Der Stoff, aus dem die Träume sind

BRENNSTOFF 48

Unser Unbewusstes ist zur Berechnung weitgehend unfähig. Die tiefsten Schichten unserer Existenz und unseres Verhältnisses zur Welt sind nicht ökonomischer Art.

Wenn ich träume, träume ich nicht von Wirtschaft. Ich träume von Räumen und Landschaften, von Geräuschen, von Menschen mit ihren oft seltsamen Beziehungen und Geschichten. Aus der Traumforschung ist bekannt, dass man im Traum nicht rechnen kann, jedenfalls nicht über das Niveau einer ersten Grundschulklasse hinaus. Das deckt sich mit meinen Selbstbeobachtungen. Im Traum ist der be­rechnende Mensch abwesend. Wir können uns im Traum nicht vornehmen, einen Konkurrenten durch eine Reihe von Schachzügen auszubooten, um ihn zu überrunden und irgendwo mehr Punkte zu sammeln. Wir können im Traum nicht Mensch-ärgere-dich-nicht oder Monopoly spielen. Ich glaube, dass ich noch nie von Geld geträumt habe – höchstens, dass ich im Portemonnaie vergeblich nach einer Münze kramte. Unser Unbewusstes ist zur Berechnung weitgehend unfähig. Die tiefsten Schichten unserer Existenz und unseres Verhältnisses zur Welt sind nicht ökonomischer Art. Das beginnt schon, wenn wir auf die Welt kommen. Das Verhältnis eines Babys zu seiner Mutter ist kein ökonomisches. Da wird nichts getauscht und nichts gerechnet. The best things in life are free: Liebe, Freundschaft, echte Kreativität, Schönheit. Wouter van Dieren, Autor des Berichtes an den Club of Rome »Mit der Natur rechnen«, schrieb einmal, dass das Brutto­inlandsprodukt im Himmel gleich Null sein müsste, in der Hölle dagegen gigantisch.

Über Jahrhunderte ist uns eingeredet worden, der Kern des Menschen sei das unstillbare Verlangen, seinen Vorteil gegenüber anderen zu mehren. Wir wissen längst aus der vergleichenden Anthropologie, dass die­se Erzählung ein Mythos ist, erfunden von europäischen Männern, die in ihrem eigenen Leben kaum et­was anderes kennengelernt haben.

Menschen sind für Kooperation geschaffene Wesen. Sie suchen manch­mal den eigenen Vorteil, oft aber auch ganz andere Dinge.

Fabian Scheidler The Station Fotosynthese, 2009 © Fabian Scheidler | www.counter-images

 

Nun wird man sagen, dass ein Mensch, um zu träumen, um Freundschaft, Liebe, Kreativität und Schön­heit erfahren zu können, auch etwas essen muss, ein Dach über dem Kopf haben muss und vieles mehr. In der Tat. Aber muss er, um das bereit zu stellen, zu einem berechnenden Wesen werden? Um einen Dach­stuhl oder ein Schiff zu bauen, ist zweifellos so etwas wie berechnende Planung nötig. Das ist eine wichtige Fähigkeit unseres Geistes. Aber das bedeutet keineswegs, dass die Beziehungen der Menschen, die das tun, auf Berechnung, auf individueller Vorteilsmaximie­rung beruhen müssen.

Es ist das große Verdienst von Karl Marx, erkannt zu haben, dass Geld keine Sache ist, sondern ein Symbol für menschliche Beziehungen. Wenn ich eine Kiwi kau­fe, trete ich mit anderen Menschen in Beziehung. Ir­gendjemand hat sie irgendwo angepflanzt und geerntet, jemand anders verpackt und transportiert. Diese Menschen haben für mich etwas Wichtiges getan, auch wenn ich sie niemals zu Gesicht bekomme. Das Geld verdeckt unsere Beziehung. Es suggeriert, dass ich eine Sache, die Kiwi, gegen eine andere Sache, das Geld, tausche. Die Menschen, mit denen ich eigentlich in Beziehung trete, bleiben dabei unsichtbar. Und das macht einen beträchtlichen Teil der Armut unseres Lebens aus. Die Leere, die der Fetisch des Geldes hin­terlässt, weil er unsere Beziehungen zu anderen Men­schen verdunkelt, lässt sich auch mit noch so vielen Dingen nicht füllen.

Eine den Menschen angemessene, eine menschen­freundliche, eine gerechte Ökonomie muss daher zu­erst einmal die Beziehungen, die das Geld verdeckt, sichtbar machen. Selbst der einsamste Mensch wird seine Welt rasch bevölkert sehen, wenn er sich fragt, wer denn den Stuhl, auf dem er sitzt, und den Kaffee, den er gerade trinkt, hergestellt hat. Wenn die Men­schen aus dem Nebel, den das Geld schuf, plötzlich her­vortreten, wird er sich vielleicht auch fragen, ob dies eine freundliche oder feindliche Begegnung sein wird. Das aber hängt nicht zuletzt davon ab, was die Menschen erdulden und erleiden mussten, um für ihn Stuhl und Kaffee herzustellen. Hat er sich daran beteiligt, den Preis für ihre Arbeit mit allen Mitteln zu drücken? Was hat er selbst gegeben? Und sind hier Dritte im Spiel, die beide Seiten gleichermaßen ausgebeutet und ihre Beziehungen verdunkelt haben?

An diesem Punkt können sich beide gemeinsam fragen, wie sie diese unsichtbaren Dritten aus ihrer Be­zie­hung bekommen. Wie sie aufhören können, ge­gen­einander um Geld zu konkurrieren, um stattdessen mit­einander zu kooperieren. Das scheinen heute vermessene, unrealistische, utopische Fragen zu sein. Gibt es denn etwas anderes als fremdbestimmte Lohn­ar­beit? Ist nicht jeder ein Träumer, der etwas anderes will? Die Frage läuft letztlich darauf hinaus, ob wir in der Lage sind, unsere Lebens- und Tätigkeitsverhält­nisse gemeinsam selbstbestimmt zu gestalten. Oder ob wir die Gnade der Arbeit aus den Händen einer mysteriösen, gottgleichen Institution namens Markt von oben empfangen wollen – und von oben auch wieder entzogen bekommen. Es fällt uns selten auf, wie ab­surd und infantil die Idee ist, dass irgendjemand uns Arbeit gibt. Sind wir nicht mit Händen und Verstand gesegnet, um selbst etwas zu tun? Ist uns nicht die Ga­be der Sprache verliehen, damit wir uns miteinander verständigen und Gemeinsames schaffen können? In den 200.000 Jahren, die Homo sapiens auf der Welt ist, haben Menschen den überwältigenden Teil der Zeit genau das getan. Die antiken Marktwirtschaften und der moderne Kapitalismus sind dagegen nichts als kur­ze Zwischenspiele, auf die wir einst – wenn wir den Ka­pitalismus überleben – kopfschüttelnd zurückblicken werden.

Zuerst erschienen in der Zeitschrift OXI (Ausgabe Februar 2017).

 


Artikel dieser Ausgabe
EditorialHeini Staudinger

Ausgabe 48

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BuchauszugGerald Hüther und Christa Spannbauer

Ein Plädoyer der Verbundenheit

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EssayFabian Scheidler

Der Stoff, aus dem die Träume sind

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