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Brennstoff Nr. 62 | Huhki Henri Quelcun | 30.01.2024 | 5 Minuten

Eine Lebedame verjagt den Todesengel

Eben war der Polizeiinspektor bei mir. Er kam, um mir anzuzeigen, dass ich morgen vor das Gericht, das heißt aufs Schafott soll. Das hat wenig mit dem Traum gemein, den ich diese Nacht träumte: Robespierre existiert nicht mehr und die Gefängnisse waren geöffnet. Aber dank Eurer hervorragenden Feigheit wird sich bald niemand mehr in Frankreich finden, der ihn erfüllen kann. Thérésa“

Mit vier Sätzen Geschichte schreiben

Neben dem Brief liegt ein Dolch. Niemand sah den Empfänger des Schreibens, während dessen Blick immer wieder wie rasend über die Zeilen huschte, sodass er sie schon auswendig wußte, bevor er die Botschaft begriff. Die Frau, welche diese Zeilen hastig dem Blatt Papier anvertraute, das aus der Todeszelle zu ihm gelangte, hat ihn, Jean-Lambert Tallien, schon einmal über Nacht vom Saulus zum Paulus gemacht. Ihm, dem „Schlächter von Bordeaux“, hat sie die Menschenfreundlichkeit und Lebensfreudigkeit eingehaucht. Jetzt verwandelt sie den Geliebten vom Gefängnis aus in einen Brutus. Noch nennt sie das Volk „Notre-Dame de Sécours“; bald wird sie in aller Welt „Notre Dame de Thermidor“ heißen und selbst Frankreichs Erzfeind Pitt wird staunend ausrufen: „Diese Frau wäre imstande, die Pforten der Hölle zu schließen“. Diese Frau: Juana Maria Ignazia Thérésa Cabarrus.

Dreieinigkeit des Schreckens

Während ihr Liebhaber wie paralysiert durch Paris taumelt und Gefährten sucht, die ihm helfen, seine „Déesse de la liberté“ zu befreien, hat Thérésa im Kerker eine Seelenverwandte gefunden, ebenso frivol wie sie, aber weniger empathisch: Marie Josephe Rose de Beauharnais. Rose ahnt noch nicht, dass sie in zehn Jahren an der Seite Napoleons, des „Kaisers der Franzosen“, den Thron besteigen wird; noch weniger, dass diese baskisch-spanische Abenteurerin dem korsischen Brigadegeneral – 14 Monate nach der Befreiung beider Frauen – geschickt den Steigbügel zum Schwung in den Sattel der Macht halten wird. Die Freundinnen sind sich einig, was sie in die Todeszelle gebracht hat: Es ist „le terreur de la virtue“. Und dieser Schrecken geht von drei Männern aus: „Die Grundlage der Volksregierung in Zeiten der Revolution ist sowohl Tugend als auch Terror. Und Terror ist nichts anderes als schnelle, strenge und unbezwingbare Gerechtigkeit – er entspringt also der Tugend.“ Maximilien de Robespierre, ein blendender Rhetoriker, genannt „der Unbestechliche“, paranoid, asketisch, lebensneidig.

„Eine Nation erneuert sich selbst über Bergen von Leichen. Erlaub dir nie ein weiches Herz!“ Louis Antoine de Saint-Just, ein Jüngling mit wallendem Haar und goldenen Ohrringen, bekannt als „Erzengel des Terrors“ oder „Todesengel“, schriftstellerisch, politisch und militärisch der weitaus Begabteste des Triumvirats.

„Feinde der Freiheit soll man nicht bestrafen, sondern sofort vernichten.“ Georges Auguste Couthon, der juristische Architekt der Schreckensherrschaft, ein Soziopath, dessen Ziel es ist, vom „normalen“ zum „großen Terror“ überzugehen.

