Diese Wirtschaft tötet
Diese Wirtschaft tötet
Brennstoff Nr. 47 | Ewald Grünzweil | 15.02.2024 | 5 Minuten

sagt der Papst. Plädoyer für ethischen Welthandel, Mitgefühl und internationale Solidarität aus Sicht eines österreichischen Milchbauern

Zwei Erlebnisse haben mein Leben sehr stark geprägt. Sie bestätigten leider meine Befürchtung, dass wir Bäuerin nen und Bauern in Österreich und Europa mitverantwortlich sind für das Leid und die Vertreibung von Mitmenschen in anderen Ländern.

Das eine Erlebnis war im Jänner 2015. Auf Einladung von FIAN Österreich war Kannayan Subramaniam, ein indischer Milchbauernkollege, in Europa unterwegs. Subramaniam berichtete von Betrieben, auf denen 90 Millionen Familien zum Teil in Hinterhöfen bis zu fünf Kühe halten. Das heißt, etwa 500 Millionen ( ! ) Menschen leben von der Milchproduktion, die entweder direkt oder über kleine Genossenschaften verkauft wird. Bis zu 70 Prozent der Betriebe in Indien arbeiten auf diese Weise; meistens sind es die Frauen, die diese Form der Landwirtschaft betreiben. Bis vor kurzem haben sie davon gut leben können.

Gefahr »Freihandel«. Seit den 1990er-Jahren gibt es neben den Genossenschaften auch private Molkereien. Damals hat die Regierung auf Druck der Welthandelsorganisation die Märkte »liberalisiert«. In der Folge fiel die Preisbindung der Molkereien. Auch wurde der Markt für 100 ausländische Investoren geöffnet. So investierten unter anderem Danone und Lactalis in die indische Molkereiwirtschaft und kauften dort Molkereien. Diese hatten in der Folge viel Geld, reduzierten den Milchpreis und produzierten Milch für den Export – für Indonesien etwa. Jetzt wird es immer schwieriger, mit den kleinen Betrieben ein Familieneinkommen zu erwirtschaften. Weil es Milchpulver aus Europa zu billigeren Preisen gibt als die frische Milch vom Bauern in der Nachbarschaft – und das bei Importzöllen von 68 Prozent auf Milchpulver!

Der Druck steigt. Der Druck auf die kleinen Landwirtschaften wird immer größer. 300.000 Bauern haben sich das Leben genommen, weil sie keinen Ausweg mehr sahen. Kannayan Subramaniam sieht die Gefahr, dass durch das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien der Druck auf die Genossenschaften und die Bauernfamilien noch verstärkt wird.

Aufrüttelnder Besuch aus Brasilien. Elizeu Lopes vom indigenen Volk der Guaraní-Kaiowá berichtete aus seiner Heimat. Die Guaraní-Kaiowá kämpfen seit Jahrzehnten für die Durchsetzung ihrer von der brasilianischen Verfassung garantierten Landrechte. Im Zuge der Ausbreitung des Zuckerrohr-, Maisund Sojaanbaues sowie der Rinderzucht, größtenteils für den Export nach Europa, wurden sie immer mehr von ihrem Land vertrieben. Der Verlust ihres Lebensraumes bedeutet eine Verletzung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. In den letzten Jahren spitzte sich die Situation dramatisch zu. Während die Guaraní-Kaiowá von der jeweiligen Regierung mit Versprechungen ruhiggestellt wurden, sichern die jetzigen Landbesitzer ihre Positionen durch Einfluss auf die Entscheidungsträger/innen sowie mit Hilfe privater Milizen ab. So ist geplant, die indigenen Landrechte durch Gesetzesänderungen aufzuweichen. Wiederholt kam es zu gewalttätigen Angriffen gegen die Guaraní-Kaiowá. Hilfe und Unterstützung erhoffen sie sich aus Europa beziehungsweise von der UNO.

Soja aus Brasilien für Milchpulver für Indien und Afrika?!

