Strafgericht für verantwortliche Konzerne
Strafgericht für verantwortliche Konzerne
Alexander Behr | 12.04.2023 | 18 Minuten

In der letzten brennstoff-Ausgabe druckten wir eine Rede des Schweizer Theaterregisseurs Milo Rau, in dem er das von ihm initiierte KONGO TRIBUNAL vorstellte. Ziel des KONGO TRIBUNALs ist die Aufarbeitung der massiven Menschenrechtsverletzungen in der ostkongolesischen Provinz Kivu, die so eng mit unserem Lebensstil im Westen verknüpft sind: Die rohstoffreiche Region sichert unsere »imperiale Lebensweise« ab. Nun soll aus dem KONGO TRIBUNAL eine permanente Institution werden: Eine Gruppe von kongolesischen und europäischen JuristInnen, MenschenrechtsaktivistInnen und JournalistInnen führt den Kampf gegen die Straflosigkeit in der Demokratischen Republik Kongo weiter. Der Menschenrechtsanwalt Sylvestre Bisimwa lebt und arbeitet in der ostkongolesischen Stadt Bukavu. Er nahm im Film DAS KONGO TRIBUNAL die Rolle des Untersuchungsrichters ein. Im Interview mit Alexander Behr spricht er über sein Engagement gegen die Wirtschaftsverbrechen in seiner Heimat und über die nächsten Schritte, die mit dem KONGO TRIBUNAL geplant sind.

Herr Bisimwa, wo steht der Prozess, den Sie mit dem Kongo Tribunal angestoßen haben?

Die erste Etappe war natürlich die Durchführung des Tribunals selbst sowie die Produktion des dazugehörigen Filmes. In Bukavu organisierten wir während drei Tagen Anhörungen, danach folgten die Anhörungen in Berlin. Nachdem die Schnittarbeiten beendet waren, lief der Film in Bukavu und an vielen Orten in Europa. Was ist nun das Essenzielle an unserem Projekt? Es steht ausser Zweifel, dass das Kongo Tribunal eine reine Fiktion darstellt – doch das Problem, das Milo Rau aufgeworfen hat, ist real – und es ist universell. Unser Projekt behandelt die Situation im Ost-Kongo. Doch es hätte in einem beliebigen unterentwickelten Land des Südens stattfinden können, etwa in Nicaragua oder auf den Philippinen. In unserem Prozess werden nämlich zwei Probleme behandelt, die in einer Vielzahl von armen Ländern auftreten und die strukturell bedingt sind: Erstens die Verantwortungslosigkeit der lokalen Behörden gegenüber ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern. Dies betrifft die Frage der Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen sowie die Frage der ungerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Zweitens geht es um die Passivität der Internationalen Gemeinschaft und die fatale Logik der globalen Warenströme. Beide Aspekte sind im Kongo äußerst virulent – Milo Rau war schockiert darüber, was sich im Kongo abspielt und beschloss, etwas zu tun.

Wie haben Sie Milo Rau kennengelernt?

