Automatisch arbeitslos
Automatisch arbeitslos
Brennstoff Nr. 45 | Patrick Spät | 21.02.2024 | 14 Minuten

Über die Folgen der Automatisierung und den Mythos der Vollbeschäftigung

IN NÜRNBERG rauschen seit 2009 fahrerlose U-Bahnen vollautomatisch durch die Unterwelt – auch in Helsinki, Paris, Barcelona, Budapest, Vancouver und São Paulo sind bereits seit Jahren U-Bahnen ohne Fahrer unterwegs. Das spart nicht nur Lohnkosten, sondern erhöht auch die Kapazität der U-Bahn-Linien um bis zu 50 Prozent, weil die exakt positionierten Züge in einem engen Zeitkorridor von nur 75 Sekunden hintereinander fahren können. Gut möglich, dass die Lokführer bald nicht mehr für Lohnerhöhungen streiken, sondern für den Erhalt ihrer dann automatisierten Arbeitsplätze.

Maschinen allerorten: Berlin, Ku'damm, McDonald's. Die Kunden geben ihre Bestellung am Touchscreen auf, bezahlen sie am Automaten und holen sich am Ver kaufstresen ihr Essen ab. McDonald's streicht dadurch weltweit Hunderte der ohnehin sittenwidrig bezahlten Jobs. Computer und Roboter ersetzen Menschen am laufenden Band. Wir leben in einer Ära des Kapitalismus, in der die Produktivität der Arbeit dermaßen hoch ist, dass immer weniger Arbeitskräfte gebraucht werden.

Das gleiche Spiel hatten wir bereits in der Landwirtschaft: In den heutigen Industrienationen haben einst 90 Prozent der Bevölkerung als Bauern gearbeitet, heute sind nur noch 2 Prozent in der Landwirt schaft tätig. Im Jahr 1900 erzeugte eine Bäuerin mit ihrer Arbeitskraft Nahrung für 4 Personen, 1950 konnte sie schon 10 Menschen ernähren, 2000 waren es aufgrund der Technisierung über 133 Menschen. In Japan hat die Firma Spread im Städtchen Kameoka eine Salatfarm eröffnet, in der Roboter den Salat wässern, umsetzen, schneiden, ernten und verpacken, nur angepflanzt wird noch von Menschenhand. Durch die Automatisierung haben sich die Lohnkosten halbiert, während die tägliche Produktion von 21.000 auf 51.000 Salatköpfe angestiegen ist.

Adieu, Handarbeit. Willkommen, Maschine. Laut Statistischem Bundesamt erhöhte sich die Produktivität je Arbeitsstunde allein zwischen 1991 und 2011 um 34,8 Prozent. Bei der Präsentation des neuen Golf VI erklärte VW-Chef Martin Winterkorn 2008, dass die Produktivität im Vergleich zum Vorgängermodell um mehr als 15 Prozent gestiegen sei – er hätte auch sagen können, dass 15 Prozent der Lohnarbeiter gefeuert wurden. Die aktuelle Lage in Südeuropa – mit einer Jugendarbeitslosigkeit von teilweise über 50 Prozent – ist nur ein Vorgeschmack auf das große Job-Fressen, das uns noch bevorsteht.

Kündigungen überall. Früher galt ein BWL-Studium als sichere Bank, heute ist es eine sichere Bankrotterklärung: Der Banken- und Versicherungssektor ist bereits zu über 50 Prozent automatisiert und digitalisiert. Cognitive-Computing-Technologien sind in der Lage, »riesige Mengen unstrukturierter Daten zu verarbeiten und zu analysieren. Sie können schnell Erkenntnisse sichtbar machen und lernen kontinuierlich von ihren Interaktionen mit Menschen und Daten. Über die Cloud bereitgestellt sind die wichtigsten Technologien [...] Deep Learning und Natural Language Processing. Letzteres erlaubt es Menschen, Fragen in natürlicher Sprache zu stellen und mit dem System wie mit einem Kollegen zu interagieren«, heißt es in einer Pressemitteilung von IBM und Swiss Re, die natürlich verschweigt, dass mithilfe dieser Technologien etliche Jobs vernichtet werden.

Selbst Rechtsanwälte werden jetzt gefeuert: In den USA übernehmen sogenannte E-Discovery-Programme, eine komplexe und lernfähige Software, immer mehr Recherchearbeiten, wo vormals Juristen in Aktenbergen und Gerichtsurteilen wühlten. Die Programme erkennen nicht nur Suchwörter, sondern auch komplexe Verhaltens- und Argumentationsmuster. [...]

