Danke Heribert Prantl für diesen Text.
Der Kanzler will eine große Rede halten, eine Festrede; er will am Montag in Berlin den dreihundertsten Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant feiern. Das überwältigende Interesse an dessen Philosophie lässt sich „mit der Sorge um den Zustand unserer Welt erklären“. So hat das der Bundespräsident vermutet, als er vor zwei Tagen im Schloss Bellevue die Ausstellung eines handschriftlichen Auszugs aus Kants Werk „Zum Ewigen Frieden“ eröffnet hat.
Zum ewigen Frieden
Ist das ein bitterer Scherz? Eine wohlmeinende Phantasie? Eine Utopie? Eine verzweifelte Mahnung? Man denkt an den Nahen Osten, man denkt an Putin und die Ukraine … und stöhnt. Vielleicht schmunzelt man auch verlegen, vielleicht ist man melancholisch oder, trotz alledem, hoffnungsvoll. Schon zu Kants Zeiten war es so, dass man den Titel „Zum ewigen Frieden“ mit Blick auf die Weltlage eigentlich nur ironisch oder satirisch verstehen konnte: Den Schriftzug „Zum ewigen Frieden“ hatte damals ein holländischer Gastwirt aufs Schild an seiner Wirtshaustür geschrieben und wollte damit auf den nahegelegenen Friedhof verweisen. Gleich am Anfang seines Buchs nimmt Kant mit mutiger Ironie auf das Wirtshausschild Bezug. Aber für ihn ist die Idee vom ewigen Frieden weder eine Schnapsidee noch eine, die erst im Tod eine Chance hat. Frieden, so Kant, fällt nicht vom Himmel, er liegt nicht in der Natur des Menschen, sondern muss mit dem festen Willen, unbeirrbarer Vernunft und politischer Kraft gestiftet und bewahrt werden.
Frieden stiften – genau das ist, genau das wäre die Aufgabe heute. Wer stiftet? Wo sind die Mutigen? Es wäre eine Sensation, wenn Kanzler Olaf Scholz in seiner Festrede auf Immanuel Kant Vorschläge dafür hätte. Und ein angemessenes Geburtstagsgeschenk für den Philosophen wäre das auch.
Oma kannte Kant nicht, aber …
Meine Großmutter (ich habe in meinem Letter schon einige Male dankbar von ihr erzählt) kannte Kant nicht; sie war nicht studiert, sie war aber eine Friedensphilosophin des Alltags. Das Buch, das sie immer wieder studierte, war nicht das vom ewigen Frieden, sondern die Bibel. Sie hatte vierzehn Kinder geboren. In ihrem Zimmer stand eine große Holzkiste, darauf in Sütterlin-Schrift die Aufschrift „Der Krieg“. Darin befanden sich Briefe, die ihre Söhne und Schwiegersöhne von allen Fronten des Zweiten Weltkriegs nach Hause geschrieben hatten. Bisweilen saß sie auf dieser Kiste und erzählte vom Krieg. Was würde Großmutter heute sagen, wenn sie noch lebte? „Schreib was Bub“, würde sie sagen, „schreib was gegen den Krieg.“ Und sie würde mir dann vom Ersten Weltkrieg erzählen, davon, wie der Krieg auf einmal da war, mitten im schönsten August und wie die Menschen damals erst jubelten und dann verzweifelten.
„Schreib was, Bub. Schreib was gegen den Krieg“. Das habe ich nun, gut zwei Jahre nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs, auf 240 Seiten in einem soeben erschienen Buch getan. Ich habe über Kant geschrieben und über Martin Luther King, über Gewalt und Pazifismus, über die Kraft und die Ohnmacht der Gewaltlosigkeit. „Den Frieden gewinnen“ heißt das Buch. Von all den Büchern, die ich geschrieben habe, ist es vielleicht das Wichtigste.
Der Bub gehorcht der Oma
und schreibt ein Buch gegen den Krieg.
Alle reden vom Krieg, vom Frieden reden zu wenige: Die weißen Tauben sind müde. In diesem Buch begründet Heribert Prantl, warum wir eine neue Friedensbewegung, eine neue Entspannungspolitik und keinen dritten Weltkrieg brauchen – es wäre der letzte. Und er denkt darüber nach, wie die Zähmung der Gewalt, wie Entfeindung gelingen kann, wie wir Frieden lernen.
Ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Kultur des Friedens – in dem Bewusstsein, dass der Weg zum Frieden kein Sommerspaziergang ist, sondern ein Höllenritt sein kann. Es bleibt dabei: Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten.