Imperiale Lebensweise und Ausbeutung im Kongo
Imperiale Lebensweise und Ausbeutung im Kongo
Brennstoff Nr. 52 | Sylvestre Bisimwa, Alexander Behr | 09.02.2024 | 7 Minuten

Die Zustände anprangern und die Wahrheit herausfinden. Interview mit dem Menschenrechtsanwalt Sylvestre Bisimwa

In der letzten brennstoff-Ausgabe druckten wir eine Rede des Schweizer Theaterregisseurs Milo Rau, in dem er das von ihm initiierte KONGO TRIBUNAL vorstellte. Ziel des KONGO TRIBUNALs ist die Aufar bei tung der massiven Menschenrechtsverletzungen in der ostkongolesischen Provinz Kivu, die so eng mit unserem Lebensstil im Westen verknüpft sind: Die rohstoffreiche Region sichert unsere »imperiale Lebensweise« ab. Nun soll aus dem KONGO TRIBUNAL eine permanente Institution werden: Eine Gruppe von kongolesischen und europäischen JuristInnen, MenschenrechtsaktivistInnen und JournalistInnen führt den Kampf gegen die Straflosigkeit in der Demokratischen Republik Kongo weiter. Der Menschenrechtsanwalt Sylvestre Bisimwa lebt und arbeitet in der ostkongolesischen Stadt Bukavu. Er nahm im Film DAS KONGO TRIBUNAL die Rolle des Untersuchungsrichters ein. Im Interview mit Alexander Behr spricht er über sein Engagement gegen die Wirtschaftsverbrechen in seiner Heimat und über die nächsten Schritte, die mit dem KONGO TRIBUNAL geplant sind. Mit deiner Hilfe wollen wir das KONGO TRIBUNAL weiter unterstützen!

Herr Bisimwa, wo steht der Prozess, den Sie mit dem Kongo Tribunal angestoßen haben?

Sylvestre Bisimwa Die erste Etappe war natürlich die Durchführung des Tribunals selbst sowie die Produktion des dazugehörigen Filmes. In Bukavu organisierten wir während drei Tagen Anhörungen, danach folgten die Anhörungen in Berlin. Nachdem die Schnittarbei ten beendet waren, lief der Film in Bukavu und an vielen Orten in Europa. Was ist nun das Essenzielle an unserem Projekt? Es steht außer Zweifel, dass das Kongo Tribunal eine reine Fiktion darstellt – doch das Problem, das Milo Rau aufgeworfen hat, ist real – und es ist universell. Wir befinden uns im Ost-Kongo; doch das Tribunal hätte in einem beliebigen unterentwickelten Land des Südens stattfinden können, etwa in Nicaragua oder auf den Philippinen. In unserem Prozess werden nämlich zwei Probleme behandelt, die in einer Vielzahl von armen Ländern auftreten und die strukturell bedingt sind:

Erstens die Verantwortungslosigkeit der lokalen Behörden gegenüber ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern. Dies betrifft die Frage der Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen sowie die Frage der ungerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Zweitens geht es um die Passivität der Internationalen Gemeinschaft und die fatale Logik der globalen Warenströme.

Welche Reaktionen hat der Film im Kongo bisher ausgelöst?

Sylvestre Bisimwa Im Kongo hat das Tribunal unglaubliche Wellen geschlagen: Denn obwohl es sich wie gesagt um Fiktion handelt, sieht man im Film, wie die tatsächlichen Opfer von Gewalthandlungen zu Wort kommen. Außerdem sprechen politische Verantwortliche sowie wissenschaftliche Experten. Das Essenzielle war, dass wir allen eine Stimme gegeben haben – die Menschen konnten ihre Meinung in einem geschützten Rahmen frei zum Ausdruck bringen. Die Opfer der Gewalthandlungen konnten sich darauf verlassen, dass es einen Vorsitz, eine Jury und einen Richter gab; sie konnten sich darauf verlassen, dass die formellen Regeln eines Tribunals eingehalten wurden. Der Film steht auch beispielhaft dafür, wie Gerechtigkeit aussehen könnte.

Der Prozess, der mit dem Kongo Tribunal begonnen wurde, soll nun fortgeführt werden. Ihr Ziel ist ja, an mehreren Orten im Kongo Tribunale auszurichten. Wie gehen Sie dabei vor?

Sylvestre Bisimwa Milo Rau hat eine Spendenkampagne in Europa initiiert, die es uns ermöglicht hat, die DVD des Filmes zu drucken und zu verbreiten. Indem wir mit dem Film durch das Land reisen, werden wir gleichzeitig die Möglichkeiten evaluieren, an verschiedenen Orten Tribunale zu organisieren. Dafür haben wir ein achtköpfiges Komitee zusammengestellt. Wir werden nach den Screenings mit den Betroffenen darüber diskutieren, ob sie sich ein Tribunal in ihrer Region wünschen. Die lokale Zivilgesellschaft soll dabei eine maßgebliche Rolle spielen. Wenn die Betroffenen zustimmen, werden wir entscheiden, welche konkreten Fälle wir behandeln wollen. Danach werden wir Recherchen anstellen und entsprechende Daten sammeln. Um ein konkretes Beispiel zu nennen:

In Kasika, einem Dorf, das rund drei Autostunden südwestlich von Bukavu liegt, wurden bei einem Massaker rund ein Dutzend Frauen bei lebendigem Leib begraben. Danach hat es niemals einen Prozess gegeben. Wir sind davon überzeugt, dass die Betroffenen Gehör finden müssen. Die Gemeinde hat ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Wer sind die Schuldigen und wo halten sie sich auf ? Warum leitet der Staat keine Untersuchungen ein?

