Tribut
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Brennstoff Nr. 49 | FABIAN SCHEIDLER | 13.02.2024 | 7 Minuten

Wie der Wohlfahrtsstaat für Konzerne den siechen Kapitalismus am Leben hält

ES GEHÖRTE SCHON IMMER zu den schmutzigen Geheimnissen des Kapitalismus, dass er mit freien Märkten sehr wenig zu tun hat und von Anfang an untrennbar mit staatlichen Herrschaftsstruk turen verflochten war.

Die frühneuzeitlichen Staaten gewährten Händlern und Bankiers wie den Fuggern Monopolrechte als Gegenleistungen für Kredite, mit denen die Landesherren Söldner und Rüstungsgüter bezahlten. Nur durch diese Kredite konnten die sich neu formierenden Territorialstaaten ihre Macht aufbauen. Und nur durch die Monopole konnten die Händler und Bankiers die enorme Konzentration von Kapital in ihren Händen erreichen, ohne die der Kapitalismus undenkbar wäre.

Die ersten Aktiengesellschaften des 17. Jahrhunderts waren Schöpfungen von Staaten und wurden von ihnen mit Charterbriefen, Monopolrechten und sogar militärischen Mitteln ausgestattet.

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich darüber hinaus einige weitere Methoden entwickelt, mit denen Staaten die Maschinerie der endlosen Geldverwertung in Gang halten. Drei Strategien sind dabei von besonderer Bedeutung: Subventionen, leistungslose Einkommen aus Eigentumsrechten und Aneignung durch Schulden.

Diese Dreifaltigkeit der Tributökonomie wird immer wichtiger, je instabiler die Weltwirtschaft wird, denn sie beschert dauerhafte Geldf lüsse auch dann, wenn sich am Markt kaum noch Profite durch den Verkauf von Gütern und Dienstleistungen erzielen lassen.

Konzerne am Tropf. In fast allen Staaten der Erde existiert ein komplexes Subventionsdickicht, durch das private Konzerne mit Steuergeldern kontinuierlich ge- fördert werden. In den letzten Jahrzehnten ist dieses Subventionsnetz zu einer Art Herz-Lungenmaschine für den dahinsiechenden Kapitalismus geworden. Ein Großteil der 500 größten Konzerne der Erde würde ohne die massive Unterstützung durch Steuergelder längst bankrott sein. Die Erdöl-, Erdgas- und Kohleindustrie zum Beispiel wird nach Schätzungen der ausgesprochen konservativen Internationalen Energieagentur jedes Jahr mit rund 500 Milliarden Dollar subventioniert. Dabei sind die noch viel größeren Schäden, die diese Branche durch den Klimawandel verursacht – und für die sie bisher praktisch nichts bezahlt –, noch nicht mit einberechnet. Die gigantischen Ölsubventionen stützen auch massiv die krisengeschüttelte Automobilindustrie weltweit. Würden die

wah ren Kosten des Öls auf die Benzinpreise umgelegt, wäre Autofahren für die meisten Menschen unbezahlbar, die Branche würde zusammenbrechen. Die Flugzeugbranche produziert den am schnellsten wachsenden Anteil an Treibhausgasen und bezahlt für die daraus folgenden Schäden nichts. Für ihre Infrastruktur, insbesondere den Bau von Flughäfen, kommen fast ausschließlich die Steuerzahler auf. Allein der BER-Flughafen bei Berlin hat bereits fünf Milliarden Euro verschlungen, das Äquivalent von etwa einer Million Kitaplätzen. Flugbenzin wird weltweit nicht besteuert. Der Flugverkehr ist außerdem aus den UN-Klimaverhandlungen ausgespart. So gut wie alle Großbanken der USA, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und vieler anderer Staaten würden heute nicht mehr existieren, wenn sie seit 2008 nicht mit Steuergeldern in Billionenhöhe gerettet worden wären. Pharma-, Rüstungs-, Chemie- und Agroindustrie werden ebenfalls mit Hunderten von Steuermilliarden offen oder versteckt subventioniert – nicht zuletzt auch Dank des weltumspannenden Netzes von Steueroasen, das unsere Regierungen nach Kräften protegieren – siehe Luxemburg Leaks.

Diese Liste könnte man noch eine ganze Weile fortsetzen. Sie zeigt, dass die vielbeschworenen »freien Märkte« eine Fata Morgana sind, ein sorgsam gepflegter Mythos, der verschleiern soll, dass die Maschinerie der endlosen Geldvermehrung nur noch funktioniert, weil wir sie täglich mit Unsummen aus Steuergeldern subventionieren. Während Staaten rund um die Erde massiv an Ausgaben, vor allem im Sozialbereich, sparen, werden diese Subventionen kaum angetastet, oft sogar ausgebaut.

Nun führen Verteidiger dieses Wohlfahrtstaats für Konzerne ins Feld, es würden dadurch Arbeitsplätze gesichert. Dieses Argument ist offensichtlich unsinnig, weil man mit demselben Geld genauso gut andere, gemeinwohlorientierte Aktivitäten fördern könnte, bei denen pro eingesetztem Euro oft sogar weit mehr Arbeitsplätze entstehen, etwa im Gesundheitsbereich, dem öffentlichen Verkehr, der Bildung oder der kleinbäuerlichen ökologischen Landwirtschaft.

