Vom Geld- zum Datenspeicher
»Ihr könnt nicht Gott und Mammon dienen!« Jesus paraphrasiert hier eine zu seiner Zeit geläufige rabbinische Redewendung: »Ihr könnt nicht Gott und Teufel dienen!« Aber was bedeutete dieses Mamona, das an die Stelle des mythischen Dämons tritt? Vermögen, im doppelten Sinn: Als Reichtum und als Verfügungsmacht über andere und deren Ressourcen.
Dran glauben. Der Verkünder des Evangeliums hat den Namen des Widersachers mit Bedacht gewählt. Die Menschen dienen nur scheinbar dem Gold, den Juwelen, den Denaren. Um seine Rolle als Gegenspieler Gottes, des idealen An-und-für-sich-Seienden, auszuüben, darf »Mammon« nichts bloß Stoffliches darstellen; er bedarf einer immateriellen, relationalen oder – wie man einst sagte: geistigen – Gestalt. Im Ursemitischen dürfte das Wort soviel wie »Objekt des Glaubens« bedeutet haben … Und zweitausend Jahre später löst sich dieser Ungeist völlig von jeder sichtbaren Verkörperung: Er wird reine Information. Auch Plastikkarten sind nur ein Durchgangsstadium …

1000 GESTALTEN. »Unsere Aktion war und ist ein weiteres Zeichen dafür, dass viele Menschen die zerstörerischen Auswirkungen des Kapitalismus nicht länger hinnehmen wollen.« Video
Bargeldabschaffung und biometrische Erfassung der gesamten Bevölkerung konvergieren nicht nur in Indien (siehe Brennstoff Nr. 48, »Gegen die drohende Bytokratie«). Es geht darum, alle Privilegien der Hyperelite auf ein einziges Vermögen zu zentrieren: Bedingungslose Datenhoheit! Die Grenzen zwischen Immobilienbesitz, Ressourcenkontrolle, Meinungssteuerung, zwischen der Macht, hunderten Millionen Minderprivilegierten nach Lust und Laune Beschäftigung und Lebensform aufzuzwingen oder ganze – ökologisch noch intakte – Landstriche exklusiv im kleinen Kreis zu genießen, werden verwischt. Alle monströsen Vorrechte weniger »Auserwählter« werden binär verschlüsselt und für alle Zeiten festgeschrieben.
Welche Auswirkungen diese stille, aber absolutistische Herrschaft des »Mammons« haben wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Die herrschende Klasse erhofft sich die unantastbare Konservierung ihrer Vormachtstellung.
Wie alles anfing … Rund 2500 Jahre v. Chr. hat sich im Zweistromland die elaborierteste Nationalökonomie der Alten Welt etabliert: eine raffinierte Kombination von Planwirtschaft, feudal-klerikaler Despotie und zentral dokumentiertem Informationsgeld, eine Art von in Ton gebrannten Wechseln. Ein Goldschmied, beispielsweise, liefert zwei Kilo Geschmeide in der Palastbehörde ab und bekommt dafür einen Stapel Tontäfelchen; auf jedem ist der Anspruch auf soundsoviel Scheffel Getreide verzeichnet. Er wird aber keine davon gegen Emmer (eine Weizenart) eintauschen, sondern sich mit anderen Lebensmitteln, Kleiderstoffen, Bier eindecken. Das ausgeklügelte Bewässerungssystem der Priesterschaft hat für einen beständigen Getreideüberschuss gesorgt. Drakonische Strafen drohen allen, die sich weigern, den eingeritzten Anspruch auf Emmer nicht als Zahlungsmittel für alle möglichen Waren und Dienstleistungen anzunehmen. Bis schließlich ein Braumeister ein Täfelchen doch zu einem Bauern bringt. Der übergibt ihm die entsprechende Menge Getreide und gibt das »Tondokument« bei der Finanzbehörde ab – und erhält dafür die Bestätigung, dass er seine Steuern beglichen hat.

1000 GESTALTEN. Im Laufe der Performance legten die verkrusteten Gestalten ihre grauen Kostüme ab und befreiten sich symbolisch aus ihren erstarrten Strukturen. Video
… weiterging … Zur gleichen Zeit werden 14.000 km vom Zweistromland entfernt auf einem anderen Kontinent die Fundamente für die vermutlich erste voll digitalisierte Wirtschaft gelegt. Die Völker der peruanischen Norte-Chico-Kultur begründen ihre Überschuss-Ökonomie wie die Sumerer zwischen mehreren Flüssen. In Caral kommen 2500 v. Chr. die ersten Quipus zum Einsatz: komplexe Seilgebinde, deren Knoten ungeheure Datenmengen codieren können. Vier Jahrtausende lang, bis zur Zertrümmerung des Inkareiches durch die Conquistadoren, werden alle Wirtschaftsbeziehungen – Einzel- und Großhandel, Steuern, Guthaben, Schulden, am Ende die imperiale Buchhaltung halb Südamerikas – im wahrsten Sinn des Wortes von Spezialisten geknüpft. Am bis 4 Meter langen Hauptseil hängen zig Nebenfäden, die nach dem Dezimalsystem (inklusive der Null) je nach Knotentyp und Färbung alle ökonomischen Transaktionen aufsteigend vom Haushalt über das Dorf und den Verwaltungsbezirk bis zum Budget des ganzen Reiches codieren.
… und endet? Christina von Braun vertritt in »Der Preis des Geldes« die These: Datengeld, das keinen materiellen Gegenwert hat, nicht einmal durch ein »Eintauschversprechen«, wird durch den menschlichen Körper »gedeckt«. Es droht die stumme Diktatur, die Verfügungsmacht weniger »Datenbeherrscher« über alle biometrisch erfassten »Untertanen«. Die bargeldlosen Ökonomien der Vorzeit beruhten auf regionalen Überschüssen (Getreide, Mais, Fisch). Sobald Mangel eintrat, gab es Proteste, Aufstände, Bürgerkriege. Deshalb setzte sich im 6. Jhdt. v. Chr. Münzgeld in den Kulturen des Mittelmeerraums und des Orients durch. »Der wichtigste Effekt des Mediums Geld ergibt sich auf gesamtgesellschaftlicher Ebene dadurch, dass die Zahlung Dritte beruhigt«, erläutert Niklas Luhmann. »Geld ist der Triumph der Knappheit über die Gewalt.« Im Umkehrschluss können wir erwarten: Biometrische oder implantierte (Chip) Privilegierung beunruhigt. Die Bargeldabschaffung führt zum Triumph der Gewalt über die Knappheit!