Nach einer Reise durch Bosnien-Herzegowina geht es weiter Richtung Montenegro.
„Neum?“ Der Busfahrer sieht mich überrascht an, als ich ihm mein Ticket zeige. Der Bus fährt nach Dubrovnik und Neum, die einzige Küstenstadt in Bosnien-Herzegowina, ist nur ein Zwischenstopp.
Niemand, der die hübschen Städtchen an der kroatischen Küste kennt, will nach Neum – außer mir. Das mag daran liegen, dass ich immer schon eine Schwäche für Underdogs hatte und dass Destinationen abseits der Touristenströme mich einfach mehr reizen. Es mag aber auch an der wunderschönen Bucht liegen, die Neum umschließt.
Die Stadt ist anders als benachbarte kroatische Schönheiten, mit ihrem herben Charme, der Mischung aus kleinen Apartmenthäusern und Hotelburgen, die aus kommunistischen Zeiten stammen. Neum wurde am Reißbrett entworfen, um den Bürgern des ehemaligen Jugoslawien einen Urlaubsort zu bieten.
Von Neum ist es nicht weit nach Montenegro, ein kleiner, überfüllter Bus bringt mich nach Kotor. Der Busfahrer zündet sich bei jeder noch so kleinen Haltestelle eine Zigarette an und steigt kurz aus, während der Fahrt entlang der Steilküste zählt er sein Geld. In Kotor holt mich der Massentourismus doch noch ein: Die malerische Altstadt – UNESCO-Weltkulturerbe – gilt als neuer "Geheim"tipp unter Kreuzfahrttouristen, in der Bucht liegen zwei riesige Schiffe vor Anker. Die Altstadt ist heillos überfüllt und ich flüchte nach einem kurzen Spaziergang. Zwei Busstunden weiter wartet die Hafenstadt Bar: Ich komme bei meinem über AirBnB gebuchten Apartment an und werde von der Mutter meiner Vermieterin in Empfang genommen, die kein Wort Deutsch oder Englisch spricht. Wort- und gestenreich bietet sie mir alles mögliche an, von Kaffee über Weintrauben bis Schnaps. Ich trinke einen Rakija mit ihr und krame die paar Brocken Serbokroatisch heraus, die ich mir im Laufe der Jahre angeeignet habe.
Gordana holt ihre Nachbarn zuhilfe, um ins Englische zu übersetzen und es stellt sich heraus, dass es sich um einen russischen Flüchtling und seiner Frau handelt. Die dann auch noch einen selbstgebackenen Kuchen bringt, den ich zu den Weintrauben esse und der Schnaps wird von selbstgemachtem Traubensaft abgelöst. Wir unterhalten uns, sie erzählen von der hohen Inflation im Land. Anders als Bosnien-Herzegowina hat Montenegro den Euro eingeführt und der Unterschied etwa bei den Lebensmittelpreisen ist offensichtlich. Die Stunden vergehen, jemand holt eine Gitarre und es fühlt sich an wie mit lieben Freunden.
Der Grund für meinen Besuch in der wenig bekannten Stadt Bar hängt mit meiner Bahnleidenschaft zusammen: von hier fährt ein Zug bis nach Belgrad, mitten durch das Dinarische Gebirge. Die Zugstrecke gilt als eine der schönsten Europas und dauert 11 Stunden, manchmal auch länger. Um 9 Uhr morgens geht es los, ich bin mit Proviant und Wasser ausgerüstet. Der Zug hat schon bessere Tage gesehen, die Sitze sind durchgesessen, aus einer kaputten Toilette rinnt Wasser über den Boden des Waggons.
Die Strecke führt entlang des Skutarisees nach Podgorica, dann beginnt der Aufstieg in die Berge. Schließlich fährt der Zug über die höchste Eisenbahnbrücke Europas und bietet einen spektakulären Ausblick auf das Tal und einen Fluss, der sich tief unten dahin schlängelt. An der Grenze zu Serbien dann ein halbstündiger Halt mit Passkontrolle und nach siebenstündiger Fahrt endlich ein Kaffee, serviert im Plastikbecher – der beste meines Lebens.
Der Zug kommt relativ pünktlich in Belgrad an und von der serbischen Hauptstadt trete ich nach zwei Tagen die Fahrt zurück nach Wien an. Meine Reise endet nach zwei Wochen, 40 Bus- und Bahnstunden und knapp 2000 zurückgelegten Kilometern.
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