Peace in oneself – Peace in the world
Peace in oneself – Peace in the world
Brennstoff Nr. 36 | Thich Nhat Hanh | 27.02.2024 | 5 Minuten

Friede in mir – Friede in der Welt

In der Zeit, als Tausende aus Vietnam flüchteten, erhielten wir in Plum Village in Frankreich viele Briefe aus den Flüchtlingslagern in Singapur, Malaysia, Indonesien, Thailand und den Philippinen, Hunderte jede Woche. Es tat sehr weh, sie zu lesen, aber wir mussten es tun, wir mussten in Kontakt bleiben. Wir gaben unser Bestes, um zu helfen, aber das Leid war riesengroß, und manchmal fühlten wir uns sehr entmutigt. Es hieß, die Hälfte der Boatpeople würde auf dem Meer sterben; nur 50 Prozent erreichten die Küsten Südostasiens. Es gabe viele junge Frauen, die während ihrer Flucht von Piraten vergewaltigt wurden. Obwohl die Vereinten Nationen und viele Länder versuchten, die Regie - rung von Thailand darin zu unterstützen, diese Art Piraterie zu verhindern, geschah weiterhin viel Leidvolles. Eines Tages erhielten wir einen Brief, der uns von einem Mädchen berichtete, das auf einem kleinen Boot von einem thailändischen Piraten vergewaltigt worden war. Sie war erst zwölf Jahre alt; nach der Vergewaltigung sprang sie ins Meer und brachte sich um.

Wenn Sie so etwas erfahren, werden Sie zunächst sicher Wut gegenüber dem Piraten empfinden. Sie stellen sich natürlich auf die Seite des Mädchens. Wenn Sie tiefer schauen, werden Sie es allmählich anders sehen. Stellen Sie sich auf die Seite des Mädchens, ist es einfach. Sie brauchen nur ein Gewehr zu nehmen und den Piraten zu erschießen. Aber das können wir nicht tun. Ich sah in der Meditation, dass ich selbst ein Pirat wäre, wenn ich in seinem Dorf geboren und unter denselben Bedingungen aufgewachsen wäre wie er. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich dann auch Pirat geworden wäre. Ich kann mich aber selbst nicht so einfach verdammen. In meiner Meditation habe ich gesehen, dass viele Kinder, Hunderte am Tag, entlang des Golfs von Siam geboren werden. Und wenn wir Erzieher und Sozialarbeiterinnen, Politiker und Politikerinnen nichts an der Situation ändern, werden in 25 Jahren eine Reihe von ihnen ebenfalls Piraten sein. Das ist gewiss. Wenn Sie oder ich heute in diesen Fischer dörfern geboren würden, wären wir möglicherweise in 25 Jahren auch Seepiraten. Wenn Sie ein Gewehr nehmen und den Piraten erschießen, erschießen Sie uns alle; denn wir alle sind in gewissem Umfang für diesen Zustand verantwortlich. Nach einer langen Meditation habe ich das folgende Gedicht geschrieben. Darin gibt es drei Menschen: das zwölfjährige Mädchen, den Piraten und mich. Können wir uns in der anderen Person erkennen? Der Titel des Gedichts heißt: »Bitte nenne mich bei meinen wahren Namen« – denn ich habe so viele Namen. Wenn ich ei - nen dieser Namen höre, muss ich »ja« sagen.

Es gibt eine Zen-Erzählung über einen Mann, der in schnellem Galopp reitet. Ein anderer Mann am Weges - rand ruft ihm zu: »Wohin reitest du?« Der Reiter ruft zurück: »Ich weiß es nicht. Frag das Pferd!« Ich glaube, so ist auch unsere Situation. Wir reiten viele Pferde, die wir nicht kontrollieren können. Die zunehmende Aufrüstung ist zum Beispiel so ein Pferd. Wir haben unser Bestes getan, aber wir können dieses Pferde nicht kontrollieren. Wir sind immer viel zu beschäftigt. Im Buddhismus ist der wichtigste Grundsatz, bewusst und achtsam zu leben, zu wissen, was geschieht. Und nicht nur zu wissen, was hier geschieht, sondern auch, was dort geschieht. Wenn Sie beispielsweise ein Stück Brot essen, können Sie sich darüber klar werden, dass unsere Bauern beim Anbau des Weizens giftige Chemikalien benutzen. Essen wir das Brot, sind wir in gewisser Weise mitverantwortlich für die Zerstörung der Umwelt. Wenn wir ein Stück Fleisch essen oder Alkohol trinken, sollten wir wissen, dass in der Dritten Welt täglich Zehntausende von Kindern verhungern und dass wir eine große Menge Getreide verbrauchen, um Fleisch oder Alkohol zu produzieren. Eine Schale Getreide zu essen statt Fleisch trägt dem Leiden in der Welt eher Rechnung. Ein französischer Experte für Wirtschaftsfragen hat mir erzählt, dass es ausreichen würde, 50 Prozent weniger Fleisch zu essen und Alkohol zu trinken, um die Situation in der Welt grundlegend zu verändern. Nur 50 Prozent weniger. Wenn wir uns unseres Lebensstils, unserer Konsum - gewohnheiten, unserer Betrachtungsweisen bewusst sind, können wir auch herausfinden, wie wir in jedem Augenblick etwas zum Frieden beitragen können. Nehmen wir die Sonntagszeitung zur Hand, können wir uns beispielsweise bewusstwerden, dass viele Bäume nötig waren, um solch eine Zeitung zu drucken. Wenn wir zur Zeitung greifen, sollten wir uns so etwas klarmachen. Sind wir wirklich achtsam, können wir etwas tun, um den Lauf der Dinge zu ändern. (...)

" Es tut mir leid, aber ich möchte nun mal kein Herrscher der Welt sein, denn das liegt mir nicht. Ich möchte weder herrschen noch irgendwen erobern, sondern jedem Menschen helfen, wo immer ich kann; den Juden, den Heiden, den Farbigen, den Weißen. Jeder Mensch sollte dem anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt. Wir sollten am Glück des Anderen teilhaben und nicht einander verabscheuen. Hass und Verachtung bringen uns niemals näher. Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden, und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen. Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein, wir müssen es nur wieder zu leben lernen! Die Habgier hat das Gute im Menschen verschüttet, und Missgunst hat die Seelen vergiftet und uns im Paradeschritt zu Verderben und Blutschuld geführt. Wir haben die Geschwindigkeit entwickelt, aber innerlich sind wir stehen geblieben. Wir lassen Maschinen für uns arbeiten, und sie denken auch für uns. Die Klugheit hat uns hochmütig werden lassen und unser Wissen kalt und hart. Wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig. Aber zuerst kommt die Menschlichkeit und dann erst die Maschinen. Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte. Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert. Aeroplane und Radio haben uns einander nähergebracht. Diese Erfindungen haben eine Brücke geschlagen von Mensch zu Mensch, die erfassen eine allumfassende Brüderlichkeit, damit wir alle Eins werden. (...) " Charlie Chaplin

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Thich Nhat Hanh

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