Das ist eine wirklich lustige Geschichte. Ich lernte Milo Rau und sein Team über eine Freundin kennen. Man stellte ihn mir vor und erklärte ihm, dass ich Anwalt und Menschenrechtsaktivist sei. Am nächsten Morgen kam er zu mir und fragte mich, ob ich in seinem Film mitspielen wolle. Zu Beginn hatte ich den Eindruck, dass es sich um nichts ernsthaftes handelte – ein fiktives Tribunal, so dachte ich, könne die Verhältnisse im Kongo nur in Form einer Parodie darstellen. Ich stellte mir so etwas wie ein Theaterstück vor. Bei solch einer Komödie wollte ich nicht dabei sein. Ich sagte ihm, dass ich kein Schauspieler sei und gab ihm eine Reihe von Adressen von Personen, von denen ich dachte, dass sie Interesse haben könnten. Doch Milo blieb hartnäckig und kam mehrere Male wieder. Als ich ihm schlussendlich die Gelegenheit gab, sein Vorhaben von Grund auf zu erklären, war ich von der Sinnhaftigkeit des Projekts überzeugt. Denn meine Arbeit besteht ja darin, für die Menschenrechte im Kongo, sowie für die Errichtung eines funktionierenden Rechtsstaats zu kämpfen. Ich vertrete Folteropfer sowie Frauen, die vergewaltigt wurden. Außerdem beteilige ich mich an den Aktivitäten der Zivilgesellschaft in meiner Provinz. All diese Elemente fand ich in Milos Projekt wieder. Letztlich habe ich also zugestimmt und zu Milo gesagt, dass wir unsere Zusammenarbeit beginnen können. Was ich an Milo besonders schätze, ist, dass er mir niemals einen Text gegeben hat, den ich spielen oder aufsagen hätte müssen. Als Teilnehmer kreiert man selbst den Text für das Stück. Milo hat ein wirklich gutes Gespür für alle Involvierten; Er diktiert keinerlei inhaltliche Positionen – im Gegenteil: Er ermöglicht es den Leuten, sich im Stück entsprechend ihrer Erlebnisse und Erfahrungen frei auszudrücken. Daraus resultiert der Doppelcharakter des Kongo Tribunals: Es handelt sich um Fiktion, aber gleichzeitig um beinharte Realität – denn all diejenigen, die teilnahmen, benannten die Dinge auf die Weise, wie sie sie tatsächlich empfanden; sie drückten sie nach ihrer Manier aus. Es gab keinerlei Montage oder Verfälschung.

Welche Reaktionen hat der Film im Kongo bisher ausgelöst?

Im Kongo hat das Tribunal unglaubliche Wellen geschlagen: Denn obwohl es sich wie gesagt um Fiktion handelt, sieht man im Film, wie die tatsächlichen Opfer von Gewalthandlungen zu Wort kommen. Außerdem sprechen politische Verantwortliche sowie wissenschaftliche Experten. Das Essenzielle war, dass wir allen eine Stimme gegeben haben – die Menschen konnten ihre Meinung in einem geschützten Rahmen frei zum Ausdruck bringen. Die Opfer der Gewalthandlungen konnten sich darauf verlassen, dass es einen Vorsitz, eine Jury und einen Richter gab. Sie konnten sich des weiteren darauf verlassen, dass die formellen Regeln eines Tribunals eingehalten wurden. Der Film stand auch beispielhaft dafür, wie Gerechtigkeit aussehen könnte. Denn aktuell funktioniert die Gerichtsbarkeit im Kongo ja nur in Ausnahmefällen – es gibt keine Gerechtigkeit. Durch den Film konnten sich die ZuschauerInnen ein Bild davon machen, wie die Gerichtsbarkeit in ihrem Land beschaffen sein könnte. Die Menschen warten darauf, dass das Realität wird, was in unserer Inszenierung vorgezeigt wurde.

Gab es seit dem Beginn der Kongo-Kriege Versuche, ein internationales Strafgericht einzurichten?

Ja. Wir erhofften uns ja bereits vor etlichen Jahren, dass es auf der Basis eines Mapping-Projekts, bei dem zwischen 2003 und 2010 rund 600 Massaker aufgezeichnet wurden, ein internationales Strafgericht für den Kongo geben würde – doch die Vereinten Nationen sind unserer Forderung damals nicht nachgekommen. Die Zivilgesellschaft forderte daraufhin ein Strafgericht, das aus kongolesischen und europäischen Richtern und Anwälten zusammengesetzt sein sollte. Auch diese Forderung hat der kongolesische Staat in den Wind geschlagen. Deswegen sind wir nun zur Tat geschritten: Unser Projekt zeigt modellhaft, wie ein international zusammengesetztes Tribunal tatsächlich aussehen könnte. Kongolesische Richter arbeiten hier Seite an Seite mit ausländischen Richtern, um die Wahrheit ans Tageslicht zu befördern und Gerechtigkeit walten zu lassen. Viele Menschen schlossen sich umgehend unserem Wunsch an, den Prozess, den wir mit dem Tribunal begonnen haben, fortzuführen.

