Der Mammon zieht um – die Ungleichheit bleibt
Der Mammon zieht um – die Ungleichheit bleibt
Brennstoff Nr. 49 | Huhki Henri Quelcun | 13.02.2024 | 4 Minuten

Vom Geld- zum Datenspeicher

»Ihr könnt nicht Gott und Mammon dienen!« Jesus paraphrasiert hier eine zu seiner Zeit geläufige rabbinische Redewendung: »Ihr könnt nicht Gott und Teufel dienen!« Aber was bedeutete dieses Mamona, das an die Stelle des mythischen Dämons tritt? Vermögen, im doppelten Sinn: Als Reichtum und als Verfügungsmacht über andere und deren Ressourcen.

Dran glauben. Der Verkünder des Evangeliums hat den Namen des Widersachers mit Bedacht gewählt. Die Menschen dienen nur scheinbar dem Gold, den Ju welen, den Denaren. Um seine Rolle als Gegenspieler Gottes, des idealen An-und-für-sich-Seienden, auszuüben, darf »Mammon« nichts bloß Stoffliches darstellen; er bedarf einer immateriellen, relationalen oder – wie man einst sagte: geistigen Gestalt. Im Ursemi tischen dürfte das Wort soviel wie »Objekt des Glau bens« bedeutet haben ... Und zweitausend Jahre später löst sich dieser Ungeist völlig von jeder sichtbaren Verkörperung: Er wird reine Information. Auch Plastik karten sind nur ein Durchgangsstadium ...

Bargeldabschaffung und biometrische Erfassung der gesamten Bevölkerung konvergieren nicht nur in Indien (siehe Brennstoff Nr. 48, »Gegen die drohende Bytokratie«). Es geht darum, alle Privilegien der Hyperelite auf ein einziges Vermögen zu zentrieren: Bedin gungslose Datenhoheit! Die Grenzen zwischen Immo bi lienbesitz, Ressourcenkontrolle, Meinungssteuerung, zwischen der Macht, hunderten Millionen Minderpri vi legierten nach Lust und Laune Beschäftigung und Lebensform aufzuzwingen oder ganze – ökologisch noch intakte – Landstriche exklusiv im kleinen Kreis zu genießen, werden verwischt. Alle monströsen Vor rechte weniger »Auserwählter« werden binär verschlüsselt und für alle Zeiten festgeschrieben.

Welche Auswirkungen diese stille, aber absolutistische Herrschaft des »Mammons« haben wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Die herrschende Klasse erhofft sich die unantastbare Konservierung ihrer Vormachtstellung.

Wie alles anfing ... Rund 2500 Jahre v. Chr. hat sich

im Zweistromland die elaborierteste Nationalökonomie der Alten Welt etabliert: eine raffinierte Kombination von Planwirt schaft, feudal-klerikaler Despotie und zentral dokumentiertem Informationsgeld, eine Art von in Ton gebrannten Wechseln. Ein Goldschmied, beispielsweise, liefert zwei Kilo Geschmeide in der Palastbehörde ab und bekommt dafür einen Stapel Tontäfelchen; auf jedem ist der Anspruch auf soundsoviel Scheffel Getreide verzeichnet. Er wird aber keine davon gegen Emmer (eine Weizenart) eintauschen, sondern sich mit anderen Lebensmitteln, Kleiderstoffen,

Bier eindecken. Das ausgeklügelte Bewässerungssystem der Priester schaft hat für einen beständigen Getreideüberschuss gesorgt. Drakonische Strafen drohen allen, die sich weigern, den eingeritzten Anspruch auf Emmer nicht als Zahlungsmittel für alle möglichen Waren und Dienstleistungen anzunehmen. Bis schließlich ein Braumeister ein Täfelchen doch zu einem Bauern bringt. Der übergibt ihm die entsprechende Menge Ge treide und gibt das »Tondokument« bei der Finanz behörde ab – und erhält dafür die Bestätigung, dass er seine Steuern beglichen hat.

... weiterging ... Zur gleichen Zeit werden 14.000 km vom Zweistromland entfernt auf einem anderen Kontinent die Fundamente für die vermutlich erste voll digitalisierte Wirtschaft gelegt. Die Völker der pe ruanischen Norte-Chico-Kultur begründen ihre Über schuss-Ökonomie wie die Sumerer zwischen mehreren Flüssen. In Caral kommen 2500 v. Chr. die ersten Qui pus zum Einsatz: komplexe Seilgebinde, deren Knoten ungeheure Datenmengen codieren können. Vier Jahrtausende lang, bis zur Zertrümmerung des Inkareiches durch die Conquistadoren, werden alle Wirtschaftsbe ziehungen – Einzel- und Großhandel, Steuern, Gutha ben, Schulden, am Ende die imperiale Buchhaltung halb Südamerikas – im wahrsten Sinn des Wortes von Spezialisten geknüpft. Am bis 4 Meter langen Haupt seil hängen zig Nebenfäden, die nach dem Dezimal system ( inklusive der Null ) je nach Knotentyp und Färbung alle ökonomischen Transaktionen aufsteigend vom Haushalt über das Dorf und den Verwaltungs bezirk bis zum Budget des ganzen Reiches codieren.

... und endet? Christina von Braun vertritt in »Der Preis des Geldes« die These: Datengeld, das keinen materiellen Gegenwert hat, nicht einmal durch ein »Eintauschversprechen«, wird durch den menschlichen Körper »gedeckt«. Es droht die stumme Diktatur, die Verfügungsmacht weniger »Datenbeherrscher« über alle biometrisch erfassten »Untertanen«. Die bargeldlosen Ökono mien der Vorzeit beruhten auf re gionalen Überschüs sen (Getreide, Mais, Fisch). Sobald Mangel eintrat, gab es Pro teste, Aufstän de, Bürgerkriege. Des halb setzte sich im 6. Jhdt. v. Chr. Münzgeld in den Kulturen des Mittel meer raums und des Orients durch. »Der wichtigste Effekt des Mediums Geld ergibt sich auf gesamtgesellschaftlicher Ebene da durch, dass die Zahlung Dritte beruhigt«, erläutert Niklas Luh mann. »Geld ist der Triumph der Knappheit über die Gewalt.« Im Umkehrschluss können wir er warten: Biome trische oder implantierte (Chip) Privilegierung beunruhigt. Die Bargeldabschaffung führt zum Triumph der Gewalt über die Knappheit!
Huhki Henri Quelcun

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