Die Schatten des Wir
Die Schatten des Wir
Brennstoff Nr. 48 | Ursula Baatz | 13.02.2024 | 4 Minuten

Ein jedes Ding hat zwei Seiten, eine helle und eine dunkle, und kann missbraucht werden. Auch das Wir. Gerade das Wir.

Ratten sind dem Menschen in Hinblick aufs Verhalten in vielem ähnlich, deswegen werden sie oft für psychologische Experimente herangezogen, die manch mal überraschend aktuell sind.

Etwa wurde eine Gruppe von Ratten in eine Richtung in Bewegung gesetzt. Dann versetzte man einer Ratte aus der Gruppe überraschend einen leichten Strom stoß. Sie flüchtete in Panik von dem »gefährlichen Ort«, die Panik übertrug sich auf die Mitglieder der Gruppe, die ebenfalls flüchteten. Panik ist ansteckend, auch in Menschengruppen. Stimmungen verbreiten sich rasch, unbestätigte Gerüchte können zur Mas sen panik führen, im Fußball stadion oder auch auf der Börse.

Stimmungen sind ein beliebtes Mittel, um ein »Wir« zu erzeugen und Menschenmassen nach den Vorgaben eines Führers zu steuern. Einer der frühen Meister dieser Kunst war Edward Bernays, ein Neffe Freuds. Aus gehend von der Annahme Freuds, dass Menschen im Wesentlichen irrational und triebgesteuert agieren, entwickelte er Methoden, um politische Haltung und Kaufverhalten der Massen zu beeinflussen und zu steuern.

Entscheidend ist das Erzeugen von Stimmungen durch starke Bilder. Seine Methoden der Regulierung »öffentlicher Verhältnisse« (Public Relations) gehören heute zum Werkzeug jeder Werbefirma.

Einer der effizientesten Nutzer von Bernays Methoden zur Steuerung der öffentlichen Meinung war Joseph Goebbels, Propaganda-Chef der Nationalsozialisten. Gleichschaltung und sorgfältig orchestrierte Massenveranstaltungen sollten die Ideologie des National sozialismus in der Bevölkerung als selbstverständliche Wirklichkeit implementieren. Auch sowjetische oder chinesische Ideologen bedienten sich der Methoden Bernays, um ein »Wir« zu schaffen – in diesem Fall das »Wir« der Arbeiterklasse. Während der Kultur revolution fiel diesem »Wir« nicht nur der allergrößte Teil des chinesischen Kulturerbes zum Opfer, sondern auch mehrere Millionen Menschen. Auch die westlichen Ideologen des Kalten Krieges bedienten sich der Methoden, die weniger offensichtlich politisch und mehr auf die Etablierung einer Konsumgesellschaft aus gerichtet waren.

In Zeiten des Internets lässt sich die Wirkung des »Wir« enorm vervielfältigen. Bei den letzten US-Wahlen setzten vor allem die Unterstützer Trumps Millionen »Bots« ein, nicht-menschliche Twitter-Konten, die z. B. den Eindruck vermittelten, dass alle Hispano-Amerikaner Trump wählen. Meinungsmaschinen haben nach einer Untersuchung der Soziologen Howard und Kollanyi auch in der Abstimmung über den Brexit eine dominante Rolle gespielt.

Meinungsmaschinen erzeugen soziale Konformität, und die ist für Menschen enorm wichtig, wie der Psychologe Solomon Asch im Jahr 1951 in einem Expe riment nachwies. Einer Gruppe von fünf Leuten wurden mehrere unterschiedlich lange Striche gezeigt, die als »länger« oder »kürzer« bewertet werden sollten. Erklärten die ersten vier Personen – alle Vertraute des Versuchsleiters –, der kürzere Strich sei der längere, dann stimmte die Person Nr. 5, die echte Versuchs person, meist dieser Bewertung zu. Nur etwa 10 % der Probanden blieben bei der eigenen Wahrnehmung. Der Konformitätsdruck nimmt zu, je größer und homogener die Gruppe ist, so Asch. Homogenität erzeugt Gruppendruck und verhindert eigenständige Meinungen.

Jene, die »Wir sind das Volk« rufen, nützen diese Mechanismen. Angst vor Fremden oder Attentaten lässt sich gut zu wirksamen Stimmungsglocken auf blasen. Konformitätsdruck entsteht durch immer wiederholte Phrasen wie Arbeitslose seien »sozialer Bodensatz«, »Kontrolle der Demokratie durch das Volk« oder »Muslime vs. christliches Abendland« usw.

Der Populismus – zur Zeit dominant von rechts, doch gibt es auch linken Populismus – gewinnt seine Kraft durch Konformitätsdruck und Infektion durch Stimmungs mache. Dass diese politische Trance durchbrochen werden kann, haben die Wahlen in Österreich, Holland und Frankreich gezeigt. Wenngleich jeweils beträchtliche Segmente der Bevölkerung für populistische Positionen stimmten, erteilten die WählerInnen den populistischen Programmen doch eine klare Absage. Ein Zukunftsprogramm ist das nicht, aber ein deutliches Anzeichen eines anderen »Wir«, das sich divers und demokratisch versteht.

Die politische Macht des »Wir« ist unbestreitbar, aber gerade deswegen ist sie hochgradig problematisch. Denn der Klebstoff, der das »Wir« zu sam menschweißt, ist weitgehend reflexionsresistent und das macht das »Wir« zu einer gefährlichen Macht.

Denn das »Wir« mag von sich aus weder Vielfalt noch Diversität, ebenso wenig Refle xion und den Bezug auf Fakten. Nur wenn sich Ge gen stimmen mit Nachdruck erheben, so zeigte das Ex periment von Asch, löst sich der Konformitätskleber und es kann Beziehung und Kommunikation geben. Das zu bewirken und zu verstetigen ist die Aufgabe demokratischer Politik.
Ursula Baatz

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