Wie viele Tribunale soll es geben und was ist Ihr konkretes politisches Ziel?

Sylvestre Bisimwa Je nachdem, welche finanziellen Mittel wir durch die erwähnte Spendenkampagne in Europa sammeln können, planen wir, alle sechs Monate oder ein Mal pro Jahr ein Tribunal abzuhalten. Unser wichtigstes Ziel ist, dass die Menschen den Mut finden, zu sprechen. Damit erhoffen wir uns, den kongolesischen Staat in die Pflicht zu nehmen. Es liegt in seiner Verantwortung, ein offizielles, rechtlich abgesichertes Tribunal abzuhalten. Außerdem wollen wir die Internationale Gemeinschaft in die Pflicht nehmen. Denn im Westen weiß man oft nicht, was sich im Kongo wirklich abspielt. Drittens geht es darum, die Rolle der Multinationalen Konzerne aufzudecken. Falls Rohstoffkonzerne nachweislich in Verbrechen involviert waren oder von ihnen profitieren, müssen wir die Inter nationale Gemeinschaft in die Pf licht nehmen, zu agieren. Kurzum: Wenn weder die kongolesische Justiz noch die Internationale Gemeinschaft agiert, müssen wir den ersten Schritt tun.

Wie sieht Ihr Zeitplan aus?

Sylvestre Bisimwa Unser Plan ist, bis Dezember 2018 den Film »Das Kongo Tribunal« in allen 26 Provinzen des Kongo zu zeigen. Ich denke, dass wir bereits im September wissen könnten, welche Fälle wir uns vornehmen und welche Multinationalen Konzerne wir einbeziehen wollen. Ich halte es für realistisch, dass wir uns fünf Provinzen vornehmen und unsere Untersuchungen dort anstellen. Dabei kann es sich um die Förderung von Kobalt, Coltan, Gold, Diamanten oder landwirtschaftliche Produkte wie Kaffee oder Tee handeln. Parallel dazu werden unsere Mitstreiterinnen und Mitstreiter rund um Milo Rau in Europa mit dem Fundraising weitermachen, denn selbstverständlich brauchen wir für die Durchführung der Tribunale nicht unerhebliche finanzielle Mittel, die die kongolesische Zivilgesellschaft schlichtweg nicht hat.

Wir rechnen damit, dass wir mit den Folge-Tribunalen im Jahr 2019 be ginnen können.

Das Ende der Gewaltherrschaft von König Leopold II. im Jahr 1908 kam nicht zuletzt durch eine groß angelegte internationale Menschenrechtskampagne zustande. Denken Sie, dass es möglich ist, durch internationale Mobilisierung heute einen ähnlichen Erfolg zu erzielen?

Sylvestre Bisimwa Unser Projekt zielt auf eine Kritik des Neokolonialismus ab. Wir wollen die herrschenden Regeln und Gesetze des internationalen Handels infrage stellen und überwinden. Denn es ist völlig offensichtlich, dass die aktuellen Regelungen auf dem Gebiet des internationalen Handels und der Finanzwelt für die Länder des Globalen Südens von enormem Nachteil sind. Heute sehen wir, dass Multinationale Konzerne durch die herrschenden Steuer- und Finanzregelungen auf allen Ebenen begünstigt werden. Dies geht auf Kosten der Bevölkerung der Dritten Welt. Es liegt an den afrikanischen Regierungen, sich zu erheben und sich zur Wehr zu setzen.

Der Preis der Rohstoffe auf dem Internationalen Markt steht in eklatantem Widerspruch zum Lohn, den ein Coltan- oder Goldschürfer im Kivu erhält – wir fordern, dass die Menschen, die die Rohstoffe produzieren, die für den Westen so wichtig sind, vom Reichtum ihrer Länder profitieren können. Dazu will unser Projekt einen Beitrag leisten.

Die Anhörungen in Berlin (an denen unter anderem die Soziologin Saskia Sassen und der Sozialpsychologe Harald Welzer teilnahmen) hatten zum Ziel, diese neokolonialen Strukturen zu durchleuchten. Es ist also absolut notwendig, in den Ländern des Nordens aktiv zu werden und die Geschäftspraktiken der Großkonzer ne unter die Lupe zu nehmen.

Die UNO, die Institutionen der Europäischen Union sowie die Regierungen der einzelnen Länder des Westens müssen endlich handeln. Wir wollen, dass Konzerne, die für Menschenrechtsverletzungen in Ländern des Globalen Südens mitverantwortlich sind, vor einem Gericht angeklagt werden können.
Das Gespräch führte Alexander Behr.

AFRIKA-SPENDENKONTO lautend auf Heinrich Staudinger für Afrika
Kennwort: brennstoff 52 – KONGO TRIBUNAL
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ein Artikel von

Sylvestre Bisimwa, Alexander Behr

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