Im Journalismus können Maschinen zwar noch nicht vollständig den menschlichen Geist ersetzen, aber sie schreiben bereits kurze Nachrichtenartikel. Seit 2015 nutzt Associated Press, eine der weltweit größten Nachrichtenagenturen, eine Software, die vollautomatisch Finanzberichte verfassen kann. Mittels NLG (»natural language generation«) generiert das Programm aus zahlreichen Finanzdaten lesbare Texte. In der Anfangsphase haben Redakteure die Texte vor der Veröffentlichung noch kurz überprüft, weil die Texte aber stets einwandfrei waren, werden sie mittlerweile ohne vorherige Kontrolle veröffentlicht – pro Monat mehr als 1.400 Meldungen.

Eine Studie der Universität Oxford kommt zu dem Schluss, dass bis 2030 rund 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA der Automatisierung zum Opfer fallen könnten. Während etwa Sozialarbeiter oder Handwerker weniger gefährdet sind, ist für Beschäftigte in den Bereichen Finanzen, Verwaltung, Logistik, Spedition und vor allem Produktion das Risiko, ersetzt zu werden, enorm hoch.

Für Deutschland gibt es ähnliche Prognosen. Laut einer Studie von Volkswirten der ING-DiBa-Bank sind in den nächsten 20 Jahren 59 Prozent aller Arbeitsplätze gefährdet; von den rund 31 Millionen sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten hierzulande könnten 18,3 Millionen von Robotern und Software ersetzt werden.

Immer mehr Menschen im Niedriglohnbereich, die Arbeitslosen werden durch Abbau des Sozialstaates drangsaliert

Die Entwicklung jedenfalls ist rasant: Alle anderthalb Jahre verdoppelt sich nach dem Mooreschen Gesetz die Rechenleistung von Computern. Alle drei Jahre verdoppelt sich die Menge der weltweit digital gespeicherten Daten. Und die gegenwärtigen Roboter sind bei weitem nicht mehr so tapsig und schwerfällig wie frühere Generationen.

Ein Viertel aller deutschen Erwerbstätigen verdingt sich mittlerweile im Niedriglohnbereich, das heißt er oder sie verdient weniger als 9,54 Euro brutto die Stunde. Oft arbeiten in diesen Jobs gut ausgebildete Menschen, die keine andere Stelle finden. Ebenso erschreckend ist der Anteil der Leiharbeit: Über ein Drittel aller offenen Stellen in Deutschland werden nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit inzwischen als Leiharbeit ausgeschrieben. Bis 1967 war Zeit- bzw. Leiharbeit (die Ausdrücke bezeichnen dasselbe, also die Arbeitnehmerüberlassung) in Deutschland gesetzlich verboten. Heute ist sie der Wirklichkeit gewordene Traum der neoliberalen Hardliner – und sie wird weiter zunehmen. Zwischen 1996 und 2016 hat sich die Zahl der Leiharbeiter mehr als verfünffacht – auf mittlerweile fast eine Million Beschäftigte.

Im Grunde arbeiten wir ja nicht mehr, wir »jobben«. Sinnbild für das Jobben ist der Zeitarbeiter, der von Arbeitsstätte zu Arbeitsstätte tingeln muss. Die »digitale Bohème« verdingt sich als Crowdworker, und

Handwerker versteigern ihre Arbeitskraft auf Internetplattformen wie MyHammer. Hier bekommt derjenige einen Auftrag, der sich für den niedrigsten Stundenlohn verdingt. Das Ergebnis sind grausige Stundensätze von 4,30 Euro, um bei irgendwelchen Yuppies neues Fischgrätparkett oder Marmorfliesen zu verlegen. Der Zeitarbeiter ist der moderne Tagelöhner, ausgebeutet von Mercedes, Amazon und anderen Big Playern. Es ist eine bittere Ironie der Gegenwart, aber manch einer wäre heute schon froh, wenn er in einem Angestelltenverhältnis mit regelmäßigen Arbeitszeiten ausgebeutet würde.

Gleichzeitig verbreiten Lobbyverbände und unkritisch abschreibende Medien die Lüge vom »Fachkräftemangel«. Tatsache ist: Einzig bei Pflegerinnen und Pflegern besteht ein Mangel an Bewerbern, aber keineswegs bei den vielbeschworenen Absolventen der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Nehmen wir die Ingenieure: Die Bundesagentur für Arbeit spricht hier von einem Fachkräftemangel, wenn auf eine Stelle drei Bewerber kommen; beim Verein Deutscher Ingenieure beträgt die Quote sogar eins zu fünf. Die Wirtschaft will natürlich die Löhne drücken und sich die Rosinen rauspicken, der Rest aber bleibt arbeitslos.