Ein undurchschaubares Weibsbild

Seltsamerweise wird die Ermordung suspekter Elemente von der Öffentlichen Gesundheitsbehörde – meist übersetzt als „Wohlfahrtsausschuss“ – exekutiert. Und dieser Wohlfahrtsausschuss hat mit Couthons „Gesetz vom 22. Prairial d. Jahres II“ [10. Juni 1794“] ein furchtbares Mordinstrument in die Hand bekommen. Die Quintessenz dieses Gesetzes: „Auf Erregung von Verdacht steht die Todesstrafe!“ Thérésa hat permanent Verdacht erregt: durch öffentliche Entblößung als Freiheitsgöttin auf dem Triumphwagen [Anm.: davon hätten wir gern ein Foto]; aufgrund wiederholter Auftritte in den politischen Debattierclubs der Männer; ihre Mehrsprachigkeit. Vor allem aber hat dieses undurchschaubare Weibsbild in Bordeaux hunderte Verurteilte quasi unter dem Fallbeil herausgezogen und am Ende den tugendhaften Scharfrichter Tallien becirct und in ein weichherziges Häufchen Toleranz verwandelt …

Der Mut der Verliebtheit

Thermidor verspricht wieder, seinem Namen alle Ehre zu machen. Wie von Sinnen ist Jean-Lambert Tallien in den letzten Tagen durch die Gluthitze von Paris getaumelt, hat mächtige Todfeinde des „Unbestechlichen“ und seines Mitdiktators getroffen, allen voran Fouché und Barras. Überall präsentierte er seine „Reliquien“: Thérésas Brief & Dolch. Im Volk macht das Eindruck, denn die Cabarrus ist das gütige Gegenbild zu den Tugendterrorhelden. (Als hätte man, im 20. Jahrhundert, Lady Di in den Tower geworfen.) Die allgemeine Empathie zirkuliert wie ein Lauffeuer. Auch die Spitzel des Wohlfahrtsausschusses sind darüber informiert. Dem einstigen Proconsul ist völlig klar, dass sein Kopf bereits dem Revolutionstribunal gehört. Aber diesen Kopf hat er schon in Bordeaux verloren und sein Herz glüht für seine „Dame-de-Sécours“.

Dann geht alles blitzartig: Im Konvent spricht „Todesengel“ Saint-Just unbeirrt über sein Lieblingsthema – die lebenslange und absolute Kontrolle der einzelnen durch den „Volkswillen“…

Die wahren Verschwörer

Er wird niemals über die ersten paar Worte hinauskommen. Denn Tallien ist vor das Rednerpult gesprungen und donnert: „Ich verlange, dass der Schleier sofort zerrissen wird!“ Er zeigt mit der Spitze eines Dolches auf Robespierre: „Die wahren Verschwörernsind entlarvt. Sie werden bald ausgelöscht sein und die Freiheit wird triumphieren.“ Weiter kommt er zunächst nicht. Immer mehr Abgeordnete erheben sich, schleudern den Tugendterroristen eine Flut weiterer Vorwürfe entgegen. Robespierre versagt die Stimme; Saint-Just lehnt unbewegt an einer Säule. Durch den Konvent tönt ein skandierter Ruf: „À bas! À bas! Nieder mit den Tyrannen!“ Dann dringt wieder Talliens Stimme durch: „Dieser neue Cromwell hat gestern Abend seine Armee formiert und ich werde ihm diese Waffe ins Herz stoßen, wenn die Versammlung nicht den Mut hat, ihn anzuklagen!“

Sie hat! Paris jubelt.

Aber noch verhalten, ängstlich, zweifelnd. Erst als publik wird, dass die drei gefürchtetsten Männer Frankreichs für vogelfrei erklärt wurden, bricht sich die Erleichterung Bahn: Die feiernden Massen steigen auf die Dächer neben den überfüllten Haftanstalten und verkünden den Gefangenen die frohe Botschaft. Tags darauf besteigen die Henker des Volkes selbst das Blutgerüst. Als Robespierres Kopf fällt, ertönt ein 15-minütiger Beifall. Aber als Thérésa aus dem Kerker schreitet, dröhnt der Applaus über eine Stunde lang.

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