Friedenserklärung
Friedenserklärung
Brennstoff Nr. 63 | Heini Staudinger | 23.01.2024 | 3 Minuten

Es gibt ein zentrales Gebot in vielen traditionellen Kulturen. Das Gebot lautet, leise zu sprechen, wenn wir nicht allein sind. Im Wald, am Fluss, unter dem Berg, der da war, bevor ich da war, gilt es, die laute Rede zu vermeiden. Der Wald vernimmt, was ich sage. Der Berg hört zu.

Dass die Naturvölker auf die Bäume, das Wasser und den Berg horchen, ist eine ökologische Einsicht. Von den anderen Wesen hängt ab, ob auch der Mensch, ihr jüngstes Geschwister, gedeihen kann. „Hör zu!“ lautet das erste ökologische Gebot. „Gib den anderen ihren Raum, denn nur so erhältst du deinen.“

Wenn wir weghören, erfahren wir das Wichtigste nicht. Wir bleiben taub dafür, dass alles auf Gegenseitigkeit beruht. Sie ist das Prinzip ökologischer Existenz. Nur weil andere existieren, kann der einzelne sein. Nur weil Pflanzen Sauerstoff ausatmen, kann ich ihn einatmen. Nur weil Hummeln sie bestäuben, blühen die Blumen. Nur weil sich am Berg Wolken bilden, regnet es.

Wer nicht zuhört, verweigert diese Gegenseitigkeit. Er missbraucht den anderen als Bühne. Diesen Missbrauch hat unsere Zivilisation zum Dogma erhoben. Unser erstes Gebot ist der Monolog. Wir glauben, dass alles Gute davon kommt, dass der Stärkste den Ton angibt. Und der Stärkste hört nicht zu. Er brüllt andere nieder – oder labert sie voll. Unser Prinzip ist nicht das Horchen, sondern der Narzissmus – das Gegenteil des Zuhörens.

Narzissmus aber ist nicht nur Eigensucht. Narzissmus ist eine ökologische Todsünde. Er zerstört die Gegenseitigkeit, die Leben ermöglicht. Der Sieg des Narzissmus begann in dem Moment, als unsere Kultur der Welt die Stimme abgesprochen hat, als wir erklärt haben, alles außer uns seien nur tote Dinge.

Der Grundsatz der alten Kulturen lautet nicht wie unserer: „Ich bin, weil ich gegen Dich gewonnen habe.“ Sondern: „Ich bin weil du bist.“ Es ist ein Gebot, das wir uns schleunigst aneignen sollten. Nicht nur weil die Zeit drängt. Sondern weil es uns den Ausweg aus der Schäbigkeit erlaubt.

Kein Friede ohne Zuhören. Kein Friede, wenn wir es besser wissen als die, die uns nähren und hervorbringen, die uns das Leben schenken. Horchen ist Danksagen. Horchen ist der Ruf, der lebendig macht. Nur wer zuhört, wird die Welt fruchtbar halten, für jetzt und für alle Zeiten.

Wir haben ein Naturproblem
Drum sollten wir von denen lernen, die keines haben

,,Wir brauchen eine veritable neue Metaphysik. Die alte Idee, dass die Welt aus Sachen besteht, die man beliebig verändern kann, und dass nur der Mensch Geist besitzt, Moral und den Anspruch, gerettet zu werden, ist schon lange gestorben. Und dennoch verursacht sie immer noch Tod in einem unabsehbaren Ausmaß. Wir können es knapp so zusammenfassen: Wir haben ein Naturproblem. Wir sollten daher von den Menschen lernen, die keines hatten. Und wir haben ein Verteilungsproblem. Wir sollten uns etwas von denen abschauen, die alles verteilen. Sich auf unsere eigene ,,Indigenialität“ einzulassen bietet die Chance, lebendiger Teil einer revolutionär gewandelten Sicht auf die Wirklichkeit zu werden. Es vermag uns Anstöße zu einer fundamental neuen Wirklichkeitspraxis zu geben. Es verheißt, wirklicher zu werden, und damit glücklicher und eher bereit, anderen Glück zu spenden.“
Andreas Weber - Indigenialität

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