#metoo
#metoo
Brennstoff Nr. 51 | Ursula Baatz | 12.02.2024 | 4 Minuten

Ermächtigungen brauchen Machtlose, denn wer schon Macht hat, braucht keine Ermächtigung. Seit 3 Monaten bringt #metoo Bewegung in die Promi-Szene: fast täglich erzählen Frauen - Schauspielerinnen, Politikerinnen usw. – über sexuelle Belästigungen und Gewalt. Einige wichtige oder bedeutende Männer mussten sich deswegen aus der Öffentlichkeit zurückziehen, bei anderen steht eine Klage ins Haus. Bisher war es ein offenes Geheimnis, dass viele Frauen im Alltag wie selbstverständlich mit sexuellen Anspielungen, Belästigungen und auch sexuell motivierter Gewalt zurecht kommen müssen. In einer durch patriarchale Machtansprüche dominierten Gesellschaft steht #metoo für Selbstermächtigung: Frauen bestimmen selbst die Form ihrer Beziehungen zu Männern und sind nicht deren Belieben unterworfen.

#metoo steht für den Anspruch auf körperliche und seelische Integrität von Frauen und für die Gleichberechtigung von Menschen überhaupt.

Der Hashtag wurde erstmals 2006 von der Aktivistin Tarana Burke verwendet, um auf sexuelle Gewalt gegen Mädchen aufmerksam zu machen. Ein junges Mäd chen hatte Burke von den sexuellen Übergriffen ihres Stiefvaters erzählt. Burke war zunächst sprachlos: erst später wurde ihr klar, dass sie besser gesagt hätte: »me too«, ich auch.

Öffentlich wurde die Aktion zunächst so gut wie ignoriert. Doch nahmen immer wieder medial präsente Frauen das Thema auf. Die Sängerin Beyoncé etwa projizierte bei ihren Auftritten in großen Lettern »feminist« auf die Bühne. Die Stimmen mehrten sich, bis das Thema schließlich öffentlich wurde und die Übergriffe für die Täter Konsequenzen hatten.

Das Wort Selbstermächtigung suggeriert, dass sich ein Individuum, ein einzelner Mensch, auf die eigenen Möglichkeiten und Ansprüche besinnt. Doch es sind viele Stimmen nötig, damit etwas in Bewegung kommt. Zustimmung und Aktivitäten, Bewusstseinsbildung, aber auch Ablehnung von anderen Teilen der Gesellschaft sind notwendige Faktoren, um Selbstermächtigung politisch wirksam werden zu lassen. Das zeigen die Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika, die Bürgerrechtsbewegung in den USA oder die Aidsaktivisten (aktuell in dem Film »BMP 120« zu sehen).

Selbstermächtigung entsteht aus Mitgefühl und Solidarität und genauso aus Ärger und Ungenügen an der Situation, aus Schmerz über die Verletzung der persönlichen Integrität. So hat es Susanna in Mozarts »Figaros Hochzeit« (1786) satt, vom Grafen angemacht zu werden. Dies allerdings ist sein Recht als Feudalherr, denn das ius primae noctis gibt ihm das Recht, jede Frau unter seiner Herrschaft als erster zu beschlafen. Der Graf hat also nicht nur die Macht, sondern auch das Recht auf seiner Seite. Doch Susanna und Figaro inszenieren ein wohlausgeklügeltes Verwirrspiel, an dessen Ende der Graf der Düpierte ist. #metoo ist die konsequente Fortführung.

»Empowerment«, Ermächtigung, ist als Wort viel jünger als der »Figaro«. In den 1970er Jahren sahen in den USA Sozialarbeiter das Potential der Menschen in den afroamerikanischen Ghettos. Doch die Gesellschaft ermutigte sie nicht, ihre Möglichkeiten zu nützen. Dagegen stand »Empowerment«, sozusagen als Gegenteil der nicht nur in Österreich beliebten Maxime »Da kann man nix machen«, einer selbsterfüllenden Prophezeiung der Sonderklasse. Denn, »wenn man nichts machen kann«, wird man nichts machen. Das gilt für’s eigene Leben (»Selbstermächtigung«) genauso wie für die Gesellschaft im Ganzen.

Empowerment, Ermächtigung, ist jedoch nicht davor gefeit, zum trivialen Ego-Trip zu werden. »Shopping-Paradiese« aller Art z. B. machen das Erwerben von Konsumartikeln zu einem Akt nicht nur weiblicher Selbstermächtigung: »Verwirkliche mit X deine einmalige Individualität schöner und genussvoller (als deine Freunde)!« lautet der Kaufappell. Wenn (Selbst-) Ermächtigung sich auf das Individuum bezieht (und auch Gruppen können als Individuen fungieren) und wenn die Beziehungsgewebe, in denen sich unser Leben abspielt, ausgeblendet werden, dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich um ein Ego-Projekt handelt. Das Kriterium ist einfach: »Trägt meine Handlung zu mehr Gerechtigkeit, Frieden und Liebe für alle bei?« Zum Beispiel beim Shoppen als einem Ausdruck »imperialer Lebensweise« ( Ulrich Brand ) ist die Antwort ein klares »Nein«.

Wer die eigene Power, Vermögen und Handlungsmacht wahrnimmt, kann den nächsten Schritt tun – zur Kunst der Selbstverfeinerung oder Selbstkultivierung. Früher sagte man dazu »Herzensbildung«. Das klingt altmodisch, doch wie bei der Übung der »Achtsamkeit« geht es um die Verbindung des Beziehungsgewebes »Welt« mit dem eigenen Herzen. Dies immer tiefer zu realisieren, ist – wie gesagt - eine Kunst, deren Übung nicht endet.

URSULA BAATZ: Philosophin, Ö1-Wissenschafts- und Religionsjournalistin, Lehrbeauftragte an der Universität Wien, Qi Gong-Lehrerin, ZenPraktikerin, Reisende und Buchautorin, zuletzt: Spiritualität, Religion, Weltanschauung. Landkarten für systemisches Arbeiten im Verlag Van -denhoek & Ruprecht, 2017. Mit-He raus geberin von polylog: zeit schrift für interkulturelles philosophieren

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