einzig aus dem Grund, weil nur der Frieden Sicherheit sicher machen kann.*
Komm güldner Friede«, heißt es in barocken Gedichten, mitten im Dreißigjährigen Krieg. Die Sehnsucht nach dem »güldenen Frieden« ist groß. Viele Städte sind niedergebrannt, die Kirchen zerstört, Frauen vergewaltigt, Männer erschlagen, die Flüsse von Leichen verstopft, Blutspuren überall und die Seelen der Menschen verwüstet. So die Situation von 1636 nach 18 Jahren Krieg, beschrieben von Andre as Gryphius, dem bedeutendsten Dichter des Ba rock. So ungefähr sieht es heute in Syrien aus; so hat es in Afghanistan ausgesehen; so ähnlich geht es im Sudan zu, in der Ukraine. Wir hier haben bisher Glück, denn seit den zwei Weltkriegen – in denen 19 Millionen Menschen umkamen und nach denen Deutschland, aber auch große Teile von Österreich in Trümmern lagen – ist es ruhig in unseren Landen. Die Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahren fanden an der Peripherie unserer Grenzen statt und sind aus der unmittelbaren Erinnerung fast verschwunden – außer bei denen, die flüchten mussten, selbst in die Kämpfe verwickelt waren oder zwischen die Fronten gerieten. Wir jedoch haben Frieden, und dies seit Jahrzehnten. Alle, die in Österreich nach 1955 geboren sind, haben nicht einmal die Nachwehen des Kriegs erlebt, Besatzungs mächte, Häuserruinen, Heimkehrer und Knapp -heit. Es ist sosehr Frieden, dass man oft gar nicht bemerkt, dass Frieden mehr ist als die Abwesenheit von Krieg. »Friede ist eine Tugend, eine Geisteshaltung, eine Neigung zu Güte, Vertrauen und Gerechtigkeit«, kann man in der Ethik des Linsenschleifers und Philosophen Baruch de Spinoza (1632-1677) lesen. Er schrieb diese Zeilen in unruhigen Zeiten, in denen in Europa Menschen einander wegen ihrer Religionszugehörigkeit umbrachten. Er selbst lebte in einer kosmopolitischen Stadt, in Amsterdam, wo 1602 die erste multinationale Gesellschaft gegründet worden war, die Holländische Ostindien Gesellschaft. Spinoza war zwar ein Befürworter dieses neuen kaufmännischen Abenteuers, doch er kritisierte wenigstens die Zwangsmissionierung, die von der Ostindischen Gesellschaft zu ihrer Rechtfertigung betrieben wurde. Die Ostindiengesellschaften sind der Beginn der Ausbeutung der Länder außerhalb Europas. Bis heute folgt die globalisierte Ökonomie den politischen Strukturen, die erst von den Holländern und dann von der British East India Company geschaffen wurden. Auch der Luxus Europas ist das Erbe dieser frühen multinationalen Unternehmen, die vielen Dinge, die so selbstverständlich den Alltag begleiten – Bananen und Baumwoll-TShirts genauso wie Elektronik, der man es nicht an - sieht, dass sie Seltene Erden aus Afrika braucht. Diese Dinge des alltäglichen europäischen Luxus tragen jedoch nicht Frieden in sich, sondern fördern anderswo Armut oder Bürgerkriege. Mit dem Erlös aus Seltenen Erden werden z.B. Bürgerkriege in Afrika bezahlt. Dass der angenehme Frieden Europas anderswo Kriege fördert, verliert man leicht aus dem Auge. Die Dinge des Alltags sprechen nicht davon, sondern tragen in ihrer selbstverständlichen Verfügbarkeit zum Wohler - gehen bei, das ist die eine Seite. Andererseits aber machen einen die Dinge auch abhängig. Wie sehr, merkt man meist nur dann, wenn etwa die Elektronik versagt.
