Die Wahrheit ist ein pfadloses Land
Die Wahrheit ist ein pfadloses Land
Brennstoff Nr. 47 | Thich Nhat Hanh, Christoph Ransmayr, Elias Canetti, Eduardo Galeano | 15.02.2024 | 3 Minuten

sagt Krishnamurti. Das heißt im Prinzip das selbe wie: Der Weg ist das Ziel; es gibt keinen Weg zur Wahrheit – wir sind bereits angekommen. Da es im Hier und Jetzt und mit der Wahrheit über uns selbst aber nicht immer lustig ist, machen wir uns lieber schnell wieder auf und davon. Weg ist das Ziel und wir jagen ihm hinterher. Moreau

Gehen als freier Mensch

Ihr könnt Freiheit in jedem Moment eures täglichen Lebens praktizieren. Jeder Schritt, den ihr geht, kann euch helfen, eure Freiheit wiederzuerlangen. Jeder Atemzug kann euch helfen, eure Freiheit zu entwickeln und zu kultivieren. Wenn ihr eßt, eßt als ein freier Mensch. Wenn ihr geht, geht als ein freier Mensch, Wenn ihr atmet, atmet als ein freier Mensch. Dies ist überall möglich.
Thich Nhat Hanh in einem Vortrag in der Strafanstalt von Maryland, USA, 2000

Bericht am Feuer

Wenn man fragt: Was ist eine Geschichte, was ist die eigene Geschichte und was die der anderen, wo beginnt eine Geschichte, und wo endet sie? Wenn man also in Geschichten denkt, klingt selbstverständlich immer die Frage mit, woher wir kommen und wohin es mit uns geht. Dann muss ich irgendwann aber auch den Kopf heben oder mich sonstwie bewegen und danach fragen, in welchen Räumen sich unsere Existenz ereignet. So werden allmählich die fernsten Weiten, selbst wenn es um Lichtjahre geht, Maßstäbe unserer Lebensrealität.
Christoph Ransmayr Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr

Von der Fernsucht

Zu den unheimlichsten Phänomenen menschlicher Geistesgeschichte gehört das Ausweichen vor dem Konkreten. Es besteht eine auffallende Tendenz, erst auf das Fernste loszugehen und alles zu übersehen, woran man sich in nächster Nähe unaufhörlich stößt. Der Schwung der ausfahrenden Gesten, das Abenteuerlich-Kühne der Expeditionen ins Ferne täuscht über die Motive zu ihnen hinweg. Nicht selten handelt es sich einfach darum, das Nächste zu vermeiden, weil wir ihm nicht gewachsen sind. Wir spüren seine Gefährlichkeit und ziehen andere Gefahren unbekannter Konsistenz vor. Selbst wenn diese gefunden sind, und sie finden sich immer, haben sie dann erst noch den Glanz des Plötzlichen und Einmaligen für sich. Es würde viel Beschränktheit dazu gehören, diese Abenteuerlichkeit des Geistes zu verdammen, obwohl sie zu weilen offenkundiger Schwäche entspringt. Sie hat zu einer Erweiterung unseres Horizonts geführt, auf die wir stolz sind. Aber die Situation der Menschheit heute, wie wir alle wissen, ist so ernst, dass wir uns dem Allernächsten und Konkretesten zuwenden müssen. Wir ahnen nicht einmal, wieviel Zeit uns geblieben ist, das Peinlichste ins Auge zu fassen, und doch könnte es sehr wohl sein, dass unser Schicksal von bestimmten harten Erkenntnissen, die wir noch nicht haben, abhängig ist.
Elias Canetti, Macht und Überleben

Die Reise

Oriol Vall, der sich in einem Krankenhaus in Barcelona um die Neugeborenen kümmert, sagt, die erste menschliche Geste sei die Umarmung. Wenn sie auf die Welt kommen, zu Beginn ihrer Tage, tasten die Säuglinge, als suchten sie jemanden. Andere Ärzte, die sich um die schon Gelebten kümmern, sagen, am Ende ihrer Tage wollen die Alten, wenn sie sterben, die Arme erheben. Und so ist es nun mal, soviel wir auch darüber nachdenken und so viele Worte wir auch darüber verlieren. Darauf läuft ganz einfach alles hinaus: Zwischen zwei Flügelschlägen verläuft, ohne weitere Erklärung, die Reise.
Eduardo Galeano, Zeit die spricht

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ein Artikel von

Thich Nhat Hanh, Christoph Ransmayr, Elias Canetti, Eduardo Galeano

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