„Feuer am Dach“. Klimawandel
Ein Interview mit Renate Christ – der ehem. Leiterin des Sekretariats des „Weltklimarats“ (IPCC)
Eine Umwälzung in einem historisch nie gekannten Ausmaß ist nötig, um den Klimawandel noch zu begrenzen. Renate Christ war 2004-2015 Leiterin des Sekretariats des „Weltklimarats“ (IPCC) in Genf.
brennstoff: Sie haben als Österreicherin viele Jahre das Sekretariat des „Weltklimarats“ (IPCC) in Genf geleitet. Davor waren sie in Nairobi und Brüssel. Wie zuverlässig ist die Arbeit des „Weltklimarats“?
Renate Christ: Das Sekretariat des „Weltklimarats“ (IPCC) habe ich von 2004 bis 2015 geleitet; und 1999 bis 2004 war ich stellvertretende Leiterin.
Der „Weltklimarat“ ist auf Initiative der UNO-Generalversammlung 1988 gegründet worden, um den Stand der Klimaforschung aus aller Welt zusammenzufassen und eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage für die Klimapolitik zu schaffen.
Im Plenum des „Weltklimarats“ sind 195 Staaten und alle Meteorologischen Organisationen der Welt vertreten. Wissenschafter und Wissenschafterinnen aus allen Sparten und aus der ganzen Welt arbeiten an den Sachstandsberichten des IPCC. Sie sind die verläßlichste Zusammenfassung des derzeitigen Wissens über Klimaänderung. Die Zusammenfassung dieser Berichte, die „Zusammenfassung für die Politikentscheider“, wird vor ihrer Veröffentlichung von den Vertretern aller Regierungen gemeinsam Zeile für Zeile durchdiskutiert und als gemeinsamer Wissensstand formuliert.
Ja. 1992 bin ich nach Nairobi, Kenia, gegangen, um am Hauptsitz der UNEP („UNO-Umweltprogramm“) mitzuarbeiten und die Entwicklungshilfe von einer anderen Seite kennenzulernen. Davor arbeitete ich im Umweltministerium in Wien. Und nach Nairobi in Brüssel bei der EU.
brennstoff: Der „Weltklimarat“ hat im Oktober den „Sonderbericht zur globalen Erwärmung um 1,5 °C“ veröffentlicht. Was sind seine Ergebnisse?
Renate Christ: Im „Pariser Abkommen“ zum globalen Klimaschutz von 2015 wurde eine Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C bis 2100 festgeschrieben – als verbindliches und notwendiges Klimaziel. Auf Drängen besonders der kleinen Inselstaaten gab es den Zusatz, die Klimaerwärmung möglichst auf 1,5 °C zu begrenzen. Der „Weltklimarat“ wurde deswegen beauftragt, in einem Sonderbericht die Folgen von 1,5 °C gegenüber 2 °C Erderwärmung dar-zustellen und ob und wie das 1,5 °C-Ziel erreichbar ist.
brennstoff: Die Treibhausgasemissionen sind weltweit aber weiter im Steigen. Die UNO warnte im November, dass wir 2017 einen neuen Höchststand beim Jahresausstoß erreicht haben – mit 53,5 Giga-Tonnen weltweit. Die Klimapolitik scheint keine Wirkung zu haben. Nach Meinung sehr guter deutscher Klimaforscher steuern wir derzeit auf über 4 °C Erderwärmung bis zum Jahr 2100 und auf über 6 °C in 2200 zu. Das ist apokalyptisch! Das würde– betrachtet man die Klimageschichte der Erde – eine weitgehende Zerstörung der menschlichen Zivilisation mit sich bringen!
Renate Christ: Es ist Feuer am Dach! Ja! Politik und Wirtschaft haben die letzten 20 Jahre relativ ungenutzt verstreichen lassen. Auch in Österreich. Punktuell ist viel passiert. Es hat sich auch viel Bewusstsein entwickelt. Aber die Treibhausgas-Emissionen steigen global jedes Jahr weiter.