Und die Arbeitslosen werden gnadenlos mit Hartz IV und seinen entwürdigenden Maßnahmen schikaniert. Das 2005 eingeführte Hartz-IV-System verdankt seinen Namen Peter Hartz, seinerzeit Personalvorstand bei VW und Beauftragter der Bundesregierung für neue Arbeitsmarkt reformen. Gut möglich, dass er bei der Entwicklung der teuflischen Hartz-IV-Reformen bei seinem Namensvetter gespickt hat. Denn was kaum einer weiß: Schon Ende der 1920er Jahre entwickelte der deutschnationale Reichstagsabgeordnete und Buchautor Gustav Hartz ganz ähnliche Pläne, um den Sozialstaat abzubauen.

Zwar kannte Gustav Hartz den Zusatzbeitrag noch nicht, aber er stellte schon damals Fragen, die neoliberale Hardliner noch heute beklatschen würden: [...] »Eine soziale Politik darf nicht mit der Sorge um die Kranken, Invaliden, Witwen, Waisen und Arbeitslosen die Förderung der Lebenstüchtigen, Leistungsfähigen und Arbeitenden vergessen.« Sozialdarwinismus in Reinform. [...] Die Arbeitslosen nannte er schon damals »Kunden«, die man zur »eigenverantwortlichen Selbsthilfe« zwingen müsse. So neu sind die Inhalte der Hartz-IV-Reformen also nicht, nur fanden sie im Neoliberalismus einen idealen Nährboden.

Schon jetzt sind über eine Milliarde Menschen weltweit unterbeschäftigt oder ganz erwerbslos, Tendenz steigend. Die globale Arbeitslosenquote für die Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren ist dreimal so hoch wie bei den Älteren, besonders betroffen sind Frauen. Und über 40 Prozent der Menschheit schuften für weniger als 2 US-Dollar Lohn am Tag. Durch die dritte industrielle Revolution, die digitale Revolution, wird schon bald die billigste menschliche Arbeitskraft teurer sein als eine Maschine. Schon jetzt rechnen Volkswirte vor, dass man 65 Prozent der Lohnkosten spare durch Outsourcing von Jobs aus Industrie- in Entwicklungsländer. Setze man stattdessen Roboter ein, könne man 90 Prozent der Lohnkosten sparen. Das würde die Menschen im globalen Süden von ihrem elenden Sklavendasein ins nächste Elend stürzen: das der Arbeitslosigkeit. [...]

Der Kapitalismus sägt sich selbst den Ast ab, auf dem er sitzt

Die Finanzblasen sind nur ein Symptom der Dauerkrise. Eine der tieferen Ursachen liegt woanders: Der Kapitalismus sägt sich selbst den Ast ab, auf dem er sitzt, indem er seinen eigenen Markt zerstört: Durch die Automatisierung und Produktivitätssteigerung fallen Millionen Arbeitsplätze weg, und damit potenzielle Konsumenten. Deshalb ist auch zwecklos, die sogenannte Soziale Marktwirtschaft wiederbeleben zu wollen. Der vermeintlichen Finanzkrise liegen knallharte realwirtschaftliche Probleme zugrunde – der Kapitalismus selbst ist die Krise. Die Zeit zwischen 1945 bis 1973 war insofern nicht »normal«, sondern eine Ausnahme im dauerhaften kriselnden Kapitalismus.

Vereinfacht gesagt musste das Kapital seit den 1980ern in abstruse Hedgefonds und andere »finanzielle Massen vernichtungswaffen« (Warren Buffett) investieren, um den Laden künstlich am Leben zu halten und abstrakte Profite zu erwirtschaften. Gleiches gilt für den gigantischen Schuldenberg, der ebenfalls dazu dienen soll, den Kollaps hinauszuzögern. Andernfalls wäre das System schon damals implodiert, weil sich in der Realwirtschaft immer weniger Profite machen lassen (der »profit squeeze«). Es gibt eine weltweite Überproduktion von Gütern, für die es kaum noch Absatzmärk te gibt. Aus reiner Arbeitskraft können die Unternehmen kaum noch Gewinne herauspressen. Die Gruppe Krisis um den Philosophen Robert Kurz bemerkte dazu in ihrem Manifest gegen die Arbeit:

Erstmals übersteigt das Tempo der Prozess-Innovation das Tempo der Produkt-Innovation. Erstmals wird mehr Arbeit wegrationalisiert als durch Ausdehnung der Märkte reabsorbiert werden kann. In logischer Fortsetzung der Rationalisierung ersetzt elektronische Robotik menschliche Energie oder die neuen Kommunikationstechnologien machen Arbeit überflüssig. Ganze Sektoren und Ebenen der Konstruktion, der Produktion, des Marketings, der Lagerhaltung, des Vertriebs und selbst des Managements brechen weg. Erstmals setzt der Arbeitsgötze sich unfreiwillig selber auf dauerhafte Hungerration. Damit führt er seinen eigenen Tod herbei. […] Der Verkauf der Ware Ar beits kraft wird im 21. Jahrhundert genauso aussichtsreich sein wie im 20. Jahrhundert der Verkauf von Postkutschen.
Manifest gegen die Arbeit

Arbeit ist das A und O des Kapitalismus. Kommt Sand ins Getriebe, stockt der Motor der Profitmaschinerie: »Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch«, schrieb Marx hellsichtig, »dass es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. […] Die Kapitalakkumulation gerät zwangsläufig ins Stocken, wenn es keine Arbeiter mehr gibt, die Lohn erhalten und dann als Konsumenten das Kapital füttern, wie auch Marx betonte:

»Es liegt also in der Anwendung der Maschinerie zur Produktion von Mehrwert ein immanenter Widerspruch, indem sie […] die Arbeiterzahl verkleinert. […] Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Überzähligmachung.«

Maschinen ersetzen weit mehr Jobs, als zu ihrer Herstellung notwendig sind

Ja, Automatisierung gab es schon immer, auch die Webstühle ersetzten massenweise Arbeitsplätze. Historisch einmalig ist an der heutigen Lage aber nicht nur, dass die Automatisierung schneller wächst als die Märkte, sondern auch, dass die Maschinen weit mehr Jobs ersetzen, als zu ihrer Herstellung notwendig sind. Die wenigen Jobs, die in der Computer- und Roboterbranche entstehen, können die gegenwärtige Jobvernichtung keineswegs kompensieren:

In den 1980ern waren noch 8,2 Prozent der Arbeitnehmer in denjenigen Technologie-Branchen tätig, die in diesem Zeitraum neu geschaffen wurden. In den 1990ern betrug die Quote 4,2 Prozent und in den 2000ern lediglich 0,5 Prozent. Deshalb hat sich der Industriekapitalismus auch nach und nach zum Finanzkapitalismus orientiert, da sich an den Finanzmärkten noch (abstrakte und der Realwirtschaft völlig entrückte) Profite erwirtschaften lassen.

Doch trotz dieser Entwicklungen palavern Wirtschaft und Politik unermüdlich von Wachstum, Vollbeschäftigung und Arbeitsmoral. Kein Wahlplakat, auf dem nicht mit mehr Jobs geworben wird – obwohl die Jobsuche einem Stuhltanz gleicht. Dabei ist die Sache mit der Arbeit extrem schizophren: Wir streben insgeheim nach Faulheit – und preisen lautstark die Arbeit. Der Ruf nach mehr Arbeit ähnelt dem Stockholm-Syndrom, bei dem die Opfer von Geiselnahmen nach und nach ein positives Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. [...]

Mit dem Gefasel von »Wachstum«, »Wettbewerb« und »Standortsicherheit« versucht man uns einzureden, dass wir den »Gürtel enger schnallen« müssten, weil nur so »sichere Arbeitsplätze« möglich seien – und das alles sei auch noch »alternativlos«. Eine Lohnerhöhung sei nicht drin, weil sonst die Firma pleite gehe. Wir dürften die Reichen nicht zu stark besteuern, weil sonst die Leistungsträger ins Ausland gingen. All diese Dinge werden Konsens – sogar bei den Lohnsklaven selbst, die sich oft genug voller Inbrunst in die Arbeit stürzen. [...] Auch Gewerkschaften, Marxisten und Antikapitalisten gehen diesem Konsens oft genug auf den Leim, ohne zu merken, dass sie damit blindlings der kapitalistischen Logik folgen. [...]