Sprechen wir ein wenig von der aktuellen Situation im Kongo. Kabila verschiebt die Wahlen ständig, die politische Krise hat sich auf verschiedene Provinzen ausgeweitet. In Kasai im Zentrum des Landes kommt es immer wieder zu schweren Zusammenstößen zwischen der Opposition und der kongolesischen Armee, hunderttausende Menschen sind geflohen. Im Kivu ist der Krieg ja schon seit Jahrzehnten eine bittere Realität.

Es ist sehr schwierig abzuschätzen, was auf uns zukommt. Mit Sicherheit kann gesagt werden, dass die Dinge sich nicht zum besseren verändern. Es ist offensichtlich, dass die Kreise rund um Kabila die Macht nicht aufgeben wollen, obwohl das Land nicht vorankommt und obwohl die zweite Amtszeit des Präsident bereits verstrichen ist. Bereits im Dezember 2016 hätten Wahlen stattfinden sollen. Anstatt jedoch Wahlen abzuhalten, hat Kabila einen Vertrag durchgesetzt, der den Urnengang zunächst auf Dezember 2017 verschob. Doch nun hat er die Wahl um ein weiteres Jahr hinausgezögert. Es ist also vollkommen klar, dass er keine guten Absichten verfolgt – es ist offensichtlich, dass er eigentlich gar keine Wahlen abhalten will.
Die Zivilgesellschaft hält dagegen und wird dabei von der katholischen Kirche unterstützt. Kabila antwortet auf diesen Widerstand mit gewaltiger Repression. Er hat die Waffen und die entsprechenden Mittel. Wir befinden uns also in einem Klima der permanenten Konfrontation. Die politische Opposition ist nach dem Tod von Etienne Thisekedi, dem Anführers der größten Oppositionspartei des Landes, sehr geschwächt – Kabila ist es aber auch gelungen, die oppositionellen Kräfte zu spalten, indem er einige wichtige Personen aus der Partei von Thisekedi kooptiert hat.

Was ist aktuell das Hauptziel der Opposition?

Neben der Beendigung des Krieges besteht eines der Hauptziele schlicht darin, Wahlen herbeizuführen. Zum momentanen Zeitpunkt ist es keinesfalls sicher, ob der Zeitplan eingehalten wird. Vielleicht erfindet Kabila einen Vorwand, um die Wahlen ein weiteres Mal zu verschieben. Was die Sicherheitslage betrifft, so muss man aktuell feststellen, dass die Lage fast überall unsicher ist. Es gibt Milizen und bewaffnete Gruppen in allen Teilen des Landes. Eine meiner Hypothesen ist, dass sich dahinter eine gezielte Strategie der Regierung verbirgt, die darauf abzielt, das Land zu paralysieren und mittels Durchgriffsrecht des Militärs den Ausnahmezustand auszurufen (‚état de siège). Wenn das der Fall ist, können keine Wahlen abgehalten werden. Wir befinden uns also in einer erzwungenen Übergangsphase, von der wir nicht wissen, wie lange sie dauern wird. Wir als Zivilgesellschaft sehen unsere Aufgabe darin, Druck aufzubauen, damit die Wahlen stattfinden können.

Oftmals wird gesagt, dass die östlichen Nachbarländer des Kongo, also Ruanda, Uganda und Burundi gewaltigen Einfluß auf die politische Situation haben, die Sie beschreiben. Trifft dies zu?