Österreich z.B. hat seit 1990 praktisch kein Gramm CO2 reduziert. Wir sind sogar wieder im Aufwärtstrend. Manchmal frage ich mich, was läuft da schief? Was läuft da schief, dass wir das nicht kommunizieren können? Was läuft da schief auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene? Ich weiß es nicht.
brennstoff: Um die Klimaerwärmung zu stoppen, müssen die Emissionen von CO2 und den anderen Treibhausgasen drastisch reduziert werden. Aber Umfang und Tempo der erforderlichen Reduktion für das 1,5 °C-Ziel und sogar das 2 °C-Ziel wären inzwischen gigantisch. Das zeigt der Sonderbericht, nicht wahr? Weil in den letzten 20 Jahren viel zu wenig passiert ist.
Renate Christ: Ja! Das 1,5 °C-Ziel wäre noch erreichbar. Aber wir müssten massivste Reduktionen schaffen, nämlich bis 2030 eine Reduktion um 45 % der Emissionen weltweit. Bis 2030! Das heißt, innerhalb der nächsten 12 Jahre!
Der Sonderbericht zeigt ganz klar, dass wir viele negative Auswirkungen und Folgen nur dann vermeiden können, wenn wir die Erderwärmung auf 1,5 °C beschränken.
Das 1,5 °C-Ziel würde also 45 % Emissionsreduktion bis 2030 erfordern; und eine Netto-Null-Emission bis 2050! Wenn wir das verzögern, müssten wir riesige Maßnahmen für sog. Negativ-Emissionen einleiten. Dafür kämen nach heutigem Stand der Technologien vor allem riesige Waldaufforstungen in Frage und auch die sogenannte BECCS, Bioenergy with Carbon Capture and Storage. Also die Einlagerung von CO2 aus der Verbrennung von Biomasse aus zusätzlich aufgeforsteten Energiewäldern in tiefere geologische Erdschichten. Das wäre technisch machbar, aber sehr, sehr teuer und braucht viel Platz.
Wenn wir die Klimawende verzögern, bräuchten wir dafür 25 bis sogar 46 % der heutigen weltweiten Ackerflächen, um auf ihnen Wälder zu pflanzen, die das CO2 wieder aus der Atmosphäre ziehen. Für Aufforstungen allein, ohne BECCS, möglicherweise noch mehr. Das wäre gigantisch! 25 bis 46 % der heutigen weltweiten Ackerflächen in CO2-Wälder umwandeln! Das hätte dramatische Folgen für die Welternährung!
Alle sonstigen Vorschläge, die es gibt, nämlich mit Geoengineering negative Emissionen zu schaffen, sind hingegen äußerst zweifelhaft. Es sind unausgereifte, hochriskante Projekte.
brennstoff: Das 1,5 °C-Ziel würde also global 45 % Emissionsreduktion bis 2030 und Netto-Null-Emissionen ab 2050 erfordern. Unglaublich! Aber auch das 2 °C-Ziel, das das „Pariser Abkommen“ als absolute Obergrenze festlegt, ist inzwischen nur noch erreichbar, wenn schnelle und große Reduktionsschritte erfolgen.
Renate Christ: Ja! Auch das 2 °C-Ziel erfordert mittlerweile schnelle und große Schritte bei der CO2-Emissionsreduktion. Nämlich bis 2030 um 20 % und bis 2075 auf Netto-Null.
brennstoff: Das „Pariser Abkommen“ von 2015 war ein Meilenstein der Klimapolitik der Weltgemeinschaft. 176 Staaten haben es mittlerweile ratifiziert, also als rechtlich bindend anerkannt – auch wenn Donald Trump für die USA und Jair Bolsonaro für Brasilien den Austritt angekündigt haben und viele andere rechtspopulistische Politiker das auch gerne tun würden. Wie sehen Sie das „Pariser Abkommen“?
