Ich bin so groß wie das, was ich sehe.
Ich bin so groß wie das, was ich sehe.
Brennstoff Nr. 65 | Brennstoff Redaktion | 17.01.2024 | 2 Minuten

Fernando Pessoa

Gleichmütig lese ich erneut - und empfinde sie wie eine Inspiration, eine Befreiung - die einfachen Sätze Caeiros, die auf das verweisen, was sein kleines Dorf vermag. Von diesem Dorf aus, sagt er, könne man, da es so klein sei, mehr von der Welt sehen als von der Stadt aus, und deshalb sei sein Dorf größer als die Stadt.

»Denn ich bin so groß wie das, was ich sehe, Und nicht so groß, wie ich bin«

Sätze wie diese, die ohne einen sie diktierenden Willen zu wachsen scheinen, reinigen mich von aller Metaphysik, die ich spontan dem Leben hinzufüge. Nachdem ich sie gelesen habe, trete ich an mein Fenster über der engen Straße, betrachte den großen Himmel und seine vielen Gestirne und bin frei mit einem beflügelnden Glanz, dessen Schwingung in meinem ganzen Körper nachbebt. »Ich bin so groß wie das, was ich sehe!« Jedes Mal, wenn ich diesen Satz mit der gesammelten Aufmerksamkeit meiner Nerven denke, scheint er mir mehr dazu bestimmt, das Weltall mit all seinen Sternen wieder zu errichten. »Ich bin so groß wie das, was ich sehe!« Welch große geistige Besitzergreifung vom Brunnen der tiefen Gefühle bis hin zu den hohen Sternen, die sich in ihm spiegeln und in gewisser Weise dort sind! Und nun betrachte ich im Bewusstsein, dass ich zu sehen verstehe, die weite objektive Metaphysik aller Himmel mit einer Sicherheit, die in mir das Verlangen weckt, singend zu sterben. »Ich bin so groß wie das, was ich sehe!« Und der ungewisse, mir gehörende Mondschein beginnt die halbschwarze Bläue des Horizonts mit seiner Unbestimmtheit zu trüben. Ich möchte meine Arme heben und Dinge von unbekannter Wildheit herausschreien, den hohen Mysterien Worte zurufen, den großen Räumen der leeren Materie eine neue weitgespannte Persönlichkeit bestätigen.

Doch ich gehe in mich und werde sanft. »Ich bin so groß wie das, was ich sehe!« Dieser Satz bleibt mir und erfüllt meine Seele; an ihn lehne ich all meine Gefühle, und von innen her - wie über die Stadt von außen - kommt der unbeschreibliche Friede des harten Mondlichts über mich, das sich langsam mit der Dämmerung ausbreitet

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