Es stimmt, dass diese Länder einen großen Einfluß im Kongo haben. Umgekehrt hat auch alles, was im Kongo passiert, Auswirkungen auf die Nachbarländer – unser Land ist ja riesig groß und besitzt ungeheure Reichtümer. Die geostrategische Bedeutung des Kongo ist immens. Die Nachbarländer versuchen also, die Situation im Kongo entsprechend ihrer Interessen zu beeinflussen. Die drei Länder, die Sie genannt haben, stehen Kabila politisch sehr nahe. Dennoch bin ich im Wesentlichen zutiefst davon überzeugt, dass das Wohl des Kongo von den Kongolesinnen und Kongolesen abhängt. Es liegt also an uns, eine politische Führung einzusetzen, die unser Land voranbringt. Wir sagen oft allzu schnell, dass unser Land von den Nachbarländern manipuliert wird. Doch ich bin davon überzeugt, dass die Lösung bei uns selbst liegt. Denn es ist schlichtweg absurd, dass unsere politische Klasse angesichts all der Reichtümer, die der Kongo aufweist, nicht in der Lage ist, dafür zu sorgen, dass die Grundbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger befriedigt werden. Das Problem liegt darin, dass die Bodenschätze ins Ausland transferiert werden oder in den Taschen der kongolesischen Politiker landen. Gleichzeitig sind die Straßen in schlechtem Zustand, es gibt keine funktionierenden Krankenhäuser, es gibt kein gutes Trinkwasser, die Eltern können aufgrund der Arbeitslosigkeit das Schulgeld für die Kinder nicht bezahlen. Dazu kommt, dass viele Menschen vertrieben werden und flüchten müssen – sei es in Nachbarprovinzen oder Nachbarländer wie z.B. Angola. In der Provinz Ituri und in der Provinz Kasai kommt es aktuell zu massiven Vertreibungen. Wie gesagt ist anzunehmen, dass die allgemeine Unsicherheit im Land von der offiziellen Politik gewollt ist, um den Urnengang hinauszuzögern – die Gewalt ist ein bewusst herbeigeführtes Mittel, um keine Wahlen organisieren zu müssen.

Der Prozess, der mit dem Kongo Tribunal begonnen wurde, soll nun fortgeführt werden. Ihr Ziel ist ja, an mehreren Orten des Kongo Tribunale auszurichten, um so die Straflosigkeit zu überwinden. Wie gehen Sie dabei vor?

Milo Rau hat eine Spendenkampagne in Europa initiiert, die es uns ermöglicht hat, die DVD des Filmes zu drucken und zu verbreiten. Indem wir mit den Film durch das Land reisen, werden wir gleichzeitig die Möglichkeiten evaluieren, an den respektiven Orten Tribunale zu organisieren. Dafür haben wir ein achtköpfiges Komitee zusammengestellt. Wir werden nach den Screenings mit den Betroffenen darüber diskutieren, ob sie sich ein Tribunal in ihrer Region wünschen. Die lokale Zivilgesellschaft soll dabei eine maßgebliche Rolle spielen. Wenn die Betroffenen zustimmen, werden wir evaluieren, welche konkreten Fälle wir behandeln wollen. Danach werden wir Recherchen anstellen und entsprechende Daten sammeln. Um zwei konkrete Beispiele zu nennen: In Kasika, einem Dorf, das rund drei Autostunden südwestlich von Bukavu liegt, wurden bei einem Massaker rund ein Dutzend Frauen bei lebendigem Leib begraben. Danach hat es niemals einen Prozess gegeben. Ein weiteres Beispiel ist das Dorf Makobola. Dort hat es ebenfalls ein Massaker gegeben – man hat die Leichen in einem Massengrab verscharrt. Wir sind davon überzeugt, dass die Betroffenen an diesen Orten Gehör finden müssen. Die Gemeinden haben ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Es ist absolut essenziell, dass die Menschen dort gemeinsam in Erfahrung bringen können, was wirklich passiert ist und wer die Verbrechen zu verantworten hat. Wer sind die Schuldigen und wo halten sie sich auf? Warum leitet der Staat keine Untersuchungen ein?

Wie viele Tribunale soll es geben und was ist Ihr konkretes politisches Ziel?

