Menschenrechte sind Menschenpflichten
Menschenrechte sind Menschenpflichten
Brennstoff Nr. 60 | Ursula Baatz | 02.02.2024 | 4 Minuten

Ein gutes Zusammenleben zwischen Menschen.

Gerne würde ich Sie, geehrte Leserinnen und Leser, direkt fragen, welche Menschenrechte Sie ohne Nachdenken nennen können. Diesen Test habe ich schon öfter gemacht – häufig kam erst nach einigem Zögern in fragendem Ton „Menschenwürde“ als Antwort, und manchmal gar nichts. Manche kontern dann: wichtiger als Rechte wären doch die Pflichten, die Menschen haben, wie der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt in seinem Aufruf für Menschenpflichten. Veröffentlicht wurde das Manifest 1997, fast ein Jahrzehnt nach dem Ende des Sowjet-Imperiums, als das „Ende der Geschichte“ ausgerufen wurde, weil es nur noch eine Supermacht, nämlich die siegreichen Vereinigten Staaten von Amerika gäbe, wie es hieß. Inzwischen wissen wir, das war ein Irrtum, ordentlich viel Geschichte ist inzwischen passiert.

Und es ist auch ein Irrtum, dass Menschenrechte durch „Menschenpflichten“ ausbalanciert werden müssen. Menschenrechte sind Menschenpflichten: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) enthält zivile und politische Rechte. Die dreißig Artikel der AEMR schreiben klar und deutlich fest, wie eine Weltordnung aussehen muss, in der „allen Menschen in allen Ländern ein Leben frei von Not“ und die Achtung ihrer elementaren Rechte garantiert ist. So hieß es 1942 in einer Vorläufer-Erklärung, der 25 Staaten beitraten. Die „Atlantik-Charta“ formulierte die Ziele im Krieg gegen Deutschland, Italien und Japan.

160 Staaten unterschrieben

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte entstand unter dem Eindruck von Nationalsozialismus und Faschismus. So heißt es in der Präambel: die Missachtung der Menschenrechte führt zu Barbarei und Tyrannei, deswegen sind die Menschenrechte durch die „Herrschaft des Rechts“ zu schützen. Zur AEMR haben keineswegs nur „westliche“ Staaten beigetragen, sondern Vertreter aus Panama, Kuba, China, Brasilien, dem Libanon, der Sowjetunion und Südafrika. Die Erklärung ist völkerrechtlich nicht bindend, doch der Zivilpakt und der Sozialpakt, die in den 1960er Jahren von mehr als 160 Staaten unterschrieben wurden, sind rechtlich bindend, ebenso die Europäische Menschenrechtskonvention, der Österreich 1955 beigetreten ist. Menschenrechte gibt es nur wechselseitig als Tausch, schreibt der deutsche Philosoph Otfried Höffe: „Weil Menschenrechte einen Anspruch meinen, stellen sie kein Geschenk dar, das man sich – aus Sympathie, aus Mitleid oder auf Bitten – einseitig offeriert. Es handelt sich vielmehr um eine Gabe, die nur unter Bedingung der Gegengabe erfolgt. Menschenrechte legitimieren sich aus einer Wechselseitigkeit heraus, pars pro toto: aus einem Tausch. Nun steht in der Menschenpflicht, wer die Leistungen, die lediglich unter Bedingung der Gegenleistung erfolgen, von den anderen tatsächlich in Anspruch nimmt. Umgekehrt besitzt er das Menschenrecht, sofern er die Leistung, die nur unter Voraussetzung der Gegenleistung erfolgt, wirklich erbringt.“ Den Rechten entsprechen Pflichten.

Wer verlangt – so wie es im Artikel 1 der AEMR steht – von anderen als frei und gleich an Würde und Rechten behandelt zu werden; oder nach Artikel 2 nicht wegen Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand diskriminiert zu werden, ist verpflichtet, sich auch den anderen gegenüber so zu verhalten. Das ist keine „westliche“ Erfindung.

Es geht um Verantwortung

Die „Goldene Regel“ – behandle die anderen, wie Du behandelt werden willst – findet sich in allen Religionen und Kulturen. Dass sich nicht alle an diese Regel halten, macht sie nicht ungültig. Schließlich schafft man Gesetze, die Diebstahl verbieten, auch nicht deswegen ab, weil es Diebe gibt. Im Gegenteil: die Gesetze helfen, Diebstahl zu benennen und Verhalten, das für das soziale Netz förderlich ist, zu stärken. Die Menschenrechte helfen, die Pflichten von Staaten, Institutionen, nationalen und globalen Unternehmen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern dieser Erde zu benennen und Verstöße sichtbar zu machen. Helmut Schmidt weist zurecht darauf hin, dass es nicht reicht, formale Regeln aufzustellen. Es geht um Verantwortung. Ein gutes Zusammenleben zwischen Menschen in einer globalen Gesellschaft erfordert eine umfassende Haltung der Humanität, Gerechtigkeit und Toleranz. Politik, Bildung, Erziehung, Medien können und sollen dazu beitragen. Doch beruht diese Haltung, andere bei aller Verschiedenheit als gleich wertvollen und gleichberechtigten Personen zu begegnen auf Freiheit – auf der persönlichen Entscheidung, so zu leben.

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Ursula Baatz

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