BRENNSTOFF 48
Wir haben weltweite Aufgaben zu lösen, die das Zusammenwirken aller Beteiligten dringend erforderlich machen. Die vielen jungen Menschen der Gegenwart, die ganz selbstverständlich »wir« sagen, die sich gegenseitig unterstü̈tzen und für den Erhalt der Umwelt, fü̈r soziale Gerechtigkeit und die Vielfalt kultureller Lebensformen eintreten, leben uns dies bereits vor. Sie sind die Potentialentfalter der Zukunft. Sie sind die Wegbereiter hin zu einer Weltgesellschaft, in der wir uns zunehmend mit allen anderen Menschen verbunden wissen. Allerorten ist ein Erstarken eines neuen bü̈rgerschaftlichen Engagements und die Entwicklung und Stärkung einer Zivilgesellschaft zu verzeichnen, in der von engagierten Menschen entscheidende Veränderungsimpulse gegeben, neue Handlungsspielräume eröffnet und nachhaltige Zukunftsmodelle entwickelt werden.
Bü̈rgerschaftliches Engagement tut sich in den vielen Bü̈rgerinitiativen, den weltweiten politischen Protestbewegungen und ihrem unü̈berhörbaren Ruf nach Demokratisierung und gerechter Verteilung der Ressourcen ebenso kund wie in dem freiwilligen und nicht von materiellen Interessen bestimmten Einsatz vieler Menschen fü̈r das soziale Gemeinwohl. Menschen mischen sich ein und zeigen sich immer weniger dazu bereit, unhaltbare und ungerechte Zustände hinzunehmen.
Anders als unser derzeitiges Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, das den Eigennutz des ökonomischen Menschen ins Zentrum rü̈ckt, hat diese neue weltweite Bewegung den empathischen Menschen zum Leitbild, der das Gemeinwohl aller im Auge behält.
Der Physiker und Zukunftsforscher Fritjof Capra spricht in diesem Zusammenhang von einem globalen Immunsystem, das zum Schutz der Erde aktiv wird, einer kollektiven und geradezu instinktiven Antwort der Menschheit auf die akute Bedrohung ihrer Lebensgrundlagen.
Dieses Immunsystem besteht aus zahllosen Menschen und Gruppierungen, die an allen Orten der Welt unermüdlich damit beschäftigt sind, die schädlichen Einflü̈sse, die das Leben bedrohen, zu neutralisieren und zu regenerieren. (…)
Auch diese Informationen mü̈ssen in das öffentliche Bewusstsein eingespeist werden. Sie machen Mut, geben Zuversicht, regen zum Mitmachen und Nachahmen an. Wir mü̈ssen unseren Blick schärfen für das, was das Leben bewahrt, was Neues in die Welt bringt, was Hoffnung erweckt. Wir haben viel bewegt und viel zerstört. Nun ist es an der Zeit, zu bewahren und nachhaltig zu gestalten. Dem menschlichen Vernichtungswillen scheint eine ältere Einsichtsfähigkeit und Weisheit entgegenzuwirken, die uns in einer Art und Weise mit allen Lebewesen auf diesem Planeten verbindet, die bislang unvorstellbar schien. Darin liegt das Versprechen der weltweiten ökologischen, sozialen und gesellschaftspolitischen Bewegungen: als gemeinsame Bewohner dieser Erde zu entdecken, dass wir eine globale Familie sind. (…)
Das bedeutet, die Grenzen des Wachstums zu akzeptieren und Abschied vom Machbarkeitswahn zu nehmen. Von Ressourcenausnutzern zu Potentialentfaltern zu werden, uns nicht mehr länger getrennt von der Welt, von den Tieren, Pflanzen und der Natur wahrzunehmen und unsere Achtung und Ehrfurcht vor allem Lebendigen wiederzuentdecken. Nur so können wir die Kraft unserer Gefühle aktivieren und nutzen, uns öffnen fü̈r wahres Mitgefühl und unsere Furcht vor dem Leid der Welt verlieren. Dann können wir etwas bewirken und bewegen.
Denn die erste Frage des Mitgefühls lautet immer: »Was wird gebraucht?« Die Antwort darauf kann nur darin bestehen, anzupacken und es zu tun. Wenn wir erfahren und spüren können, dass wir selbst Teil des lebendigen Organismus der Erde sind, weder ü̈ber noch jenseits von ihr stehen, sondern zutiefst in ihr beheimatet und in ihren Kreislauf eingebunden sind, dann läutet dies das Ende unserer anthropozentrischen Herrschafts- und Allmachtsphantasien ein. Wir erleben uns nicht mehr länger als Bezwinger, sondern als Partner der Erde. Und als solche kann es uns gelingen, unsere Entdeckerfreude, Begeisterungsfähigkeit und Gestaltungslust in lebensbejahende Bahnen zu lenken und nachhaltige Projekte zu fördern, die das Leben bewahren, so dass wir die Welt heil an unsere Kinder und Enkelkinder übergeben können.
Aus: Gerald Hüther/Christa Spannbauer (Hg). Connectedness. Warum wir ein neues Weltbild brauchen. Huber 2012.