Je nachdem, wie viele finanzielle Mittel wir durch die erwähnte Spendenkampagne in Europa sammeln können, planen wir, alle sechs Monate oder ein Mal pro Jahr ein Tribunal abzuhalten. Unser wichtigstes Ziel ist, dass die Menschen den Mut finden, zu sprechen. Damit erhoffen wir uns, den kongolesischen Staat in die Pflicht zu nehmen. Es liegt in seiner Verantwortung, ein offizielles, rechtlich abgesichertes Tribunal abzuhalten. Außerdem wollen wir die Internationale Gemeinschaft in die Pflicht nehmen. Denn im Westen weiss man oft nicht, was sich im Kongo wirklich abspielt. Die Medien in Europa befassen sich nur äußerst wenig mit dem, was hier geschieht. Unsere Tribunale sollen also ein wirksames Plädoyer gegenüber dem kongolesischen Staat und der Internationalen Gemeinschaft sein. Denn letztere muss die kongolesische Politik in die Pflicht nehmen, wenn diese ihren Aufgaben nicht nachkommt. Drittens geht es darum, die Rolle der Multinationalen Konzerne aufzudecken. Falls Rohstoffkonzerne nachweislich in Verbrechen involviert waren oder von ihnen profitieren, müssen wir die Internationale Gemeinschaft in die Pflicht nehmen, zu agieren. Kurzum: Wenn weder die kongolesische Justiz noch die Internationale Gemeinschaft agiert, müssen wir den ersten Schritt tun.

Wie sieht Ihr Zeitplan aus?

Unser Plan ist, bis Dezember 2018 den Film „Das Kongo Tribunal“ in allen 26 Provinzen des Kongo zu zeigen. Ich denke, dass wir bereits im September wissen könnten, welche Fälle wir uns vornehmen und welche Multinationalen Konzerne wir einbeziehen wollen. Ich halte es für realistisch, dass wir uns fünf Provinzen vornehmen und unsere Untersuchungen dort anstellen. Dabei kann es sich um die Förderung von Kobalt, Coltan, Gold, Diamanten oder landwirtschaftliche Produkte wie Kaffee oder Tee handeln. Parallel dazu werden unsere Mitstreiterinnen und Mitstreiter rund um Milo Rau in Europa mit dem fundraising weitermachen, denn selbstverständlich brauchen wir für die Durchführung der Tribunale nicht unerhebliche finanzielle Mittel, die die kongolesische Zivilgesellschaft schlichtweg nicht hat. Wir rechnen damit, dass wir mit den Folge-Tribunalen im Jahr 2019 beginnen können. Wir wollen auch mit allen Kräften zusammenarbeiten, die ein Interesse daran haben, dass die Straflosigkeit im Kongo ein Ende hat.

Im Film „Das Kongo Tribunal“ ist es Ihnen ja gelungen, die politische Elite der Region miteinzubeziehen. Der Gouverneur war anwesend, der Minenminister und der Innenminister der Regionen sagten sogar vor dem Tribunal aus. Hier gelang Ihnen ein beachtlicher Erfolg: Die beiden Minister wurden unmittelbar nach dem Tribunal entlassen, der Gouverneur dankte im Jahr 2017 ab. Denken Sie, dass Ihnen ein ähnlicher Effekt wieder gelingen kann oder sind die Behörden nun vorgewarnt?

Die Teilnahme der politischen Verantwortlichen bei den Folgetribunalen ist natürlich nicht gesichert. Es liegt an uns, das Projekt auf eine Art zu präsentieren, die alle miteinbezieht. Wir werden auf die Minister zugehen und sie einladen. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, die genauen Tathergänge darzustellen. Wir müssen den Behörden klarmachen, dass es sich nicht um ein Tribunal handelt, das sich à priori gegen die Regierung richtet. Die amtierenden Politiker werden selbstverständlich die Gelegenheit bekommen, sich zu verteidigen. Unsere Idee besteht nicht darin, die Behörden vorzuverurteilen. Wir wollen auch sie zu Wort kommen lassen. Sie werden also die Gründe vorbringen können, die dieses oder jenes Vorgehen, das sie zu verantworten haben, rechtfertigt. Wir wollen ihnen die Gelegenheit geben, ihre Version der Dinge darzustellen. Denn wir haben von Beginn an klar gesagt, dass wir ein Tribunal im Interesse des kongolesischen Volkes organisieren. Wer behauptet, dass sich das Tribunal von vorn herein gegen den Staat richtet, der irrt sich. Das Gericht wird eine unabhängige Entscheidung treffen. Was wir wollen, ist eine grundsätzlicher Wandel; Unsere Arbeit versteht sich als ein umfassendes Plädoyer für Gerechtigkeit. Ich gehe davon aus, dass auch die kongolesischen Behörden letztlich ein Interesse daran haben.

