Verrückt ist nicht das Mitgefühl – Mitgefühl ist die umgesetzte Erkenntnis gegenseitiger Abhängig keit –, verrückt ist der Egoismus des homo oeconomicus. Selbst wenn dieser Egoismus eine Naturform wäre, spräche nichts dagegen, sie auf geeignete Weise moralisch zu begrenzen; auch eine Blinddarmentzün dung kommt »von Natur« und kann geheilt werden. Doch das Pochen auf die Rationalität des Egoismus ist eben nur eine Erfindung. Deshalb spricht nichts dagegen, eine Gesellschaft mit weniger Leiden zu organisieren. Nicht morgen, in ferner Zukunft, sondern immer nur in der Gegenwart. Niemand zweifelt wohl ernsthaft daran, dass das verfügbare technische und logistische Wissen völlig ausreicht, die real bestehende Möglich keit, alle Menschen auf diesem Planeten wenigstens ernähren zu können, sofort in Praxis umzusetzen. Genauer gesagt: Der Zweifel daran ist nur das Geltend machen jener pekuniären Eigentumsrechte und irrigen Gedanken, die eben diese vernünftige Praxis jenseits der Geldgier verhindern.
( ... ) All das Gerede von »Sachzwängen«, »Gesetzen« der Wirtschaft, »historischer Notwendigkeit«, »Natur des Menschen« und wie die Ausreden alle lauten mögen, ist nur die Bewegungsform der intellektuellen Selbstversklavung, in der die Menschheit es zur wahren Meisterschaft gebracht hat. Nicht in der Zukunft, in der Gegenwart liegt – verdeckt durch einen globalen Verblendungszusammenhang – das andere, das bessere Leben. Die religiösen, politischen und ökonomischen Fundamentalisten sehen das ganz anders und fordern weiter Opferdienste für die »Zukunft«. Sie sind, gelenkt von einer freigelassenen Untugend, unentwegt dabei, die Welt zu verändern und halten sich als geführte Führer für unentbehrlich. Die Philosophie hat nur zugeschaut. Es käme darauf an, dass die Philosophen das Geld und die Sprache zureichend interpretieren, die herrschenden Täuschungen kritisieren und dem Denken das Bewusstsein seiner eigenen Macht zurückgeben. Wie die Vielen, befreit vom Fieber wahn einer erfundenen Zukunft und in Wiederentdeckung des Mitgefühls, die Welt dann gestalten werden, kann man getrost ihnen selbst überlassen.
Aus: Karl-Heinz Brodbeck, Die Herrschaft des Geldes, Geschichte und Systematik. Geb., 1.193 Seiten, WBG ( Wissenschaftliche Buchge sellschaft ), Darmstadt 2009 und 2012. In diesem BRENNSTOFF beschäftigt sich Karl-Heinz Brodbeck ab Seite 11 mit Geld als Denkform.