Vergebung statt Gewalt
Vergebung statt Gewalt
Brennstoff Nr. 67 | Christa Dregger | 31.07.2024 | 5 Minuten

Friedensgemeinschaft San José de Apartadó in Kolumbien

Allein die Existenz dieses Dorfes ist eine Entscheidung ­seiner Bewohner für das Leben. Sie haben sich vor 27 ­Jahren, ­mitten im Bürgerkrieg, für Gewaltfreiheit entschieden. Trotz der Friedenspolitik des linken Präsidenten ­Gustavo Petro ist ihr «neutrales Dorf» wieder bedroht: Am Tag nach ­dessen Besuch wurden wieder zwei Menschen von ­Paramilitärs ­ermordet. Es sind bereits über 400.

Es war ein Schock: Am Tage nach dem Besuch des ­kolumbianischen Präsi­denten wurden eine Frau und Mutter von drei Kindern und ein Jugendlicher ­brutal ­ermordet: Nallely war 30, ­Edinson nur 14. Es sind die ersten Morde seit ­J­ahren in diesem Friedensdorf. Für ­d­essen ­Bewohner ist klar, wer hinter diesen ­Morden steht: das Paramilitär.

Arley Tuberquia, 42, ein Sprecher der Friedensgemeinde, berichtet: „Schon seit Monaten gab es Drohungen gegen Mitglieder der Gemeinde, vor allem in der Siedlung Las Delicias. Wir sind ihnen ein Dorn im Auge. Es geht immer um Landrechte.“

Warum verfolgt das Paramilitär, diese ­illegale, von Konzernen und Großgrundbesitzern ­zusammengestellte Privatarmee, die Friedens­gemeinschaft seit so vielen Jahren?

„Wir sind in einem Gebiet mit vielen natürlichen Ressourcen. Es gibt hier Kohle, Gold, Öl und ­Wasser. Das weckt Interessen der multinationalen Konzerne. Das ­Paramilitär kontrolliert das Gebiet und herrscht mit Angst. Für alles, was jemand verkauft, muss er eine illegale Steuer an sie zahlen.“

1997 war eine Zeit heftigster Gewalt im Norden Kolumbiens. Großgrundbesitzer ließen Kleinbauern vertreiben, machten sie zu Tagelöhnern auf ihren Plantagen. Paramilitärs, Guerillagruppen, Armee und bewaffnete Schmugglerbanden kämpften um die Oberhoheit im strategischen wertvollen Gebiet in der Nähe der Grenze zu Panama. ­Millionen Kleinbauern und Indigene flohen und landeten in den Slums der Städte.

Doch nicht alle ließen sich vertreiben. In dem Dörfchen San José de Apartadó sammelten sich rund 1.300 Kleinbauern. Sie wollten auf ihrem Land bleiben, egal mit ­welchen Konsequenzen. Mit Hilfe internationaler Organisationen gründeten sie ein neutrales Dorf und gaben sich Regeln: Keine Gewalt, keine Waffen, keine Kooperation mit bewaffneten Gruppen. Gemeinsam bestellen sie seither ihre Kakaoplantagen, ­schützen die Natur vor der Agrarindustrie und dem Kokainanbau. Sie gründeten eine eigene Schule, eine eigene Gesundheitsversorgung, eine gemeinsame Dorfküche, einen Dorfrat und versuchen, möglichst autark zu sein.

Der Preis für ihren Mut war hoch In diesen 27 ­Jahren ­wurden 412 Menschen ermordet. Kaum eine ­Familie, die nicht Angehörige ­verloren hat. Die Täter – ob ­Paramilitärs, ­Armee oder Guerillas – ­sie gingen regelmäßig straffrei aus. Wäre es bei dieser Übermacht nicht besser gewesen, sich anzupassen? „Nein,“ sagt Arley. „Ohne unsere Entscheidung zur Gewaltfreiheit hätten wir als ­Gemeinde gar nicht überlebt.“

Weltweit bekannt­

„San Josecito“ wurde weltweit bekannt­. ­Internationale Gruppen unterstützen und ­begleiten die Gemeinde, treten bei ­Parlamenten und Medien für sie ein. Die Gemeinde ­erhielt viel internationale Preise. Diese Bekanntheit schützt vor den bewaffneten Gruppen und ärgert diese, denn diese morden lieber ohne internationale Zeugen.