Friede ist nicht die Abwesenheit von Krieg: Friede ist eine Tugend, eine Geisteshaltung, eine Neigung zu Güte, Vertrauen und Gerechtigkeit. - Baruch de Benedictus Spinoza
»Tapfer, unaufhörlich und ruhig muss der Mensch um innere Freiheit kämpfen. Innere Freiheit hängt davon ab, dass man unabhängig von der Herrschaft der Dinge und von der Herrschaft der Menschen ist. Es gibt viele, die ein hohes Maß an politischer und gesellschaftlicher Freiheit erreicht haben, aber nur sehr wenige gibt es, die nicht an die Dinge versklavt sind. Das ist unser dauerndes Problem – wie man mit anderen Menschen zusammenleben und frei bleiben kann, wie man mit Dingen leben und unabhängig bleiben kann«, schreibt Abraham J. Heschel in seinem Buch »Der Schabbat«, auf das ich unlängst wieder gestoßen bin. Abraham Heschel (1907—1972) war einer der führenden jüdischen Theologen und Philosophen. Im letzten Moment noch hatte er die Flucht aus Deutschland geschafft. Seit 1940 lebte und lehrte er in den USA und war u.a. ein bedeutender Vertreter des Civil Rights Movements und der Anti-Vietnam-Bewegung. Für die Bibel beginnt die Welt mit einer Feier des Friedens und der Ordnung, dem Paradies – alle sind dort Vegetarier (Gen. 1, 29 u. 30), und die Menschen beauftragt, es als Ver walter zu hüten. Von Unterwerfung der Natur ist im hebräischen Original keine Rede. Gott sah, dass es gut war, heißt es immer wieder; und am Schluss, am siebten Tag, macht Gott Pause und ruht. So erzählt der biblische Mythos. Die jüdische Kultur ist eine Kultur der Erinnerung, nicht um der Erinnerung willen, sondern weil die Erinnerung Kraft für die Gegenwart gibt. So nährt die Erinnerung an den gesegneten Zustand des Friedens am Anfang – am Siebten Tag – das Leben selbst unter den schwierigsten Umständen. Das ist der Sinn des Schabbats, wie er im Judentum gefeiert wird. Am Schabbat ( betont auf dem zweiten a) wird nicht gearbeitet, weil Ruhe herrschen soll. Doch das ist nur die Oberfläche, schreibt Abraham Heschel. »Menucha, was wir gewöhnlich mit Ruhe wiedergeben, heißt hier mehr als Abstand von Arbeit und Anstrengung ... Für die Menschen in der Bibel bedeutete menucha dasselbe wie Glück und Stille, Frieden und Harmonie ... Es ist ein Zustand, in dem es weder Kampf noch Streit gibt, weder Angst noch Misstrauen.« Dieser Zustand des Friedens wird am Schabbat gefeiert. An diesem Tag soll man heiter sein, gut essen und trinken, in Gemeinschaft mit anderen, selbst wenn man arm ist oder die Zeiten unfriedlich. Das schöne Geschirr kommt auf den Tisch, das Essen ist gut und reichlich und wird vorgekocht, damit es keine Arbeit damit gibt. Es soll nur friedliches und frohes, aufbauendes gesprochen werden, und jeder Streit soll ruhen. »Es ist ein Tag für Leib und Seele – Luxus und Freude sind integrale Bestandteile der Observanz des Schabbat.« Vielleicht wäre es gut, sich am Schabbat-Feiern ein Beispiel zu nehmen, um sich das Potential des Friedens immer neu ins Gedächtnis zu rufen. Man könnte regelmäßig an einem Tag der Woche – vielleicht auch nur an einem Abend der Woche – den Frieden feiern. Man sollte also an diesem Tag oder Abend nur Dinge tun oder benützen, die keinen Unfrieden und keine Un - gerechtigkeit in die Welt bringen – also z.B. sollten nur Fair Trade Produkte und lokale Bioprodukte auf den Tisch kommen; man sollte auf die Benützung von Geräten, die mit unfairen Arbeitsverhältnissen oder anderen Formen von Ausbeutung verbunden sind, verzichten, usw. Zugleich aber sollte es ein Fest werden – mit gutem Essen, guten Getränken, guten Gesprächen, guter Atmosphäre. Wem das zu schwierig erscheint, der/die könnte ja erst einmal jeden Tag eine Stunde zur Friedens-Stunde erklären, und in dieser Stunde alle Medien abdrehen, von Fernsehen bis Handy, mit den Kindern spielen, der Oma plaudern, mit Freunden reden, oder einfach allein Stille und Ruhe genießen, um den Frieden zu feiern und die Geisteshaltung des Friedens, »eine Neigung zu Güte, Vertrauen und Gerechtigkeit« zu entwickeln.