Von der Notwendigkeit
Von der Notwendigkeit
Brennstoff Nr. 66 | Heini Staudinger | 23.01.2024 | 3 Minuten

von herrschaftsfreien Räumen zu erzählen. Ilija Trojanow

Ilija Trojanow meint, wir erzählten zuwenige Geschichten, die uns glauben machten, wir bräuchten diese Regierungen gar nicht. Diese Geschichten gibt es, aber wir können uns diese Wirklichkeiten gar nicht mehr vorstellen, weil die Propaganda uns glauben machen will, dass es keine Alternative zum Mainstream gäbe, egal, wie schwachsinnig und zerstörerisch dieser agiere.

Nun erzählt Ilija Trojanow ... „Utopien speisen sich aus solchen Beispielen. Beispiele, die ich immer wieder auch selber recherchiert habe und deswegen von ihrer Lebendigkeit und Beseeltheit berichten kann. Seien es die selbstverwalteten Fabriken in Buenos Aires, sei es die Reaktion der Menschen in Karachi nach einem Brand in einer Textilfabrik von Ali Enterprises, seien es Formen des solidarischen Miteinanders in Dörfern in Simbabwe.

Vor ungefähr dreißig Jahren traf ich dort einen sehr alten Mann, der sich noch an das Leben erinnerte, bevor die Weißen kamen, und er sagte einen Satz, den ich nicht vergessen habe. Er sagte: „Wir sind aufgewachsen mit der Haltung, was nützt es dir, wenn du als einziger im Dorf einen vollen Magen hast.“ Das war alles.

Wie kann es sein, dass wir in einer Welt leben, in der es als normal und nicht als pathologisch gilt, dass einige hundert Leute die Hälfte des Weltvermögens ihr Eigentum nennen. Diesem alten Mann, der inzwischen bestimmt nicht mehr am Leben ist, würde das als schierer Wahnsinn vorgkommen, denn es gibt keinen Nutzen; keinen geistigen, keinen seelischen, keinen materiellen Nutzen, dass nur einer im Dorf einen vollen Magen hat.

Nun zum Wirtschaftlichen:
Wertschöpfung der Natur, natürlich umweltbewusste Lebensweisen, Recycling, Herstellung von äußerst langlebigen Produkten. Ich musste mehrmals schmun ­ zeln, weil in einer der Utopien Produkte hundert Jahre lang benutzt werden können, ich hingegen daheim auf etwas starre, das nach sechs Monaten neu gekauft werden muss, weil irgendein Anschluss verändert worden ist oder weil die eigenen technische Bankrotterklärung dem Objekt eingeschrieben ist.

Eine naturnahe Produktion von Gütern, die dem tatsächlichen Bedarf der Menschen entspricht, nicht einem künstlichen durch Werbung erzeugten Bedarf. Wirtschaftswachstum kommt als Ziel nicht mehr vor. Kooperation und Tausch anstelle von Wettbewerb und Profit. Keine Verschwendung, kein obsessiver Konsum, kein Hunger.

Ein enormer Aufwand, dass wir verrohen.
Ein schöner Satz, der mich an die Aussage aus Simbabwe erinnert, die ich vorhin zitiert habe: „Wenn wir erfahren würden, dass ein einziger Mensch irgendwo auf Erden hungert, würden wir uns alle schuldig betrachten, würden wir uns alle aufgefordert fühlen, diesen Missstand zu beseitigen.“ Ich bin überzeugt, dass diese Haltung in uns allen schlummert. Es wird allerdings ein enormer Aufwand betrieben, uns zu verrohen gegen eine selbstverständliche Haltung der universellen Empathie.“

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