Etwas für die Würde des Menschen Notwendiges
Etwas für die Würde des Menschen Notwendiges
Brennstoff Nr. 46 | Daniele Ganser, Karl Popper, Carlo Schmid | 20.02.2024 | 3 Minuten

Alles Leben ist heilig

WIR HABEN in der Welt ganz sicher ein Problem mit Feindseligkeiten, die außer Kontrolle geraten sind. Der Mensch ist geradezu ein Spezialist darin, andere auszugrenzen. Er dämonisiert Menschen anderer Nationalität oder Religion, erzeugt Ängste und Wut. Diese Gruppen nennen wir dann schnell Unmenschen oder Tiere. Schon ist es leicht, die Unmenschen zu eliminieren, weil man kein Mitgefühl mehr mit ihnen haben muss. Daher wird es in Zukunft ganz wichtig sein, die Reichweite des Einfühlungsvermögens zu vergrößern. Wenn wir erkennen, dass alles Leben heilig ist, werden wir nicht mehr so schnell ausgrenzen und töten.

Daniele Ganser, Historiker, Friedens- und Energieforscher, Buchtipp Daniele Ganser, Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien (2016)

Es ist immer leicht, das Volk für den Krieg zu begeistern

IM INTERVIEW in der Ge fängniszelle, geführt von Gustave Gilbert am 18. April 1946 während der Nürnberger Kriegsver bre cherprozesse, erklärte der angeklagte Hitler-Stellvertreter und NS-Reichsminister Hermann Göring, wie einfach es ist, Menschen zum Krieg zu verführen:

»Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg ... Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokra tie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt. Das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land.« Damals wie heute.

Das Paradox der Toleranz

DAS PARADOX der Toleranz ist wenig bekannt: Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die unbeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.

Damit wünsche ich nicht zu sagen, dass wir z. B. intolerante Philosophien auf jeden Fall gewaltsam unterdrücken sollten; solange wir ihnen durch rationale Argumente beikommen können und solange wir sie durch die öffentliche Meinung in Schranken halten können, wäre ihre Unterdrückung sicher höchst unvernünftig. Aber wir sollten für uns das Recht in Anspruch nehmen, sie, wenn nötig, mit Gewalt zu unterdrücken; denn es kann sich leicht herausstellen, dass ihre Vertreter nicht bereit sind, mit uns auf der Ebene rationaler Diskussion zusammenzutreffen, und beginnen, das Argumentieren als solches zu verwerfen; sie können ihren Anhängern verbieten, auf rationale Argumente – die sie ein Täuschungsmanöver nennen - zu hören, und sie werden ihnen vielleicht den Rat geben, Argumente mit Fäusten und Pistolen zu beantworten.

Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden. Wir sollten geltend machen, dass sich jede Bewegung, die Intoleranz predigt, außerhalb des Gesetzes stellt, und wir sollten eine Aufforderung zur Intoleranz und Verfolgung als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.

Sir Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (1944)

Demokratie

ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben. Wenn man aber diesen Mut hat, dann muss man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.

Carlo Schmid, 1948. Der Politiker und renommierte Staatsrechtlerwar einer einer der Väter des deutschen Grundgesetzes.

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Daniele Ganser, Karl Popper, Carlo Schmid

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