Durch Kannayan Subramaniam und Elizeu Lopes habe ich begriffen, dass wegen des europäischen und österreichischen Exportwahns Menschen auf der ganzen Welt ihre Existenzgrundlage verlieren. Darum kann ich nur eines sagen:

STOPPEN WIR GEMEINSAM DIESEN WAHNSINN!
Ewald Grünzweil

Ob das wirklich klug ist?

Noch immer subventioniert die EU den Export von Agrarprodukten. So gelangen, nur zum Beispiel, EU-Tomaten auf die lokalen Märkte in Afrika. Die Tomaten aus Europa sind billiger, als die einheimischen Kleinbauern produzieren können. So bleiben diese auf ihrer Ernte sitzen und gehen pleite. Auf diese Weise zwingt die EU mit ihren Export subventionen viele Kleinbauern auf dem schwarzen Kontinent, ihre Landwirtschaft aufzugeben. Auf der Suche nach Arbeit und Einkommen zieht es viele Ex-Kleinbauern in die Städte, wo sie und ihre Familien dann die Slums überbevölkern. Das Smartphone hat längst auch hier Einzug gehalten. Es liefert Bilder vom guten Leben im reichen Norden in die Hütten der Elenden. Die Fittesten und Mutigsten machen sich auf und davon und wagen die lebensgefährliche Flucht nach Europa. Vielleicht schaffen sie es und können dann ihre Familien in Afrika versorgen. Wenn sie Glück haben, überleben sie die Über fahrt in alten, kaum seetauglichen Kuttern. Wenn sie noch viel mehr Glück haben, finden sie in Südspanien oder Süditalien sogar Arbeit. Vielleicht schuften sie dann für Sklavenlöhne bei der Tomatenernte. Was von der Ernte in Europa nicht verkauft werden kann, wird »dank« Agrarexportsubvention wieder dorthin abgeschoben, woher all die vielen Wirtschaftsflüchtlinge, die hier keiner haben will, kommen.
Moreau

Lösungsansatz Weltagrarbericht

Die folgenden acht Punkte sind ein Auszug aus einem Videofilm von Benedikt Haerlin, der selber an der Entwicklung dieses Berichtes beteiligt war:

1.Problemorientierter Ansatz um konkrete Lösungen zu suchen. Das bedeutet, das politische Handeln muss klar von den realen Problemen ausgehen und nicht von Interessen einiger Machtgruppen.

2.Multifunktionalität der Bauernhöfe wieder finden. Die Mehrfunktionalität der Bauernhöfe ist der direkte Ausgleich und die Alternative zum Wachstum und der Verdrängung.

3.Kleinbauern sind für die Überwindung des Welt hungers entscheidend. Nicht die Wachs tums betriebe mit industrieller Produktion sichern die Ernährung, sondern eine breite Basis von Bauernhöfen in den Händen vieler Menschen.

4.Frauen machen einen Unterschied, denn an sie vergebene Kleinkredite bewirken das 2,5-fache Ergebnis für Ernährung. Frauen gehen weltweit verbindlicher mit Ressourcen um und lassen sich weniger vom Pres tige leiten.

5.Hunger vor Ort überwinden. Vor Ort die Potentiale und Ressourcen entdecken und zum Einsatz bringen. In Industrieländern die Vernichtung der Kleinbetriebe stoppen.

6.Agrarökologische Orientierung der Ernährungs politik. Eine energiesparende, regionsbezogene Ökolo gi sierung der Produktion ist dringend erforderlich.

7.Der Gemüseanbau auf Kleinflächen ist die effizienteste Nutzung des Bodens für Ernährung und Hungerbekämpfung: 2 ha Gemüseanbau ernährt eine Familie.

8.Eine öffentliche Forschung, in der das Wissen von Bauern/Bäuerinnen erfasst und aufgewertet wird (eigene Anmerkung: in südbrasilianischen Universitäten wird solches Praxis-Wissen in die Lehre eingebracht und Bauern/Bäuerinnen ein Zugang zu Vorlesungen ermöglicht).

Fazit: Das ist Ernährungs souveränität!

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ein Artikel von

Ewald Grünzweil

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