Im Frühling 1940 besetzte die deutsche Wehrmacht überfallsartig Dänemark. Hitler wollte das nördliche Nachbarland zum „arischen Musterprotektorat“ machen. Der Plan schien aufzugehen. Der König wirkte gebrochen, im Volk wurden Stimmen nach einer nationalen Neuorientierung lauter. Christian der X. war wegen seines herrischen Regierungsstils nicht sehr beliebt. Und doch sollte der Monarch selbst den Funken des Widerstands zünden.
Majestätische Subversion
Kurz nach seiner scheinbaren „Entmachtung“ zeigt er wahren Herzensmut, eines Königs würdig. Als ein Nazi-General mit viel Pomp die Hakenkreuzfahne über dem dänischen Reichstag hissen läßt, kommt Christian geradewegs auf ihn zu: „Holen Sie diesen Fetzen sofort runter!“ „Geht nicht! Anordnung von höchster Stelle“ „Und wenn ich einen meiner Soldaten die Flagge entfernen lasse?“ „Wird er sofort erschossen!“ Christianus Rex (1), ein Riese von zwei Metern richtet sich entschlossen auf: „Das glaube ich nicht; denn ich bin dieser Soldat!“ Als der Abend dämmert, ist die Fahne der Usurpatoren verschwunden.
Und bald ist alles neu im Staate Dänemark
Flammen der Hoffnung glimmen überall auf. Der König nährt sie, indem er jeden Tag durch die Strassen von Indre By reitet, seine Mitbürger begrüßt, befragt, bestärkt. Der Rigsdag in Schloss Christiansborg verfügt noch immer über eine schlagkräftige Legislative unter Führung der Sozialdemokraten. Die rund 8000 jüdischen Dän/inn/en sind nach wie vor in Wirtschaft und Gesellschaft voll aktiv, noch wagt sie kein Besatzer anzutasten. Als die Nazibehörden ihre Kennzeichnung verlangen, ist es wiederum der König, der die Gegeninitiative ergreift. Als gefragt wird: „Was, wenn die Nazis die dänischen Juden zwingen, den gelben Stern zu tragen?“, lautet seine entschlossene Antwort: „Dann müssen wir alle den gelben Stern tragen.“ (2) Das Gespräch wird einer schwedischen Zeitung zugespielt. Auf der Titelseite eines Stockholmer Journals prangt eine Zeichnung: Christian mit Davidstern. In Berlin versteht man den Wink: Die dänischen Juden werden nie gekennzeichnet.
Ein ganzes Volk von Rettungsschwimmern
Schließlich will der „Reichsbevollmächtigte für Dänemark“, der mächtige SS-Scherge, Werner Best, die nach intensiver Recherche endlich registrierten Juden in der Nacht zum 2. Oktober 1943 deportieren lassen. Das Vorhaben sickert durch. Noch einmal setzt König Christian ein Zeichen, indem er seine einzige offizielle Protestnote publik macht. Die Geistlichen predigen unentwegt gegen das schändliche Vorhaben. Und zu dieser Zeit ist sich beinahe das ganze dänische Volk einig: Keine Macht der Welt kann seine Solidarität brechen. Am Neujahrstag Rosch Haschana (30. September) „verschwinden“ fast alle jüdischen Familien von der Bildfläche. In Häusern, Gärten, Gehöften ihrer christlichen Nachbarn. Die dänische Polizei hilft in den Nächten darauf, die Gesuchten zur Küste zu geleiten, wo die Fischer sie an Bord holen und über den Öresund ins sichere Schweden hinüberretten. Die Unis haben allen Studierenden frei gegeben, damit sie beim „Menschenschmuggel“ mithelfen können.
Es ist ein leises, ungeheures Gemeinschafts unternehmen, das Geduld über drei Wochen braucht. Schließlich ist es vollbracht: Mehr als 7000 Juden werden dem Zugriff der Nazis entzogen. Und auch die 472 nach Theresienstadt Verschleppten vergißt Dänemark nicht. Immerwieder reisen humanitäre Delegationen in den Vorhof der Hölle, erkundigen sich nach dem Wohl jeder einzelnen Person. Schließlich gelingt es dem Chef des Dänischen Roten Kreuzes, Graf Bernadotte, Anfang 1945 fast alle dänisch-jüdischen KZ-Häftlinge zurück nach Kopenhagen zu bringen, wo sie jubelnd empfangen werden.
1) Hitlers schwülstiges Glückwunschtelegramm zum 72. Geburtstag des Königs beantwortete der Jubilar mit einem lakoni schen „Besten Dank. Chr. Rex“, was den „Führer“ so aufbrachte, dass er den dänischen Botschafter auswies und den deutschen in Kopenhagen abzog.
2) Dass sich der König selbst den gelben Stern an seine Jacke geheftet hätte, und in der Folge große Teile der dänischen Bevölkerung, ist dagegen Legende. Es war, nachdem die Besatzer einknickten, nicht mehr nötig.