Nächte unterm Venusmond
Nächte unterm Venusmond
Brennstoff Nr. 55 | Heini Staudinger | 08.02.2024 | 4 Minuten

Anaïs Nin

„Zeit gehört nicht uns selbst, sondern dem anderen. Für uns selbst gibt es keine Zeit.“

Immer, wenn ich allein bin, spüre ich die Gefahr des Wahnsinns und der Auflösung, weil mich mein Leben mit anderen, ihre warme Gegenwart, ihre Stimmen trösten. Ich kann nicht allein leben. Das habe ich herausgefunden. Ich kann nicht allein leben, weil ich dann krank werde. Mein Leben wird unwirklich. Ich muss gestehen, dass ich Hughs Gegenwart als Mensch brauche. Ich brauche meine Liebhaber, aber Liebhaber sind weniger da. Henry, weil er ein Künstler ist, Gonzalo, weil er ein Zuhause hat.

Hin und wieder habe ich so etwas wie ein schlechtes Gewissen gegenüber Henry, weil ich ihn betrüge. Doch ich weiß inzwischen sehr wohl, dass es sentimental ist, mir einen ungerecht behandelten, verletzten Henry einzubilden. In Wahrheit ist es so, dass Henrys Unabhängigkeit und unser Glück gefährdet wären, wenn ich immer mit Henry zusammen wäre. Ich weiß das. Ich weiß, dass ich ihn dank meiner erweiterten Auffassung von Liebe nicht mit meiner Eifersucht erstickt habe. Ich nehme ihm keine Liebe weg, um sie Gonzalo zu geben. Was Gonzalo bekommt, ist all das, was Henry nicht will, ein romantisches Ich, eine permanent ausgedrückte Liebe, eine persönliche, menschliche, fast weibliche Beziehung. Ich würde gern jedem nah sein. Weniger allein. Eine Frau ist mehr allein als ein Mann. Das Problem der Trennung, der Einsamkeit, liegt bei ihr tiefer. Ich glaube nicht, dass sie das Ewige in der Kunst finden kann, so wie Proust, selbst wenn sie eine Künstlerin ist.

Bei meinem ersten Streit mit Gonzalo ging es um Zeit. Wenn mich etwas in Rage bringt, dann ist es Warten. Ich kann nicht warten. Eines Nachts wurde ich wütend, als Gonzalo erst gegen Mitternacht kam. Ich sagte ihm, ich hätte keine Lust, mit ihm zusammen zu sein, dass meine ganze Freude verdorben sei. An einem Nachmittag schrieb ich ihm Folgendes und nannte es »Gedicht an einen Zeitlosen«:

Zeit gehört nicht uns selbst, sondern dem anderen. Für uns selbst gibt es keine Zeit. Das Universum entwickelt sich rund um unsere Bedürfnisse, unsere Sehnsüchte, unsere Stimmungen. Zeit ist für den anderen da, dem ein Versprechen gemacht wurde wie für ein Wunder, und wenn man warten muss, wenn sich der andere verspätet, findet das Wunder nicht statt. Zeit ist für den, der kommt, um dir mit seinen Erwartungen zu begegnen, sie ist nicht für dich, der gern bummelt, träumt, sich im Unendlichen verliert.

Ein Universum ohne Zeit ist das Universum in einem selbst. Zeit bedeutet die Stunde der Begegnung mit dem anderen, und sie ist notwendig für das Wunder der Berührung, das Wunder der Begegnung, des Berührens und Liebens. In dem großen leeren Raum, in dem wir umherirren, ist die Zeit das Einzige, wonach sich sogar die Planeten richten, wenn sie sich näher kommen oder sich gegenseitig verdunkeln! Sonst gäbe es keine Konjunktionen.

Ich verbrachte den Nachmittag mit Saubermachen, Einkaufen, Kochen, legte in meinem Zimmer Kissen auf den Boden (wir lieben beide das maurische Leben auf dem Fußboden). Ich entzündete die Lampen, die Kerzen, stellte das Abendessen auf einen niedrigen Glastisch. Ich machte das Radio an und wurde von aufwallenden Gefühlen überflutet. »Das ist ein Harem«, sagte er, und er überließ sich der Trägheit und der Wärme. Unser Abendessen war fröhlich.

In der halbdunklen, samtigen Nacht liebten wir uns wieder, und wir entdeckten eine neue Umarmung. Gonzalo lag über mir, sein ganzer Körper bedeckte mich, aber ich lag auf dem Bauch. Eine neue Freude. Gonzalo bedeckt meinen Rücken, hält meine Hüften mit heißen Händen, und ich hebe nur meinen Hintern, um ihn besser in mir zu spüren. Ich war erstaunt, dass jede Liebe sich anders ausdrückt.

»Zeit bedeutet die Stunde der Begegnung mit dem anderen, und sie ist notwendig für das Wunder der Berührung, das Wunder der Begegnung, des Berührens und Liebens.«

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