Lärm des Geldes
Lärm des Geldes
Brennstoff Nr. 68 | Fritz Reheis | 07.11.2024 | 3 Minuten

Zeit ist Geld / Geld ist Zeit / ist Geld Zeit?

In quantitativer Hinsicht sind Zeit und Geld ziemlich asymmetrisch, weil die meisten Menschen innerhalb eines bestimmten kulturellen und sozialen Umfelds im Durchschnitt etwa über die gleiche Menge an Lebenszeit verfügen – im krassen Gegensatz zur Menge an Geld. Und wenn am Ende des Lebens die Lebenszeit immer knapper wird, reicht alles Geld der Welt nicht aus, das Leben endlos zu verlängern. Solange aber noch reichlich Lebenszeit vorhanden ist, hat der Mensch immer noch die Wahl, seine Lebenszeit entweder zu nutzen, um noch mehr Geld zu verdienen, oder aber um das Leben einfach mit weniger zu leben und zu genießen.

In qualitativer Hinsicht sind Zeit und Geld gleich doppelt asymmetrisch. Aus psychologischer Perspektive, weil bekanntlich die meisten Menschen nach einem schweren Unfall froh sind, wenn nur Sachen zu Schaden gekommen sind, die man mit Geld reparieren oder ersetzen kann – im krassen Gegensatz zur Lebenszeit eines bei einem Unfall gestorbenen Menschen. Und aus moralisch-ethischer Sicht, weil Geld die Autonomie des Menschen sehr viel weniger respektiert, als Zeit dies tut. Geld tendiert dazu, das Handeln und Denken systematisch in die Irre zu führen, den Menschen gierig und süchtig zu machen. Bei der Zeit kann das zwar auch geschehen, aber es ist eher unwahrscheinlich.

Die Gleichung „Zeit ist Geld“ ist ein verhängnisvoller Irrtum. Die Zeit ist historisch älter und global universeller als das Geld – und zwar um Dimensionen. Die Gleichsetzung von Zeit und Geld kehrt einfach jenen Teil des Lebens des Menschen, der nicht ökonomisch genutzt wird und auch nicht ökonomisch nutzbar ist, unter den Tisch. Sie übergeht damit die Lebenszeit all jener Menschen, die die Erde bewohnten, ehe das Geld seine Herrschaft antrat. Genauso wie die Zeit jener Generationen, die nach uns die Welt bewohnen werden – falls sie das Glück haben sollten, die Geldherrschaft zu überleben.

Nachhaltiges Kitzbühel

Kitzbühel ist vor allem wegen seiner ausgezeichneten Wintersportmöglichkeiten einer der angesagtesten Orte in den österreichischen Alpen. Unweit von Kitzbühel, wo seit 1524
Bergbauern das Weiderecht für ihre Kühe haben, baut nun eine thailändische Firma ein Wellness-Resort der Luxusklasse: ein Hotel, 45 Appartements, 13 Chalets und drei Restaurants. Ein »Öko«-Luxus-Resort, konsequent am Leitbild der »Nachhaltigkeit« ausgerichtet, verspricht der Investor. Die Baumaterialen seien naturnah, alles komplett plastikfrei, die Heizwärme komme aus der Erde, die Restaurants böten regionale Kost.

Beim Kauf eines Chalets im Wert von 5,5 Millionen Euro gibt es, als Krönung der Nachhaltigkeit, einen Elektro-Porsche gratis dazu – natürlich in »veganer Ausstattung«, weil der Bodenbelag aus recycelten Fischernetzen bestehe.

Fritz Reheis

Seit Anfang der 1990er Jahre gilt sein zentrales wissenschaftliches und publizistisches Interesse dem Umgang mit der Zeit, insbesondere den Gefahren der Beschleunigung und Entrhythmisierung der Lebenswelt. Er beschreibt die Gegenwart als beschleunigungskrank. Im Umgang des Menschen mit sich selbst, mit seinen Mitmenschen und mit der außermenschlichen Natur bleibe immer weniger Zeit zur Regeneration und zur Besinnung auf das, was wichtig ist.

Danke Fritz, dein Buch weist einen Weg - S. 22

Fritz Reheis ist Soziologe und Erziehungswissenschaftler. Er war zehn Jahre Hochschullehrer für Politische Bildung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, wo er noch als Lehrbeauftragter aktiv ist. Zudem ist er Gründungs- und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik. Seit 25 Jahren publiziert er zu »Zeit«, »Entschleunigung« und ­»Resonanz«.

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