Wenn Menschen ihren Job verlieren und in Armut stürzen, suchen die meisten die Schuld bei sich selbst. Kaum einer gibt dem kapitalistischen System die Schuld. Das ist fatal. Denn Arbeitslosigkeit ist kein individuelles Versagen, sondern ein Systemfehler! Die Arbeit geht uns nicht deshalb aus, weil wir zu blöd sind. Sie geht uns auch deshalb nicht aus, weil die Vermögenden zu viel Steuern blechen, wie uns Neoliberale weismachen wollen. Die meisten Menschen werden über kurz oder lang keine Arbeit finden, weil erstens die Maschinen immer mehr Arbeitsplätze ersetzen und weil zweitens der Kapitalismus aus dem letzten Loch pfeift. Beide Dinge hängen natürlich eng miteinander zusammen.

Maschinensteuer. Vor den Folgen der Automatisierung warnen längst nicht mehr nur linkspolitische Protagonisten, selbst die Apologeten des Kapitalismus erkennen mittlerweile, was sich in der Gegenwart abzeichnet: So warnen die Wirtschaftswissenschaftler Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee eindringlich davor, dass wir bis spätestens 2040 eine neue Massenarbeitslosigkeit haben werden.

Der einflussreiche und liberale Ökonom Tyler Cowen geht ebenfalls davon aus, dass zukünftig eine Elite von 10 bis 15 Prozent der Erwerbstätigen alle globalen Produktionsprozesse leiten werde; die Fachkenntnisse dieser Elite reichten aus, um die intelligenten Maschinen und Roboter weiterzuentwickeln und weltweit zu steuern. Und der US-Ökonom Jeremy Rifkin, einflussreicher Berater der US-Regierung und der EU, warnt schon seit Jahren vor den Folgen der Automatisierung: »Wir vollziehen gerade einen Wandel hin zu einem Markt, der zum allergrößten Teil ohne menschliche Arbeitskraft funktioniert.«

Okay, und was tun? Kapitalismuskritik ist seit 2008 praktisch salonfähig geworden, sie sollte aber dringend die Arbeitskritik miteinschließen. Wenn eine gute Theorie die beste Praxis ist, dann lasst uns zuerst den Arbeitsfetisch auf der Müllhalde der bürgerlichen Ideengeschichte entsorgen. Das ist schwierig genug.

Auf der einen Seite stehen mögliche Schönheitsre paraturen in den Ruinen des Kapitalismus: Eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wäre hier nur der Anfang. Noch wichtiger wäre eine »Maschinensteuer« oder, wie es Frank Rieger vom Chaos Computer Club bezeichnet, eine Automatisierungsdividende: »Wenn uns Roboter und Algorithmen in der Arbeitswelt ersetzen, sollten sie auch unseren Platz als Steuerzahler einnehmen.« Rieger fordert deshalb einen »Umbau der Sozial- und Steuersysteme hin zur indirekten Besteuerung von nichtmenschlicher Arbeit und damit zu einer Vergesellschaftung der Automatisierungsdividende.«

Zu diskutieren wäre, ob das Geld nur an diejenigen ausgezahlt werden kann, die innerhalb der betreffenden Volkswirtschaft leben, oder ob es in einem weltweiten Fonds landet. Klar ist hingegen, dass Automaten im großen Stil Schwarzarbeit betreiben: Erst zerstören Zigaretten-, Leergut- und Fahrscheinautomaten sowie unzählige Fertigungsroboter und Computer Millionen von Jobs. Und dann »arbeiten« sie, ohne dafür Steuern zu zahlen. Für jeden Euro, den eine Maschine erwirtschaftet, sollten 10 oder mehr Cent an die Allgemeinheit gehen.

Auf der anderen Seite steht die Abrissbirne für die kapitalistischen Ruinen. Dazu gehört die Forderung, dass die Produktionsmittel in die Hände der Allgemeinheit übergehen müssen. Denn wer immer im Besitz dieser Mittel ist, wird zwangsläufig andere Menschen zu Lohnsklaven machen, sie vernutzen und sie dann auf die Straße setzen. Statt Maschinenstürmerei oder Rufen nach »mehr Arbeit für alle« tut es Not, die Eigentumsfrage zu stellen.

Die Automatisierung ist nur dann ein Horrorszenario, wenn man innerhalb der kapitalistischen Logik denkt. Sie könnte ein Paradies sein, wenn nur die paradiesischen Früchte gerecht verteilt wären, sprich, wenn die Maschinen allen gehörten. Maschinenstürmerei ist also keine Lösung. Im Gegenteil: Wir sollten – trotz aller Probleme – auch die Möglichkeiten der Automatisierung erkennen, die darin liegen, dass sich der Kapitalismus den eigenen Ast absägt. Und ja, all das ist leichter geschrieben als getan. Das Ende der Arbeit wird uns wohl noch jede Menge Arbeit machen.

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ein Artikel von

Patrick Spät

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