Die Gewalt wurde subtiler.

Statt Angriffe gab es ökonomischen Druck sowie Verleumdungskampagnen. Gerüchte wurden gestreut, die Friedensgemeinde verhindere den Fortschritt und Schlimmeres. Im Landrückgabegesetz sieht die Friedensgemeinde eine ­weitere Bedrohung. Eigentlich war dieses Gesetz als Landreform ­gedacht, durch das - im Bürgerkrieg enteignete Eigentümer - ihr Land wieder in Besitz nehmen können. Nun fürchtet die Friedensgemeinde, dass der so genannte neue «Landmarkt» für die wirtschaftlichen Interessen der Konzerne missbraucht wird und ihnen damit ihr Land erst recht genommen werden soll.

«Wir haben unser Land ­rechtmässig ­erworben und ordentlich bewirtschaftet. Wir leben ­davon. Es darf uns nicht ­genommen werden ... » so schrieben sie´s in einem Brief an ihre europäischen Unterstützer. Mit dem Geld internationaler Freunde wollen sie nun weiteres Land kaufen, um dort die Natur vor der Ausbeutung durch Konzerne zu schützen.

Ich habe die Gemeinde vor inzwischen 15 Jahren selbst ­besucht, einige Wochen bei ihnen gelebt und sehr viele Gespräche geführt. Immer wieder hörte ich erschütternde Berichte von Armut und Gewalt. Ich war baff, dass selbst die ärmsten Menschen, auch ­solche, die nicht lesen und schreiben können, informiert sind über globale Zusammen­hänge, über Kapitalismus, Imperialismus und die ­Aktivitäten der multinationalen Konzerne in ihrem Land. Wie oft ­hörte ich diese Aussage: „Wir wollen keine Rache. Wir sind bereit zur ­Vergebung. Immer noch. Auch jetzt.“

Ihre jungen Menschen erhalten immer wieder Angebote von bewaffneten Gruppen, sich ihnen anzuschließen. Sie werden gelockt mit Geld oder Rache für einen Mord in ihren Familien.

Arley: „Doch auch junge Menschen, die ihre Eltern oder Liebsten verloren haben, bleiben bei uns. Auch sie halten an den Prinzipien der Gewaltlosigkeit fest. Das ist das Beste, was wir erreicht haben.“

Wie geht es der Familie von Nallely und Edinson jetzt? „Wie wir alle, empfinden empfinden auch sie Trauer und Schmerz über die Abwesenheit ihrer Lieben, die ihnen ­gewaltsam weggenommen wurden. Aber sie lassen Hass und Rache­gefühle nicht zu. Auch nicht die drei Kinder, die zu Halbwaisen wurden, und auch nicht Diego, der verwitwete Ehemann von Nallely.“

Die zurückgelassene Familie darf sich aufgehoben und ­begleitet fühlen. „Der Tod ihrer Liebsten ist für uns alle von Bedeutung. So spüren sie, dass sie nicht allein sind, denn es gibt andere Mütter, andere Kinder, die auch um ihre Toten trauern. Die Gemeinschaft gibt uns die Kraft, nicht Hass oder Rache in unseren Herzen einziehen zu lassen.“

Was können wir in Europa tun, um die Friedensgemeinschaft zu unterstützen? Arley: „Erzählt unsere ­Geschichte weiter, damit mehr Menschen erfahren, dass man auch ­inmitten von Grausamkeiten als Gemeinschaft friedlich ­leben kann. Das Wichtigste ist das Leben. Es geht darum, in der ganzen Welt das Bewusstsein zu wecken, dass Krieg und Gewalt nur zu noch mehr Krieg und noch mehr Gewalt führen. Der einzige Weg zu einer besseren Welt besteht in Gewaltfreiheit. Ich sage das auch im Hinblick auf Gaza, Palästina, Ukraine. Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen zurückgewiesen werden.“

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