Nun ist es aber so, dass die multinationalen Rohstoffkonzerne keine Vertreter zum Kongo Tribunal geschickt haben. Der kanadische Konzern Banro, der im Kivu Gold fördert, war im Film abwesend. Wie wollen Sie das Problem lösen, dass sich die Konzerne ihrem juristischen Prozedere entziehen?

Die Nicht-Beteiligung der Konzerne an unserem Tribunal ist tatsächlich ein Problem. Wir werden aber auch hier nicht locker lassen und weiterhin versuchen, sie einzubinden. Wir werden offen auf sie zugehen, ihnen unseren Ansatz erklären und versuchen, sie zu überzeugen. Unsere Perspektive besteht natürlich darin, die Wahrheit ans Tageslicht zu befördern und Gerechtigkeit herzustellen. Doch auch den Rohstoffkonzernen werden wir zu verstehen geben, dass es sich nicht um ein Projekt handelt, das à priori gegen sie gerichtet ist. Wir werden auch ihnen klar machen, dass alle Akteure ihre Sicht der Dinge vorbringen können und sollen. Wenn sie sich nicht überzeugen lassen, wäre das sehr schade. Das Essenzielle bleibt aber meiner Ansicht nach unser Wille, ihnen die Möglichkeit zu bieten, teilzunehmen. Ihre Position soll genau so gehört werden wie die Positionen der Opfer, der Experten und der Regierung. Wenn sie weiterhin nicht teilnehmen, wird uns das allerdings nicht davon abhalten, unsere Arbeit fortzuführen.

Beim Tribunal auszusagen erfordert sehr viel Mut. Gab es denn keine Fälle, in denen Zeuginnen oder Zeugen verhaftet, angegriffen, bedroht oder eingeschüchtert wurden?

Bis jetzt gab es meines Wissens nach zum Glück noch keine Repressalien gegen Zeuginnen oder Zeugen, die beim Kongo Tribunal ausgesagt haben. Doch natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass dies nicht etwa bei den Folge-Tribunalen geschehen könnte. Man muss bedenken, dass die DVD ja im Kongo bis dato noch nicht breit zirkuliert. Sobald der Film allerdings bekannter ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Behörden ihn auf eine bestimmte Weise interpretieren werden. Das kann natürlich dazu führen, dass Personen, die sich beteiligen, verhaftet werden oder Repressalien erfahren. Falls das geschieht, werden wir natürlich reagieren und die unmittelbar Betroffenen gegenüber den Behörden verteidigen.

Bei den Vorführungen in Europa gab es von Seiten der kongolesischen Exil-Community des öfteren kritische Anmerkungen bezüglich der Rolle, die der Oppositionspolitiker Vital Kamerhe im Film einnimmt. Die Kritik lautet, dass er kein echter Oppositionspolitiker sei und dass man ihm nicht trauen könne. Was ist ihr Position dazu?