Die Liste zeigt auch, dass die größten Subventionsempfänger zugleich die destruktivsten Branchen der Erde sind. Es scheint die Regel zu gelten: je zerstörerischer, desto mehr Staatshilfe. Fast alle der für das Klimachaos hauptverantwortlichen Unternehmen, einschließlich

der sie finanzierenden Banken, wären entweder bankrott oder in erheblichen Schwierigkeiten, wenn sie nicht künstlich von Staaten am Leben gehalten würden. Mit anderen Worten: Die Streichung dieser Subventionen ist ein entscheidender Hebel, um die Spirale der Zerstörung zu stoppen und einen sozial-ökologischen Wandel auf den Weg zu bringen. Der Tropf, an dem diese Unternehmen hängen, ist zugleich ihr verwundbarster Punkt. Denn während transnationale Unternehmen demokratisch schwer angreifbar sind, bestimmen über die Verwendung von Steuergeldern – zumindest theoretisch – die Bürger. Die scheinbar allmächtigen Giganten der Weltwirtschaft würden sehr rasch ins Straucheln kommen, wenn ihnen die künstliche Ernährung abgestellt würde.

Rente statt Profit. Das Subventionswesen für Kon zerne, für ihre Shareholder und Manager, ist Teil einer größeren Struktur, die man bisweilen als »Sozialismus für Reiche« oder Neofeudalismus bezeichnet hat. Den oberen Schichten ist es gelungen, sich ein »bedingungsloses Maximaleinkommen« zu sichern, das von ihren Leistungen und Verfehlungen weitgehend entkoppelt ist. Nicht Markterfolge erhalten und vermehren die großen Vermögen und Einkommen, sondern Strategien der Privilegiensicherung, insbesondere durch Einf lussnahme auf den Staat. Die staatliche Gabenökonomie für Superreiche verbindet sich mit dynastischen Strukturen, in denen Macht und Reichtum wie einst beim Adel durch die Geburt vererbt werden.

Dazu gehört auch, dass ein immer größerer Teil des Kapitals gar nicht durch Produktion und Verkauf von Waren und Dienstleistungen vermehrt wird, sondern durch das, was man in der Ökonomik »Renten« nennt. »Rente« bedeutet hier nicht Altersversorgung, sondern ein Einkommen aus Gebühren für die Nutzung von Land, Wohneigentum oder aus »geistigen Eigentums rechten«, zum Beispiel Patenten.

Ent scheidend ist, dass Kapitalbesitzer hier gar nichts produzieren und dann verkaufen, sondern allein aus dem Rechtstitel auf ein Eigentum ein Einkommen generieren.

Jenseits des Tributs: Die Trennung von Staat und Großkapital

Tribut ist eine Abgabe, die ein besiegtes Volk dem Sie ger zu erbringen hat. Sich nicht zu unterwerfen, bedeutet, den Anspruch auf Tribut zurückzuweisen. So wie es einst der jüdische Widerstand gegen das Römische Weltreich oder die indische Befreiungsbewegung gegen das British Empire tat.

Dabei steht heute der vermeintlich unbesiegbare Geg ner bei näherem Hinsehen auf tönernen Füßen. Das globale Tributsystem funktioniert nur, weil gewählte Regierungen unsere Steuergelder über unzählige offene und versteckte Wege in die Hände der reichsten ein Prozent kanalisieren und uns am Ende einreden, das Ganze beruhe auf »Markterfolgen«. Der erste Schritt zur Überwindung dieses Systems besteht darin, es ans Licht der Öffentlichkeit zu ziehen, seine Legitimität zu bestreiten und es zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen zu machen. Die staatliche Alimentierung der Konzerne etwa ist so gut wie nie Thema von Wahlkämpfen oder Talkrunden. Die meisten Menschen haben keine Ahnung, was mit ihren Steuergeldern wirklich geschieht und welche Alternativen es dazu gibt.

In einer größeren Perspektive geht es darum, mit der Trennung von Staat und Kapital endlich ernst zu ma chen. Liberale fordern seit jeher, der Staat solle sich aus der Wirtschaft heraushalten. Doch hat sich dies bisher als bloße rhetorische Fassade erwiesen, denn über die Nabelschnüre, mit denen der Staat das private Kapital versorgt, wird vornehm geschwiegen. Und das hat gute Gründe: Denn die liberale Rhetorik beim Wort zu nehmen, würde das Ende des kapitalistischen Weltsystems bedeuten, das ohne öffentliche Alimentierung nicht existieren kann.

Eine wirksame Trennung von Staat und Kapital würde enorme Freiräume für andere, zukunftsfähigere Wirtschaftsformen schaffen. Dabei muss man keineswegs bei Null anfangen. Seit der Französischen Revolution ist es sozialen Bewegungen in langen Kämpfen gelungen, dem Staat, der anfangs nichts als eine despotische Militärorganisation war, gemeinwohlorientierte Funktionen abzuringen. Diesen Weg weiterzugehen, bedeutet, die Nabelschnüre des Kapitals und des militärisch-industriellen Komplexes Schritt für Schritt zu kappen und die frei werdenden Ressourcen in den Aufbau einer postkapitalistischen ökologischen Gesellschaft zu kanalisieren. Dazu gehört auch eine tiefgreifende Veränderung unserer ökonomischen Institutionen, ihrer Rechts- und Eigentumsformen.

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FABIAN SCHEIDLER

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