Aus dem Buch von Karen Duve „Warum die Sache schiefgeht“ Das Buch ist im Goldmann Verlag erschienen.
Das Wasser ist knapp. Jetzt geht‘s ums Teilen.
Der Forensiker Thomas Noll und Pascal Scherrer haben an der Universität St. Gallen mit 28 professionellen Aktienhändlern ein Experiment wiederholt, welches zuvor an der Universität Regensburg mit 24 Psychopathen aus einer geschlossenen Anstalt und 24 Männern aus der allgemeinen Bevölkerung durchgeführt worden war.
Anhand einer Computersimulation, in der es darum ging, mit einem virtuellen Gegenspieler knappe Wasserressourcen zu teilen, wurden Egoismus und Kooperationsbereitschaft getestet. Es blieb der jeweiligen Testperson überlassen, ob sie beim virtuellen Wasserholen jedes Mal gerecht teilte oder ob sie ab und zu versuchte, den anderen zu übervorteilen. Oder auch öfter. Nur musste die Testperson dann damit rechnen, ebenfalls übervorteilt zu werden, so dass auch ein skrupelloser Spieler sich überlegen musste, wie oft er betrügen wollte, damit es sich noch lohnte. Die hässliche Annahme war, dass Profi-Trader sich ähnlich rücksichtslos und egoistisch wie Psychopathen verhalten würden, dabei aber bessere Erfolge erzielten. Das Ergebnis übertraf die üblen Erwartungen. Die Trader benahmen sich noch asozialer, egoistischer und risikobereiter als die Kontrollgruppe aus der geschlossenen Anstalt.
„Natürlich kann man die Händler nicht als geistesgestört bezeichnen“, sagte Noll gegenüber dem Spiegel, aber sie „erzielten wider Erwarten dabei sogar weniger Gewinn“ als die Psychopathen.
Wer also glaubt, an der Börse gehe es einigermaßen rational zu, der irrt womöglich. Statt sachlich und egoistisch auf den größten Gewinn hinzuarbeiten, „ging es den Händlern vor allem darum, mehr zu bekommen als ihr Gegenspieler. Und sie brachten viel Energie auf, diesen zu schädigen.“
Fußnote: Bei 40 „Runden“ Wasserholen betrogen die professionellen Aktienhändler im Durchschnitt 12,3-mal, während die Psychopathen nur 4,4-mal ihren Gegenspieler zu übervorteilen versuchten. Bei den Männern aus der allgemeinen Bevölkerung wollte (durchschnittlich) nur jeder Fünfte betrügen und dann auch nur einmal (1-mal). Wer immer ehrlich blieb, bekam in den 40 Runden genau 200 Liter, die Börsenhändler 202.
(Info aus: Habermacher, Krichgässner: „Sind Wertpapierhändler schlimmer als Psychopathen?“, Ökonomenstimme, Okt. 2011)
Meine Gedanken dazu und darüber hinaus:
Überall herrscht ein seltsamer Druck, funktionieren zu müssen. „Performance“ ist alles. Die „mündige Maske“ genügt. Der Druck nach der funktionierenden Maske herrscht nicht nur beim Aktienhändler. „Seltsam“ nenne ich diesen Druck deshalb, weil wir alle, ich meine wirklich fast alle, in der Tiefe unseres Inneren spüren, dass „das“ nicht das wirkliche Leben ist. Der Zugang zu diesen inneren Tiefen ist oft verschüttet und doch ist es so, dass in jedem Menschen etwas „Unversehrtes“, etwas Reines, etwas Nicht-Kaputtes da ist. Pasolini nennt es die Heiligkeit des Lebens. Es ist in uns; auch wenn es schlummert. Es ist immer da. Es will geweckt werden.
„Und wenn ich abends immer weiterginge“ … das ist für mich so die Zeit vor dem Einschlafen, wo man schon zu müde ist, um die Gedanken zu lenken. In dieser müden Zeit und auch in den Träumen hat die Sehnsucht Gelegenheit, sich zu melden, und plötzlich spüren wir die Trauer über „die ungelebten Dinge“. Wenn diese ungelebten Dinge zu viel werden, kann daraus Wut werden, dann füllt sich dieses „Arsenal“ und aus dieser vollen Waffenkammer wächst die Aggression. Aggression gegen die Natur. Gegen die Mitmenschen. Gegen sich selbst (Autoaggression). Nun kann man dieses Spiel auch umdrehen. Wenn wir der Sehnsucht nach wirklichem Leben nachgeben, mehr dem Leben folgen und nicht dem Geld, dann füllt sich dieses Arsenal nicht so sehr mit Aggression; und unsere Kooperationsbereitschaft mit allem Leben wächst. So werden wir kooperationsfähig mit der Natur, mit den Mitmenschen und auf geheimnisvolle Weise auch mit sich selbst.
Viva la cooperacion
Im hellwachen Zustand schieben wir dieses An- klopfen der Sehnsucht schnell zur Seite.
Und ganz zum Schluss, heißt es im letzten Vers:
(Rainer Maria Rilke, 19.9.1901, Westerwede)
Neulich habe ich diese Rilke Verse beim Geburtstagsfest von Ute Karin Höllrigl vorgetragen. Ute Karin feierte ihren 80er. Mit ihren „Träumen“ ist sie eine ganz wichtige Seminarleiterin in der GEA Akademie. Als C.G. Jung geschulte Tiefenpsychologin sagt sie: „Träume sind Briefe aus dem Inneren“. Drum habe ich den letzten Satz von diesem Rilke Gedicht… „Wer lebt es denn?“ … sekundenlang im Raum stehen lassen. Dann setzte ich fort mit dem halben Vers … „Lebst du es?“, dabei blickte ich offen in ein Augenpaar; meine Augen wanderten zum nächsten Augenpaar, und wieder fragte ich (mit Rilke): „Lebst du es?“; und zum nächsten: „Lebst du es?“ – und dann weiter mit: „Lebst du es, Gott, – das Leben?“ … Und dann erzählte ich, dass mein Lieblingsmystiker, Meister Eckehart, vor rund 700 Jahren gesagt hat, dass uns mit der Geburt ein göttlicher Funke ins Herz gelegt wurde, den wir durch Meditation oder durch Begegnungen oder auch durch Träume erahnen und erfahren können. Und sobald wir diesem göttlichen Funken, oder unseren Träumen, mehr folgen als den dauernden Sachzwängen, in diesem Augenblick ändert sich unser Leben.
Alles wird anders. Auch die Welt.