Viele Leute verstehen nicht, aus welchen Beweggründen wir uns dazu entschlossen haben, Vital Kamerhe in den Film einzubinden. Wir wollten, dass die Opposition zu Wort kommt, genauso wie wir wollten, dass die Regierungsseite zu Wort kommt. Wir haben sogar den Informationsminister nach Bukavu eingeladen, also einen hohen Regierungsvertreter aus Kinshasa. Er konnte aus Zeitgründen nicht kommen, hat sich aber dazu bereit erklärt, eine Delegation zu schicken. Im Film ist die Redezeit von Kamerhe sehr beschränkt. Doch alleinig die Tatsache, dass er im Film zu sehen ist, bewegt manche zu der Annahme, dass wir seine Parteigänger wären. Das ist Unsinn. Milo Rau hat sich dazu entschieden, alle zu Wort kommen zu lassen. Ich möchte noch einmal hervorheben, dass es sich bei unserem Tribunal um ein Projekt handelt, das alle Kongolesinnen und Kongolesen miteinschließt. Kamerhe ist ein Kongolese und mit seiner Partei ein wichtiger Vertreter der KongolesInnen. Es ist also vollkommen selbstverständlich, dass auch er zu Wort kommt, genauso wie der damalige Gouverneur der Provinz, Marcellin Cishambo und seine zwei Minister.

Das Ende der Gewaltherrschaft von König Leopold II. im Jahr 1908 kam nicht zuletzt durch eine transnationale Kampagne zustande. Manche sprechen sogar von der ersten internationalen Menschenrechtskampagne der Geschichte. Denken Sie, dass es möglich ist, durch transnationale Mobilisierung heute einen ähnlichen Erfolg zu erzielen?

Unser Projekt zielt auf eine Kritik des Neokolonialismus ab. Wir wollen die herrschenden Regeln und Gesetze des internationalen Handels infrage stellen und überwinden. Denn es ist völlig offensichtlich, dass die aktuellen Regelungen auf dem Gebiet des internationalen Handels und der Finanzwelt für die Länder des Globalen Südens von enormem Nachteil sind. Heute sehen wir, dass Multinationale Konzerne durch die herrschenden Steuer- und Finanzregelungen auf allen Ebenen begünstigt werden. Dies geht auf Kosten der Bevölkerung der Dritten Welt. Es liegt an den afrikanischen Regierungen, sich zu erheben und sich zur Wehr zu setzen. Der Preis der Rohstoffe auf dem Internationalen Markt steht in eklatantem Widerspruch zum Lohn, den ein Coltan- oder Goldschürfer im Kivu erhält – wir fordern, dass die Menschen, die die Rohstoffe produzieren, die für den Westen so wichtig sind, vom Reichtum ihrer Länder profitieren können. Dazu will unser Projekt einen Beitrag leisten. Die Anhörungen in Berlin (an denen unter anderem die Soziologin Saskia Sassen und der Sozialpsychologe Harald Welzer teilnahmen) hatten zum Ziel, diese neokolonialen Strukturen zu durchleuchten. Es ist also absolut notwendig, in den Ländern des Nordens aktiv zu werden und die Geschäftspraktiken der Großkonzerne unter die Lupe zu nehmen. Die UNO, die Institutionen der Europäischen Union sowie die Regierungen der einzelnen Länder des Westens müssen endlich handeln. Wir wollen, dass Konzerne, die für Menschenrechtsverletzungen in Ländern des Globalen Südens mitverantwortlich sind, vor einem Gericht angeklagt werden können.

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Autor

Alexander Behr

geb. 1979, hat an der Universität für Bodenkultur Wien sowie an der Universität Wien studiert; er ist Übersetzer, Journalist und Lektor an verschiedenen Universitäten. Neben der Lehrtätigkeit an Unis, an Schulen und bei Gewerkschaften ist er Aktivist im Netzwerk Afrique Europe Interact sowie beim Forum Civique Européen. Seine Dissertation verfasste er zum Thema: »Landwirtschaft – Migration – Supermärkte. Ausbeutung und Widerstand entlang der Wertschöpfungskette von Obst und Gemüse«. Er arbeitet zu den Themenschwerpunkten Nord-Süd-Verhältnisse, transnationale Solidarität sowie Flucht und Migration. 2015 ist im  Mandelbaum Verlag das von ihm übersetzte Buch von Emmauel Mbolela, »Mein Weg vom Kongo nach Europa. Zwischen Widerstand, Flucht und Exil«, erschienen, zu dem Jean Ziegler das Vorwort verfasst hat. Kontakt: da.behr[et]reflex.at

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