Renate Christ: Im „Pariser Abkommen“ verpflichteten sich die 196 Mitgliedsstaaten der „Klimarahmenkonvention“, die 1992 in Rio unterzeichnet wurde, freiwillige nationale Beiträge zum Klimaschutz vorzulegen und umzusetzen, um die Erwärmung unter 2 °C zu halten. Diese nationalen Beiträge werden NDCs genannt. Aber auch wenn alle bisher schon vorgelegten NDCs tatsächlich umgesetzt werden würden, würden wir die Erderwärmung gerade mal auf ca. 3 °C bis 2100 begrenzen. Und sie würde danach noch weiter ansteigen.
brennstoff: Unglaublich! Das heißt ja, wir leben in einer riesigen Illusion! Politik und Medien gaukeln uns vor, wir wären schon auf dem richtigen Weg! Aber es ist eine Illusion!
Renate Christ: Genau! Genau!
brennstoff: Das ist dramatisch! Sogar das „Pariser Klimaabkommen“ liegt also weit hinter seinem Ziel von unter 2 °C!
Renate Christ: Ja! Es ist wirklich höchste Zeit! Es ist überhaupt keine Zeit mehr, diese ganze bisherige Klimapolitik fortzusetzen. Dieses ein bisschen Klein-Klein. Und freiwillig. Und ein bisschen Informationsarbeit. DAS REICHT NICHT MEHR! Das bringt die erforderlichen großen Dimensionen nicht!
Aus dem Sonderbericht des „Weltklimarats“ geht klar hervor: Es ist jetzt eine Umwälzung in einem historisch bisher nie gekannten Ausmaß notwendig. Alle politischen Instrumente müssen auf allen Ebenen in vollem Umfang eingesetzt werden. Es muss staatliche Regeln und Vorschriften geben. Ohne dem ist das alles nicht mehr möglich.
Wir müssen in kürzester Zeit in allen Bereichen den Energieverbrauch dramatisch senken. Und wir müssten sofort in die völlige Dekarbonisierung einsteigen. In der Energieerzeugung und überall. Alle Neuanschaffungen und Neuinvestitionen dürften ab sofort nur noch nicht-fossile Technologien sein.
Immer wichtiger wird auch die Frage der Ernährung, d.h. die Senkung des Bedarfs an tierischen Proteinen wegen deren Emissionen und Flächenbedarf. Auch die Notwendigkeit eines „behavior change“, der Änderung unserer Gewohnheiten, sieht der IPCC stärker als je zuvor.
Es geht nicht mehr um ein bisschen weniger. Bei uns oder global. Es geht nur noch um eine Null-Emission. Diese alte, kleine Denkweise – ein etwas effizienteres Auto, um etwas CO2 zu sparen, oder eine kleine CO2-Kompensation für Flüge usw. – all das reicht bei weitem nicht mehr. Wir müssen auf Null.
brennstoff: Im Dezember fand in Polen, Katowice, die 24. UN-Klimakonferenz (COP24) statt. Sie waren dort. Wie sehen Sie die Konferenz?
Renate Christ: Die Klimakonferenz in Katowice hatte im Wesentlichen zwei Aufgaben. Sie musste das Regelwerk für die Umsetzung des „Pariser Abkommens“ fertigstellen. Hierbei geht es darum, die Maßnahmen und Emissionsreduktionen der Staaten beurteilen zu können. Das ist im Großen und Ganzen gelungen, auch wenn einiges zu vage ist. Der zweite Punkt war, einen Anstoß zur Verschärfung der nationalen Beiträge (NDCs) zu geben. Die sind ja nicht einmal ehrgeizig genug um das 2 °C -Ziel zu erreichen, geschweige denn das 1,5 °C-Ziel. Hier waren, trotz der eindringlichen wissenschaftlichen Warnungen, die Ergebnisse sehr enttäuschend. Und das ist bedauerlich, denn für die erforderlichen Emissionsreduktionen braucht es klare und ehrgeizige Ziele.
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Das Interview mit Renate Christ führte Andreas Wagner, Brennstoff