Das Egozän endet. Philosophie bedeutet: Zweifel, Infragestellen, Verlernen, des scheinbar Selbstverständlichen. Wir leben in der Epoche der totalen Blasphemie. Der „Markt“ ist Gott und er spricht digital. Doch die Zeit der erlebten Realität kommt wieder. Jenseits asozialer Netzwerke. Um die reale Welt zu verändern, müssen wir – als soziale Wesen – aus der irrealen aussteigen. Sofort!
Digitalsohle. Wir alle sind angeblich Ein-Person-Unternehmer. Im schlimmsten Fall unsere eigenen Bestattungsunternehmer, aber immerhin. Wer will,leistet sich in der Freiheit das Hobby Virtuelle Solidarität. Gutes per Smartphone voten. Viele friends bzw. follower sammeln. Oder „Sex“ per Mausklick: 35 Prozent des Internet-Datenverkehrs ist pornografischen Ursprungs. Weltweit schauen sich 43 Prozent aller Internet-User pornografische Seiten an. 70 Prozent des Porno-Konsums über das Internet findet an Werktagen zwischen 9 und 17 Uhr statt – also während der sogenannten „Arbeitszeit“.
Ein Fünftel der Männer schauen sich pornografische Bilder und Clips während der „Hackn“ an. (Dabei muss man noch digital Unterprivilegierte wie z.B. Kranführer, Lehrer oder Neurochirurgen abziehen, welche sich diesen Luxus tagsüber nicht erlauben können.)
Und das schöne Geschlecht holt auf, seit feministisch korrekte Pornos den Markt befriedigen: 13 Prozent der Frauen konsumieren erotische Inhalte bereits am Arbeitsplatz. Aber dann erst in der „Frei“-Zeit: Geschätzte zwei Drittel aller „Orgasmen“ in der verkabelten Welt werden virtuell vermittelt. Die Realerotik – ein Menschenwesen wirklich kennen- und lieben lernen, ohne Netz und doppelten Boden – ist ebenso auf dem Rückzug wie die Realwirtschaft. Ein weiterer Beweis für Karl Marx‘ These, dass der soziale Überbau der ökonomischen Basis folgt...
Virtuelle Entnetzung – reale Vernetzung!
Die Digitalisierung des Geschlechtslebens ist nur ein drastisches Beispiel für unser scheinbar hilfloses Zappeln im Netz. Wohlgemerkt: Die Internet-Sucht ist nicht Ursache, vielmehr Symptom gesteuerter Massen-Vereinzelung. Doch „immer mehr stellt sich heraus, dass virtuelle Welten die realen nur bedingt ersetzen können“, konstatiert der deutsche Soziologe Matthias Horx. „Ein kleiner, aber wachsender Teil von Menschen, die sehr Internet und digital affin waren, steigt aus diesem Zustand wieder aus.“ Sie verringerten ihre digitale Kommunikation, um mehr Lebensqualität zu haben, sagte der Leiter des Zukunftsinstituts in Kelkheim bei Frankfurt. Denn immer mehr merken „dass ihnen dabei die sozialen Bindungen unter den Fingern zerrinnen, und dass virtuelle „Zombie-Freunde“ nicht so verlässlich sind“. Der erste Schritt, die reale Welt zu verändern, heißt, wieder mit beiden Beinen in ihr zu stehen, aus der virtuellen Fake-„Gemeinschaft“ zu emigrieren. Leicht ist es nicht.„Sehr viele Menschen benutzen das Internet in allen Lebenslagen, können sich nichts mehr merken, wissen nichts und googeln alles, ein wachsender Anteil dieser Internet-Junkies, mit internetfähigen Smartphones ausgestattet, sogar auf dem Klo. Die genauen Zahlen googeln Sie bitte später. Nur sehr wenige schaffen es, davon auch nur zeitweise loszukommen, oder zumindest einen vernünftigen, kontrollierten Umgang mit dem Internet zu finden“, resümiert Spiegel-Redakteur Stefan Kuzmany, der zwei Bücher von zeitweiligen „Sozialnetz-Verweigerern“ rezensiert hat.
Bei beiden waren die Anfangs-Entzugsymptome analog: „Erst Aufmerksamkeitsstörungen, dann Phantomvibrieren an der Stelle, an der das Smartphone am Körper getragen wurde, Nervosität, später Entspannung, Rückkehr des Vertrauens in die eigenen Erinnerungen, Genuss, zwischendurch einige Studien und Suchtgeschichten anderer Leute - die Erfahrungen und Anekdoten des Entwöhnungsverlaufs ähneln sich bei Rühle und Koch und wahrscheinlich auch jeder anderen Person, die schlagartig von übermäßigem Gebrauch des Internets auf kalten Entzug gesetzt wird. Und dennoch sind es höchst unterschiedliche, jedes auf seine Art unterhaltsame und aufschlussreiche Bücher.“