Erica Chenoweth
Erica Chenoweth
Brennstoff Nr. 67 | Brennstoff Redaktion | 31.07.2024 | 3 Minuten

3,5 % sind genug für einen radikalen Wandel. Noch spannnender - jede Kampagne, die 3,5 % der Bevölkerung hinter sich hatte und gewaltfrei war, war erfolgreich.

Erica Chenoweth begann ihre Forschung im Jahr 2005, während sie an ihrer Doktorarbeit in Politikwissenschaften arbeitete. Ihr Thema war der Einsatz von Gewalt zur Erreichung politischen Wandels. Erica wollte herausfinden, wie viel Gewalt notwendig ist, um beispielsweise eine Regierung zu stürzen.

Während ihrer Recherche wurde Erica zu einem Workshop eingeladen, der vom Zentrum für Gewaltfreiheit organisiert wurde. Trotz ihrer Skepsis gegenüber der Idee, dass Gewaltfreiheit das einzige legitime Mittel für Veränderung sei, ließ sie sich auf die Diskussion ein. Im Workshop kritisierte sie die gewaltfreien Ansätze und wies auf historische Beispiele hin, in denen Gewalt erfolgreich war.

Eine Teilnehmerin forderte Erica heraus, ihre Annahme, dass gewaltsamer Widerstand effektiver sei, wissenschaftlich zu belegen. Erica nahm die ­Herausforderung an und begann eine umfang­reiche Forschung. Sie sammelte Daten zu gewaltvollen und gewaltfreien Kampagnen der letzten 100 ­Jahre. Ihre Analyse brachte ein überraschendes Ergebnis: Gewaltfreie Kampagnen waren weltweit doppelt so erfolgreich wie gewaltvolle, selbst unter extrem ­unterdrückenden Bedingungen.

Weiterhin entdeckte Erica, dass keine gewaltfreie ­Protestbewegung scheiterte, wenn sie die aktive ­Unterstützung von mindestens 3,5 % der Bevölkerung hatte. Sie erkannte, dass 3,5 % ausreichten, um über genug über persönliche Verbindungen zu Schlüsselpositionen zu verfügen, was die Loyalität gegenüber der herrschenden Macht infrage stellte.

Diese Erkenntnisse veränderten Ericas ­Sichtweise grundlegend. Sie hinterfragte, warum sie bisher ­annahm, dass Gewalt eine notwendige Lösung sei. Erica realisierte, dass wahre Macht in der Vernetzung und im gemeinsamen Handeln liegt, nicht in gewaltsamen Aktionen.

Heute ist Erica Chenoweth Professorin für Politikwissenschaften an der Harvard Universität und berät ­Aktivist:innen weltweit. Sie fördert das Verständnis und das Potential gewaltfreien Widerstands und dessen Fähigkeit, gerechtere und friedlichere Gesellschaften zu schaffen.

Revolution - Beatles

You say you want a revolution

Well, you know

We all wanna change the world

You tell me that it‘s evolution

Well, you know

We all wanna change the world

Beatles, John Lennon

Calle Fuhr

Wie konnte es sein, dass Erica einfach intuitiv ­davon ausgegangen war, dass Gewalt funktioniert? ­Warum hat sie es einfach akzeptiert, dass der Weg aus ­gewissen Situationen eben nur durch Gewalt ­möglich ist? Weil sie Gewalt mit Mut verwechselt hatte. Weil ihr von Kleinauf beigebracht wurde, dass Helden von Schlachtfeldern eine Parade gewidmet wird, dass wir uns Geschichte an Hand von Kriegen erzählen. Und Erica fragt sich seitdem: Wie unsere Welt wohl aussehen würde, wenn wir aufhören würden gegen­einander zu arbeiten, sondern darauf zu vertrauen, dass unsere persönlichen Beziehungen bindend sind. Was wäre, sagt sie, wenn Ghandi und Martin Luther King die Basis unseres Geschichtsunterrichts wären. Was, wenn jedes Kind in der Grundschule mehr über die Suffragetten-Bewegung lernt, als über Napoleon oder Julius Cäsar?

Was wäre hm? Aber Erica, was machen wir jetzt?

Da ist ihre Antwort folgende:

Ermutigt eure Kinder über das Erbe der Gewaltfreien Bewegungen zu lernen. Erkundet das Potential der Macht des Volkes. Denn egal ob in der nahen oder der fernen Zukunft, gewaltfreier Widerstand tendiert dazu Gesellschaften zu hinterlassen, die freier sind, friedvoller und gerechter.

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