Kleiner Mann & Kleine Frau
Kleiner Mann & Kleine Frau
Brennstoff Nr. 66 | Heini Staudinger | 23.01.2024 | 3 Minuten

Wilhelm Reich will uns was sagen!

Der Burgschauspieler Ignaz Kirchner hat diese „Rede an den kleinen Mann“ auswendig gelernt und mehr als 300 Mal im ganzen deutschen Sprachraum gespielt. Einmal bei mir in der Wohnung (wir waren jahrzehntelang gute Nachbarn), und einmal in unserem GEA-Laden in der Wiener Himmelpfortgasse. Die Fassbinder- und Tatort Schauspielerin Eva Mattes, und der Sänger Ludwig Hirsch, waren auch unter den Gästen.

Der Text, der 1946 ohne die Absicht, ihn zu veröffentlichen von Wilhelm Reich verfasst wurde. „… war das Ergebnis der inneren Stürme eines Naturforschers und Arztes, der jahrzehntelang zunächst mit Naivität, dann mit Staunen und schließlich mit Entsetzen erlebte, was der kleine Mann aus dem Volke sich selbst antut; wie er leidet, rebelliert, seine Feinde verehrt und seine Freunde mordet.“ So Wilhelm Reich im Vorwort.

Aus der Rede ...
Du bist es, der den großen Mann zum Paria macht ... Denn du bist „das Volk“, „die öffentliche Meinung“, „das soziale Gewissen“. Hast du, kleiner Mann, jemals ehrlich darüber nachgedacht, welche Riesenverantwortung diese Worte bergen? Hast du dich jemals (sei nun ehrlich) gefragt, ob du, gesehen vom Standpunkt der Natur, oder großer menschlicher Taten etwa eines Jesus, richtig oder falsch denkst? Du hast dich nie gefragt, ob du falsch denkst, sondern du hast dich gefragt, was dein Nachbar dazu sagen wird, oder - ob dich deine Ehrlichkeit Geld kosten wird. Dies, kleiner Mann, dies - und nichts anderes, hast du dich gefragt.

Krebscoaching
„Diese Rede ist eine schonungslose Aufdeckung von all dem Kleinen und Kleinlichen in uns, davon, wann wir anderen die Verantwortung überlassen, Autoritäten mehr Glauben schenken als unserem inneren Sensorium und Wahrheitsempfinden. Und es ist ein Appell an unseren Kern, das Lebendige, das „gütig und naiv ist“. Was hat das nun mit der Krebserkrankung zu tun: Ich konnte an mir selbst und an vielen anderen an Krebs erkrankten Menschen wahrnehmen, wie wir aus Angst um unsere Existenz, dem um jeden Preis in der Gesellschaft verankert bleiben wollen, unsere tiefsten Sehnsüchte und (körperlichen) Bedürfnisse verleugnen, und das Leben zunehmend freud- und sinnlos wird.“ Dr. Beatrix Teichmann-Wirth (krebscoaching.org)

Ausschnitt aus dem Buch
„Du fragst, wann dein Leben gut und sicher sein wird, kleiner Mann: Dein Leben wird gut und sicher sein, wenn die Lebendigkeit mehr bedeuten wird als Sicherheit, Liebe mehr als Geld, deine Freiheit mehr als parteiliche oder öffentliche Meinung; wenn die Stimmung Beethoven´scher oder Bach´scher Musik die Stimmung deiner gesamten Existenz wird (du hast sie in dir, kleiner Mann, irgendwo tief verborgen in einer Ecke deines Wesens!); wenn dein Denken in Einklang, und nicht mehr in Widerspruch mit deinen Gefühlen wirken wird; wenn du deine Gaben beizeiten erfassen und dein Altern beizeiten erkennen wirst; wenn du die Gedanken der großen Weisen, und nicht mehr die Untaten der großen Krieger, leben wirst, wenn die Lehrer deiner Kinder, und nicht die Politiker, von dir besser entlohnt sein werden; ….wenn du Erhebung beim Anhören von Wahrheiten, und Grauen beim Anblick von Formalitäten verspüren wirst, ….wenn die Menschengesichter auf den Straßen Freiheit, Beweglichkeit, Heiterkeit und nicht mehr Trauer und Elend ausdrücken werden; wenn ihre Körper nicht mehr wie heute, mit zurückgezogenen, eingesteiften Becken und erkalteten Geschlechtsorganen auf dieser Erde wandeln werden.“

ein Artikel von

Teile deine Meinung auf