moreau

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